Ungebrochener Vergeltungswille

Noch immer sitzen zehn ehemalige RAF-Mitglieder im Knast. Manche von ihnen seit über 20 Jahren
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27 Jahre nach der Gründung der RAF und fünf Jahre nach der Einstellung der tödlichen Angriffe sitzen noch zehn ehemalige Mitglieder der Stadtguerilla-Gruppe in deutschen Gefängnissen ein - manche von ihnen seit mehr als 20 Jahren.

Während die RAF im April 1992 die Eskalation herunterfuhr, um politischen Raum für die Lösung der Gefangenenfrage zu schaffen, ist der Vergeltungswille des Staates ungebrochen. Die Kinkel-Initiative vom Januar 1992, als von Staatsseite das Angebot an die RAF herangetragen wurde, bei Einstellung des Bewaffneten Kampfes bestimmte Gefangene vorzeitig zu entlassen, wurde - sofern es überhaupt jemals ernst gemeint gewesen sein sollte - spätestens wieder fallen gelassen, als bekannt wurde, daß der Staatsschutzspitzel Klaus Steinmetz sehr nahe an der RAF war und den Ermittlungsbehörden eine militärische Lösung des Problems RAF greifbar schien. Auch nach der Rücknahme der Eskalation durch die RAF ist die Staatsseite den Gefangenen nicht entgegengekommen. Warum sollte sie auch? Der Druck ist verschwunden, seit die hohen Herrn wieder ungestört mit ihrem Dackel um die Ecke Gassi gehen können.

Dabei wäre schon aus medizinischen Gründen die Freilassung zumindest von Helmut Pohl und Heidi Schulz dringend geboten. Bei beiden sind durch ihre lange Haftzeit (Helmut Pohl sitzt seit insgesamt 22, Heidi Schulz seit 15 Jahren im Knast) schwere körperliche Erkrankungen eingetreten, die sich nicht unter den Bedingungen des Strafvollzuges behandeln lassen. Angehörige sprechen von einer lebensbedrohlichen Situation. Neben diesen beiden sitzen außerdem noch folgende Gefangene aus der RAF ein: Rolf Heißler (seit insgesamt 22 Jahren), Brigitte Mohnhaupt (seit insgesamt 19 Jahren), Stefan Wisniewski (seit 19 Jahren), Rolf-Clemens Wagner (seit 18 Jahren), Sieglinde Hofmann (seit 17 Jahren), Christian Klar (seit 15 Jahren), Eva Haule (seit elf Jahren) und Birgit Hogefeld (seit vier Jahren). Für alle gelten Sonderhaftbedingungen, alle sind zu lebenslänglicher Haft verurteilt.

Nachdem die Zusammenlegung der Gefangenen aus der RAF und dem antiimperialistischen Widerstand die zentrale Forderung zahlreicher Hungerstreiks in den vergangenen Jahren war, verlangt eine Initiative aus Hamburg nunmehr mit einer groß angelegten Unterschriften- und Anzeigenkampagne die Freilassung aller RAF-Gefangenen. Das klingt zwar utopisch, wäre aber - auch abgesehen von dem gesundheitlichen Zustand der Gefangenen - juristisch durchaus möglich. Alle noch einsitzenden Ex-RAFler wurden zum Teil jahrelang in strenger Isolationshaft gehalten. Wenn die Zeit, die in Isolationshaft und unter anderen Sonderhaftbedingungen verbracht wurde, drei- oder mehrfach angerechnet würde, kämen alle RAF-Gefangenen aufgrund der Haftlänge sofort frei.

Zwar lehnte das Oberlandesgericht Hamburg eine solche Haftzeit-Berechnung bei einem Antrag auf Reststrafenaussetzung von Christine Kuby 1993 ab. Begründung: Es lasse sich im Gesetz "keine Stütze" für ein solches Vorgehen finden. Doch das ist nach Auffassung des Rechtsanwaltes Gerd Klusmeyer aus Hannover keine ausreichende Begründung, den Antrag abzulehnen. Er verweist auf den Paragraphen 51, Abs. 4 des Strafgesetzbuches, nach dem das Gericht den Maßstab einer Anrechnung ausländischer Haftstrafen "nach seinem Ermessen" bestimmen darf. Diese Regelung könne ein Gericht analog auf im Inland verbüßte schwere Sonderhaft anwenden. Klusmeyer: "Das im Strafrecht geltende Analogieverbot betrifft lediglich Analogien zu Lasten des Angeklagten. Sinn und Zweck der Mehrfachanrechnung von im Ausland verbüßter Haft ist es, erlittene besondere Härten auszugleichen. Für in Spanien verbüßte Haft gehen Gerichte zum Beispiel bis zu einem Anrechnungsmaßstab von 1:3. Die Analogie zugunsten eines Angeklagten ist zulässig und geboten, wenn Sinn und Zweck der analog herangezogenen Vorschrift auch auf ihn zutreffen."

Die Forderung nach Mehrfachanrechnung scheint zeitgemäß. Denn anläßlich des 20. Jahrestages des Deutschen Herbstes wird auch im bürgerlichen Lager von "Überreaktionen" des Staates 1977 gesprochen, womit auch die RAF-Sondergesetze gemeint sind. Jüngst haben sich mehrere Juristenverbände für die Abschaffung der Sondergesetze eingesetzt, und selbst Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) hat indirekt zugegeben, daß es sich bei den vor und nach 1977 geschaffenen Sondergesetzen um eine Lex RAF handelt, und zumindest bestimmte Gesetze nun nicht mehr nötig seien.

Die aktuelle Initiative "Freiheit jetzt!" nimmt auf diese reformistische Forderung allerdings keinen Bezug. Sie fordert die Freilassung, weil "auch dieser Staat" kein Recht habe, "seine politischen Gegner in Gefangenschaft zu vernichten".

Es ist der Versuch, einerseits die konkrete Situation der Gefangenen zu thematisieren und auf der anderen Seite nicht mit humanitärem Geheul auf die politischen Angriffe der staatlichen Repressionsorgane zu antworten. Das hat auch der RAF-Gefangene Rolf-Clemens Wagner erst kürzlich gefordert: "Die Politik darf dabei nicht herausfallen, sonst saufen die wirklichen Zusammenhänge im Krankheitsgejammer ab." In der Tat hat die RAF-Geschichte immer wieder bewiesen, daß die Konzentration auf die Gefangenen leicht zur Entpolitisierung führen kann. Das war schon 1977 so, und das war noch immer so, als die RAF im April 1992 ihren Waffenstillstand an die Gefangenenfrage knüpfen wollte.