Konkurs erfolgreich vertagt

Der Solizuschlag sinkt, die FDP darf sich als Steuersenkungspartei profilieren und die Union Handlungsfähigkeit demonstrieren

Da kommt Freude auf: Der Sekt bleibt bezahlbar, die Zigaretten werden nicht teurer und auch für die Lebensversicherung muß niemand tiefer in die Tasche greifen. Erfolg auf ganzer Linie also, mochten Unionspolitiker und Liberale Glauben machen: Keine Steuererhöhung, und trotzdem wird der Solidaritätszuschlag um zwei Prozent gesenkt. Das magische Wort: "ELF", sprich Erblastentilgungsfonds. Fünf Milliarden Mark will Finanzminister Theo Waigel in den nächsten Jahren weniger in diesen Topf zahlen, um so das anstehende Minus im Staatshaushalt auszugleichen. Die restlichen 2,1 Milliarden Mark, die durch die Soli-Senkung von 7,5 auf 5,5 Prozent künftig in Waigels Kasse fehlen, sollen zum größten Teil durch Einnahmen aus Grundstücksverkäufen finanziert werden. Der "gelungene Überraschungscoup", wie man die Einigung in Bonner Unionskreisen bezeichnete, war gut kalkuliert. Am 15. Jahrestag des konservativ-liberalen Regierungsbündnisses legte der Finanzminister den Koalitionspartnern jenes 13seitige Papier auf den Tisch, mit dem nun endlich eine gesicherte Gegenfinanzierung für die Abgaben-Senkung festgeklopft und damit dem seit Monaten währenden Koalitionskrach ein Ende gesetzt werden sollte.

Die Inszenierung entsprang vornehmlich dem Interesse, endlich Geschlossenheit zu demonstrieren, um so voll in den Bundestagswahlkampf einsteigen zu können, nachdem die Sozialdemokraten schon lange den Anfang gesetzt hatten. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Hermann Otto Solms: "Spätestens ab heute sind wir wieder in der Offensive." Finanzchef Waigel brachte folgerichtig schnell den politischen Gegner ins Spiel. "Wenn etwas noch nicht durchgebracht ist, dann liegt es allein an der SPD." Daß die Sozialdemokraten wenig mit der Unfähigkeit der Bonner Koalition zu tun haben, störte da genau so wenig wie die Schwierigkeiten, das Finanzierungsmodell tatsächlich werbewirksam zu verkaufen. Es sei das "beste, was wir im Augenblick für die Volkswirtschaft tun können", meinte Waigel bescheiden. Ein schwacher Trost.

In der Tat wirkt das Finanzierungsmodell der Bonner Koalition wie ein schlechter "Taschenspielertrick" (SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping). 7,5 Prozent der Gesamtsumme des Bundeshaushalts fließen jährlich an den Erblastentilgungsfonds, einen Topf, aus dem die rund 350 Milliarden Mark Schulden gezahlt werden sollen, die durch die Annexion der DDR entstanden sind: Verbindlichkeiten der Treuhandanstalt und des Kreditabwicklungsfonds sowie Altschulden aus der realsozialistischen Wohnungswirtschaft und gesellschaftlichen Einrichtungen der DDR. Nach dem sogenannten Annuitätsprinzip zahlt das Finanzministerium Jahr für Jahr 26,4 Milliarden Mark an Tilgung und Zins ab. Je niedriger der Zinssatz, um so höher die abzuleistende Tilgung. Durch das niedrige Zinsniveau der letzten Jahre ist deshalb die Tilgung höher ausgefallen als erwartet. Rund zehn Milliarden Mark sollen nach Waigels Worten 1997 gezahlt werden, nur drei Milliarden seien allerdings nötig, um die Schulden bis zum anvisierten Ziel, dem Jahr 2026, abzubezahlen. Folglich, so die Logik des Finanzministers, könne hier fünf Milliarden weniger eingezahlt werden. Insgesamt 16 Milliarden Mark will Waigel demnach zwischen 1997 und 1999 aus dem Erblastenfonds locker machen.

Faktisch jedoch wird damit lediglich die Tilgung des Kredites aufgeschoben, die Schulden also an kommende Finanzminister weitergegeben. "Was im normalen Leben die Kreditwürdigkeit beeinträchtigt", reagierte Scharping, verkaufe die Union als Erfolg. Wann die "Erblasten" abbezahlt sein werden, steht in den Sternen - zumal der Soli-Zuschlag eigens zur Finanzierung dieses Fonds 1995 wiedereingeführt wurde und selbst die Regierung davon ausgeht, daß sich die Schulden im ELF bis zum Jahr 2000 auf 360 Milliarden erhöhen werden. Ohnehin erschienen die jetzt als neu präsentierten ELF-Reserven nicht gerade wie Phönix aus der Asche. Sie waren bereits als Rettungsring zur Bezahlung anderer Schulden im Visier. Nun darf man gespannt sein, wie Waigel das im November drohende neue Finanzloch von weiteren 20 Milliarden Mark stopfen will. Sein "Trick", Schuldentilgung einfach auf später zu verschieben, dürfte langsam ausgereizt sein. Bereits im Sommer dieses Jahres hat er die Tilgung beim Bundeseisenbahnvermögen, das die Altschulden von Bundes- und Reichsbahn enthält, ausgesetzt, um damit 1998 rund 2,8 Milliarden Mark zu "sparen".

Nicht weniger skurril will Waigel weitere 1,3 Milliarden Mark zur Gegenfinanzierung der fehlenden Soli-Zuschlags-Einnahmen organisieren: Erlöse des Bundes aus Grundstücksverkäufen sollen schneller eingetrieben werden. Zu diesem Zweck hat die Regierung ihre Forderung gegenüber den Käufern von 1,5 Milliarden Mark vorab an Banken abgetreten, von denen er sich nun erhofft, bis 1998 rund 1,3 Milliarden zu bekommen.

"Erneut hat man sich in der Finanzpolitik somit auf die kurzfristig effektvolle Spezialdisziplin Bilanzpolitik konzentriert", kommentiert die Neue Züricher Zeitung die Strategie der Hütchenspieler im Bonner Finanzministerium. Doch so hat es die Regierungskoalition geschafft, Harmonie zu demonstrieren und die Probleme des Staatshaushalts zu kaschieren. Endlich konnten FDP und Union nach jahrelangen Auseinandersetzungen um den Solidarzuschlag Handlungsfähigkeit zeigen. Nach dem Einknicken der Liberalen im vergangenen Jahr - damals stimmten sie einer Verschiebung der Absenkung bis 1998 zu - konnte sich die FDP jetzt keine solche Schlappe mehr leisten. "Die Betrüger von Bonn" titelte damals die "Bild am Sonntag". Das Profil der "Steuersenkungspartei", und damit die letzte Legitimation für die Liberalen, war zunächst dahin. Im Sommer dieses Jahres drohte das Projekt erneut zu scheitern. Zahlreiche Finanzierungskonzepte, von der Erhöhung der Tabak-Steuer bis zur Besteuerung der Lebensversicherung, wurden verworfen.

Skepsis kam nicht nur aus Bonn: Obwohl die Transferzahlungen in den Osten nicht an den Zuschlag gebunden ist, rebellierten die ostdeutschen CDU-Ministerpräsidenten. Und auch nach dem Vorstoß der vergangenen Woche erntete der Regierungspartner Kritik. Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf warf der FDP vor, ihre Fixierung auf den Solidarzuschlag zeige, daß die Partei keinerlei Beziehung zu Ostdeutschland habe. Dennoch: Mit der Einigung zur Senkung, die sich hauptsächlich für Besserverdienende rechnet, hat sich auch in der Union das Interesse durchgesetzt, im Wahlkampf auf das Bild einer stabilen Koalition zu setzen.

Verwunderlich allerdings ist, daß Waigel ausgerechnet in jenen bescheidenen sieben Milliarden Mark, die nun weniger an den Staat gezahlt werden, "zusätzliche Impulse" für die Konjunktur entdeckt haben will. Bislang zeigte der Minister nicht gerade großes Interesse an dem traditionell sozialdemokratischen Ansatz, die Massenkaufkraft zu stärken. Doch auch bei der SPD und den Grünen übt man sich in Sachen "Umverteilung" in Zurückhaltung. "Jede Opposition ist gut beraten, nicht zu flunkern und es mit der Wahrheit ganz genau zu nehmen," sagte der grüne Fraktionschef Fischer zu den Chancen, mit einer rot-grünen Regierung eine andere Haushaltspolitik zu etablieren. Diese "Wahrheit" hat Fischers Haushaltsexperte Oswald Metzger bereits im vergangenen Jahr erläutert: "Angesichts der hohen Staatsverschuldung müssen die Bürger in den nächsten Jahren mit Einschränkungen rechnen." Den entprechenden Weg hat die Öko-Partei bereits mit dem Beschluß, Großverdiener durch die Senkung des Spitzensteuersatzes zu entlasten, ganz im Sinne des schwäbischen Sparpolitikers beschritten. Denn "notfalls", so Metzger Anfang vergangenen Jahres im Focus, "müssen wir sogar bereit sein, einen Wohlstandsabbau gerecht zu organisieren". Na denn Prost, solange der Sekt noch bezahlbar ist - zumindest bei Aldi.