Blutsrecht bleibt

Koalition einigt sich auf Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts, die alles beim alten läßt

Was als halbherziger Profilierungsversuch der FDP begann, scheint jetzt als Farce zu enden: Die Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts. Die Koalition einigte sich letzte Woche auf eine Einbürgerungsgarantie für in Deutschland geborene Kinder von Eltern ohne deutschen Paß. Sie sollen in Zukunft bis zu ihrem 18. Geburtstag Ausländer bleiben und dann entscheiden müssen, ob sie Deutsche werden oder die Staatsbürgerschaft ihrer Eltern behalten. Eine automatische Einbürgerung von in Deutschland geborenen Kindern, also ein Abschied vom deutschen Blutsrecht, ist damit vom Tisch. Die neue Regelung wäre zum Teil sogar eine Verschlechterung der bisherigen Situation. Momentan haben Jugendliche, die mindestens acht Jahre in Deutschland gelebt und sechs davon die Schule besucht haben, mit 16 Jahren einen Anspruch auf Einbürgerung. Ob die in Deutschland geborenen Kinder von legal in Deutschland lebenden AusländerInnen in Zukunft zumindest vor einer Abschiebung geschützt sein sollen, war in der Koalition bis zuletzt umstritten. Die Union wehrt sich gegen diese einzige substantielle Verbesserung. Ein CDU-Abgeordneter sagte, es sei absurd, wenn ausgerechnet nur die straffällig gewordenen Kinder von Ausländern von der neuen Regelung profitieren würden.

Nach der Bundestagswahl 1994 war die FDP mit der Forderung nach einer doppelten Staatsbürgerschaft in die Koalitionsverhandlungen gegangen. Doch die Union wollte nur Menschen einbürgern, die sich eindeutig zum Deutschtum bekennen. Voraussetzung dafür sei, die bisherige Staatsbürgerschaft abzulegen. Wegen der automatischen Einbürgerung von in Deutschland geborenen Kindern befürchtete sie außerdem eine Aufweichung des Abstammungsprinzips, des Jus

sanguinis, nachdem Deutscher nur ist, wer deutsche Eltern hat. Dieses Prinzip macht es nicht nur MigrantInnen schwer, über eine Einbürgerung in Deutschland volle Rechte zu erhalten, es rechtfertigt auch deutsche Volkstumspolitik im Ausland. So verhilft diese Blutsrecht beispielsweise Deutschstämmigen in Polen zur doppelten Staatsbürgerschaft und der Bundesregierung zu einem Vorwand, sich als Vertreterin dieser "nationalen Minderheit" in die polnische Innenpolitik einzumischen. Um die FDP nicht ganz leer ausgehen zu lassen, einigte man sich in der Koalitionsvereinbarung schließlich auf eine sogenannte Kinderstaatsangehörigkeit. Hier geborene Ausländerkinder sollten danach zwar nicht den Status eines Deutschen erhalten, aber rechtlich gleichgestellt werden. Wie bei der jetzt vereinbarten Regelung sollen sie sich mit Erreichen der Volljährigkeit für eine Staatsangehörigkeit entscheiden.

Lange Zeit wurde spekuliert, beim Staatsangehörigkeitsrecht könnten einige CDU- und die FDP-Abgeordneten aus der Koalitionsdisziplin ausscheren und zusammen mit der Opposition eine wirkliche Verbesserung durchsetzen. Stoff für solche Spekulationen hatten die sogenannten jungen Wilden um die Bundestagsabgeordneten Norbert Röttgen, Eckart von Klaeden und Peter Altmaier geliefert. Am 19. Juni 1996 legten sie eine "Initiative in der CDU für ein zeitgemäßes Staatsangehörigkeitsrecht" vor. Der auch von Heiner Geißler und Christian Schwarz-Schilling unterstützte Vorschlag sah vor, in Deutschland geborenen Kindern automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft zu verleihen. Mit 18 sollte ihnen diese aber wieder aberkannt werden, falls sie die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern nicht ablegen. Zusätzlich sollten sich legal in Deutschland lebende Menschen ohne deutschen Paß schon nach zehn statt nach 15 Jahren einbürgern lassen können.

Keine besonders revolutionären Vorschläge, wie es scheint. Zumal die angeblich wilden Jungpolitiker betonten, es solle keinesfalls eine "doppelte Staatsangehörigkeit zum Nulltarif" geben. Aber ohne eine erleichterte Einbürgerung befürchteten sie eine "nachhaltige Gefährdung des gesellschaftlichen Friedens". Ein Bekenntnis zum Deutschtum verlangten auch sie. Statt des Abstammungsnachweises wurde in ihrem Modell lediglich das Bekenntnis zur herrschenden deutschen Kultur betont. Konsequenterweise sollte die Einbürgerung abgelehnt werden, wenn "der Antragsteller die Grundwerte unserer Verfassungsordnung erkennbar ablehnt, wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist oder die deutsche Sprache nicht hinreichend beherrscht".

Doch der Mehrheit in der CDU/CSU war diese vorsichtige Abkehr vom Jus sanguinis schon zu viel. Und da die FDP mit der Durchsetzung der Soli-Senkung offenbar schon ihr ganzes Pulver verschossen hatte, bleibt alles beim alten. Zwar kritisierten die sogenannten jungen Wilden der CDU auch den jüngsten Koalitionskompromiß. Doch vermutlich werden auch sie sich bei der entscheidenden Abstimmung im Bundestag der Fraktionsdisziplin beugen, womit sich ihre Initiative für ein "zeitgemäßes Staatsangehörigkeitsrecht" als wirkungsloser Profilierungsversuch aufstrebender Nachwuchspolitiker erwiesen hätte.