Einladung zum Pogrom

Jedes Zugeständnis an die Gollwitzer ermuntert Nachahmungstäter.

Herwig Schirmer ist Staatssekretär im brandenburgischen Sozialministerium. Der SPD-Mann ist sich seiner Sache ganz sicher: "In Gollwitz ist vieles sehr schlecht verlaufen", aber darüber dürfe man doch nicht vergessen, "daß viele Menschen in den jüdischen Zuwanderern einen Gewinn für Deutschland und das Land Brandenburg sehen". Damit hatte er die brandenburgische Diskussion um die Unterbringung jüdischer Flüchtlinge in dem märkischen Dorf auf den Doppelpunkt gebracht: Erstens sind nicht der Antisemitismus und der Rassismus der Dorfbewohner verantwortlich für deren rassistische und antisemitische Ausfälle gegen die angekündigten Juden aus der ehemaligen Sowjetunion. Zweitens muß man sich für deren Zuwanderung nur aussprechen, weil sie "eine Bereicherung für Deutschland und das Land Brandenburg" darstellen würden.

Die Gollwitzer selbst sprechen eine deutlichere Sprache. Seit der Nazi-Zeit ist das Dorf "judenrein", trotzdem will ein Gollwitzer "schlimme Erfahrungen mit Juden" gemacht haben, "ganz schlimme", wie er der taz sagte. Bürgermeister Andreas Heldt kündigte an, wenn die Juden kämen, könne "Sicherheit und Ordnung nicht mehr gewährleistet" werden. Gegenüber der Märkischen Allgemeinen brachte ein Einwohner die Drohung auf den Punkt: "Wollen Sie ein zweites Dolgenbrodt riskieren?"

Würde man der perspektivischen Bürgerwehr von Gollwitz die Niederlage nicht von ganzem Herzen wünschen, man könnte den Auswanderern nur empfehlen, sich auf keinen Fall in der Mittelmark niederzulassen, und nach Möglichkeit auch in keiner anderen Gegend jenes Bundeslandes, dessen Ministerpräsident in der unverbrämten Ankündigung eines Pogroms nur den berechtigten Widerstand gegen einen angeblichen Planungsfehler zu erkennen vermag. Aus der jüngeren brandenburgischen Geschichte ist kein Fall bekannt, in dem der hochdekorierte Landesvater, der sonst eher für sein großes Beharrungsvermögen bekannt ist, höchstpersönlich so schnell einen Beschluß als Fehlentscheidung bezeichnet hätte, wie im Falle der Entscheidung der Verwaltungsgesellschaft Gesundheitszentrum Teltow, das landkreiseigene Herrenhaus in dem Haveldorf für die Aufnahme russisch-jüdischer Emigranten auszubauen. Man darf unterstellen, daß es gerade die Drohung mit dem Pogrom war, die ihn dazu getrieben hat. Noch ein Dolgenbrodt, das kann Manfred Stolpe trotz seiner unangefochtenen Stellung an der Spitze Brandenburgs nicht brauchen.

Durch sein taktierendes Verhalten im Falle Gollwitz hat Stolpe aber eine weitere rassistische Bürgerinitiative nicht verhindert, sondern im Gegenteil wahrscheinlicher gemacht. Wenn es für das preußische Landvolk eine Lehre aus Gollwitz gibt, dann die: Die Fremden sind eine Belastung, es ist legitim, sich gegen sie zu wehren. Auch wenn man dabei offen in der Tradition der Nazis argumentiert, es findet sich immer jemand, der relativiert. Und mittlerweile ist auch jene von den Bonner Abschiebepolitikern vorgegebene Argumentationslinie beim Volk angekommen, die da lautet: Ausländer raus, denn nur draußen sind sie vor unseren Rassisten sicher.

An all dem ändert der vier Wochen nach der ursprünglichen Ablehnung nun mit größtmöglicher Knappheit gefällte Beschluß des Gollwitzer Gemeinderats, doch Gespräche über die Nutzung des "Herrenhauses" als Unterkunft für die Emigranten zu führen, gar nichts. Die Nazi-Sprüche des Dorfvolkes sind dadurch nicht aufgehoben, und das Gremium selbst tagte vorsichtshalber hinter verschlossenen Türen - falls einem einmal was rausrutscht, ist das besser, man kann ja nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, wenn es um eine so heikle Angelegenheit geht. Als der Gemeinderat Horst Wegner auf der letzten Sitzung ankündigte "Ich ziehe einen meterhohen Zaun um mein Grundstück, wenn die kommen", stand es ja auch gleich in allen Zeitungen.

Von zahlreichen Dorfbewohnern wurden die Juden aus der ehemaligen Sowjetunion vor laufenden Fernsehkameras beschimpft, als "diese Kriminellen, diese Einbrecher aus dem Osten" bezeichnet. Von keinem einzigen Vertreter der Gemeinde Gollwitz war bislang eine Entschuldigung zu hören, kein Wort des Bedauerns. Man kennt diese Mauer des Schweigens: Auch in Dolgenbrodt und Hoyerswerda, in Rostock-Lichtenhagen und Mannheim-Schönau halten die ganz normalen Bürger dicht wie Glaserkitt. Nichts wirkt so verbindend wie das Bündnis derer, die schon immer hier waren gegen die, die nicht nur hierher kommen wollen, sondern auch noch anders aussehen, anders sprechen, einer anderen Religion angehören. Wenn es sich dabei auch noch um Juden handelt, um so besser: Das Feindbild lagert noch, direkt neben dem Karabiner 98, unter einer wackeligen Bodendiele. Hin und wieder werden beide wieder hervorgeholt und liebevoll gepflegt. In der DDR ging das unter dem Etikett des Antizionismus vonstatten, heute darf man wieder sagen, daß man den Juden meint, und nicht den jüdischen Staat.

Soll man den jüdischen Flüchtlingen nun gemeinsam mit den Volksgenossen von Gollwitz wünschen, daß sie nie auf den dummen Gedanken gekommen wären, sich ausgerechnet in Deutschland niederzulassen? Soll man es mit Ministerpräsident Stolpe halten, der indirekt seine eigene Bürokratie dafür kritisierte, die Flüchtlinge in die tiefe Provinz des Flächenstaates geschickt zu haben? Oder soll man mit Staatssekretär Schirmer die Bereicherung beschwören, den die Einwanderer ausgerechnet den Brandenburgern brächten, welche bereits angekündigt haben, sich auf ihre Weise erkenntlich zu zeigen?

Nichts von alledem. Wichtig ist jetzt zum einen, daß die rassistische Bürgerinitiative von Gollwitz eine möglichst deutliche Niederlage erlebt, weil nur auf diese Weise die potentiellen Nachahmungstäter abgeschreckt werden können. Der Schlüssel dafür liegt beim Landkreis Potsdam-Mittelmark, dem das Herrenhaus gehört, und dessen Dienstaufsichtsbehörde: Ausgerechnet der Landesregierung unter Manfred Stolpe. Jeder jüdische Emigrant weniger als die sechzig für Gollwitz geplanten gäbe jenen Recht, die mit Drohungen die Mark judenrein halten wollen. Wenn das "Herrenhaus" zu klein sein sollte - nach der gängigen Praxis der Raumvergabe an Immigranten wird das wohl der Fall sein: In Gollwitz gibt es ausreichend geeignete Freiflächen für Neubauten. Ein solches Bauvorhaben wäre wichtiger als eine Kneipe, in der sich dann wie in Dolgenbrodt die Brandstifter verabreden könnten.

Wichtig ist selbstverständlich zum anderen, daß nicht nur die körperliche Unversehrtheit der Einwanderer gewährleistet ist, sondern daß sie darüber hinaus ein menschenwürdiges Leben führen können - auch wenn das Beschränkungen für die Gollwitzer mit sich bringt. Alles andere wäre eine Einladung zum Pogrom.