Das Blitzlicht am Ende des Tunnels

Buchpremiere mit pensionierten Spionen an einem Baggerloch in Berlin-Treptow: "Die unsichtbare Front"
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Selten war eine Buchpremiere derart anstrengend. An einem Montag Ende September lud der Propyläen-Verlag die Medienvertreter ins deutsch-russische Museum nach Berlin-Karlshorst, um sie von dort aus per Bus an ein Baggerloch in Berlin-Treptow zu kutschieren. Dieses Baggerloch aber entpuppte sich als historisch wertvolle Grabungsstätte. Unter der Leitung des Alliierten-Museums wird im Südosten der Hauptstadt derzeit ein Spionagetunnel freigelegt, von dem aus die CIA und der britische Geheimdienst SIS im Jahr 1955 Ostberliner Telefon-Erdleitungen anzapften.

Während der Grabungsarbeiten stellte man fest, daß zur gleichen Zeit bei Propyläen ein Buch entstand, in dem dieser Tunnel eine Rolle spielt: David E. Murphy - von 1959 bis 1961 Leiter der Berlin Operation Base (BOB) der CIA - und Sergej A. Kondraschow - 1955-57 und 1963-67 Leiter der Deutschland Abteilung der Auslandsaufklärung des KGB - schrieben unter Mithilfe des einstigen Verbindungsoffiziers und jetzigen Journalisten George Bailey an dem Werk "Die unsichtbare Front. Der Krieg der Geheimdienste im geteilten Berlin". Verlag und Museum entschieden sich daraufhin zu einer Zusammenarbeit, und so konnte der Öffentlichkeit am besagten Septembertag nicht nur der eher unscheinbare Eingang des 450 Meter langen Tunnels, sondern darüber hinaus bei Anwesenheit der greisen Autoren auch das druckfrische Buch präsentiert werden.

Propyläen wirbt für seine 590 Seiten starke, 58 Mark teure Neuerscheinung mit dem Slogan: "Ein sensationelles Buch". Das ist einerseits richtig, denn die Konstellation der Autoren könnte kaum spannender sein. Nicht nur, daß das immense interne Wissen zweier einst verfeindeter Geheimdienstchefs hier erstmals zusammengetragen wurde; auch der Zugang zu den Akten der Dienste hat sich in den in den letzten Jahren dramatisch verbessert: Murphy kam zugute, daß die CIA aufgrund einer Direktive Bill Clintons nahezu alle Unterlagen, die älter als 25 Jahre sind, herausrücken muß. Kondraschow hingegen profitierte von seiner langen Karriere: Noch im Sommer 1989 reiste er als Sonderberater des KGB-Vorsitzenden Wladimir Krjutschkow in Gorbatschows Auftrag nach Ostberlin. Erst 1992 wurde er 69jährig pensioniert; entsprechend konziliant regelte man auch seinen Zugang in die historischen Archive des SWR, des Auslandsnachrichtendienstes der russischen Föderation.

Die Ergebnisse akribischer Recherche, die beiderseits zusammengetragenen Dokumente - etliche von ihnen als Faksimile abgedruckt - sind auch die große Stärke dieser Veröffentlichung. Insbesondere im ersten Fünftel des Buches, das sich dem Prozeß widmet, in dem die Formierung von CIA (1947) und KGB (1954) aus ihren Vorgängerorganisationen geschah, wird sichtbar, wieviel politische Umwege und Irrationalitäten zu diesen in der Rückschau so allmächtig wirkenden Organisationen führten.

Leider ist es aber den Autoren nicht gelungen, ihre Recherche in eine lesbare Form zu bringen. Selbst mit dem hundertseitigen Anmerkungsteil ist die Brisanz von Passagen wie der folgenden wohl nur von Historikern zu entschlüsseln: "Im März 1946 wurde die Revolutionsbezeichnung 'Volkskommissariat' fallengelassen, und der NKGB mutierte zum Ministerium für Saatssicherheit (MGB). Drei Monate später löste Abakumov, der seit 1943 im NKO an der Spitze der Smersch gestanden hatte, Merkulov als Staatssicherheitsminister ab. Pawel Sudoplatow zufolge mißtraute Stalin Merkulov wegen dessen enger Beziehung zu Berija."

Wer trotz dieser Hemmnisse weiterliest, stößt bald auf weitere Schwächen des Buches. Zum einen ist bereits der Untertitel ein Etikettenschwindel. Das "geteilte Berlin" nämlich umfaßt für die Autoren lediglich die Zeit von 1945 bis zum Mauerbau 1961. Danach sei die geheimdienstliche Tätigkeit - so die Autoren - "schwieriger geworden". Fast hätte man es sich gedacht. Zum anderen formulieren die Verfasser nur zwei Thesen, an denen entlang sie ihre gesamten Ausführungen darlegen, sowie sämtliche Mißgeschicke und Fehleinschätzungen ihrer Tätigkeit begründen: Erstens sei die CIA in Berlin ständig personell und logistisch unterversorgt und damit den Russen unterlegen gewesen. Zweitens aber hätte der KGB immer nur diejenigen Erkenntnisse nach Moskau weitertragen können, die gerade zu den politischen Einschätzungen der Partei gepaßt hätten, wodurch die meisten strukturellen Vorteile wieder verloren gegangen seien.

Zwar bemühen sich Kondraschow und Murphy wacker, manchmal durchaus selbstkritisch, Beweise für ihre Thesen anzuführen. Dazu gehört die Geschichte des Treptower Tunnels, von dessen Existenz die Russen schon vor dessen Inbetriebnahme wußten und durch dessen Leitungen sie nur unwichtige Telefonate fließen ließen. Dazu gehört auch die frisierte Lageeinschätzung aus dem Sommer 1950: Obwohl jeder durchschnittliche Zeitungsleser wissen mußte, daß die Wiederbewaffnungsdebatte in Westdeutschland unmittelbar mit dem Korea-Krieg zusammenhing, fand man in den KGB-Berichten darüber nichts. Zu groß war die Angst vor Stalin, der die Nordkoreaner zuvor zur militärischen Intervention ermutigt hatte.

Die Autoren kommen letztlich über einen rein narrativen Ansatz nicht hinaus. Keiner von ihnen ringt sich zu einer Gesamtbewertung durch, wie sinnvoll ihr Tun überhaupt war, nirgendwo gibt es auch nur Andeutungen, wieviel Geld und Menschenleben die Operationen verschlungen haben. So bleibt kaum mehr als eine manchmal spannende, oft langatmige Geschichtsstunde alt und bedeutungslos gewordener Männer.

Wie sehr sich Bailey, Kondraschow und Murphy selbst zu historisch überholten Figuren gemacht haben, war auch bei der Buch-Präsentation am Tunnel zu merken. Nicht nur, daß die am häufigsten gestellte Frage war, ob die früheren Gegenspieler über die gemeinsame Arbeit zu Freunden geworden sind. Die Fotografen äußerten den Wunsch, daß die Autoren sich in den nur gut einen Meter hohen Tunnel zwängen sollten, um ihr Buch in die Kameras zu halten. Die einst mächtigsten Männer der Berliner Geheimdienste taten ihnen den Gefallen. Und lächelten dabei so gütig wie echte Märchenonkel.

George Bailey/Sergej A. Kondraschow/ David E. Murphy: Die unsichtbare Front. Der Krieg der Geheimdienste im geteilten Berlin. Propyläen, Berlin 1997, 590 S., DM 58