Ignatz Bubis Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland

Von Hoyerswerda nach Gollwitz

Sie fühlen sich durch die Vorgänge in dem brandenburgischen Dorf Gollwitz an frühere Ereignisse erinnert: Im Jahr 1991 in der nordsächsischen Stadt Hoyerswerda. Wo sind die Parallelen?

In Hoyerswerda sollten 80 Asylbewerber untergebracht werden. Am Abend, als die Flüchtlinge ankamen, hat eine ganze Reihe von Gewalttätern sie mit Brandsätzen angegriffen. Die Polizei ist eingeschritten, hat die Gewalttäter festgenommen, die Personalien festgestellt und alle nach Hause geschickt. Am nächsten Tag hat die Landesregierung beschlossen, die 80 Asylbewerber woanders hinzuschicken; nicht nach Hoyerswerda. Das war ein Signal, daß man mit Gewalt etwas erreichen kann. Ich behaupte: Wäre der Staat in Hoyerswerda konsequent geblieben, hätte es also den Präzedenzfall Hoyerswerda nicht gegeben, dann hätte es danach kein Rostock-Lichtenhagen gegeben. Meine Befürchtung im Hinblick auf Gollwitz ist nun: Wenn der Staat hier nachgibt und sagt, wir schicken keine jüdischen Aussiedler nach Gollwitz, dann wird es viele Gollwitz geben.

Nun hat ja der Gemeinderat von Gollwitz seinen Beschluß in gewisser Weise wieder zurückgenommen. Ändert das etwas an Ihrem Diktum?

Bedingt. Das Porzellan ist kaputt. Es wird jetzt versucht, zu kitten. Aber die Dinge stehen im Raum: Wir werden ja sehen, wie viele Juden aus der ehemaligen Sowjetunion nach Gollwitz kommen; wir werden sehen, ob überhaupt welche nach Gollwitz kommen. Ich glaube es nämlich gar nicht. Für mich sieht es so aus, als ob hier ein Deal gemacht worden wäre, daß die Landesregierung den Gollwitzern versprochen hat: Ihr revidiert euren Beschluß, dafür schicken wir euch keine jüdischen Aussiedler.

Könnten Sie den jüdischen Einwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion im Zweifelsfall überhaupt empfehlen, nach Gollwitz zu gehen?

Das ist eine andere Frage, aber die muß letztlich der Staat beantworten. Der Staat muß in der Lage sein, die Sicherheit aller Bürger zu garantieren. Daß dieses "Rin in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln" in Gollwitz zu Mißmut führen wird, ist klar. Und ob die angeblich so normalen Bürger das ohne Murren über sich ergehen lassen werden, das muß sich noch zeigen.

Wenn es sich dort tatsächlich um ganz normale Bürger handelte, müßte man sich dann nicht gegen die ganz normalen Bürger wenden?

So ist es, aber ich bezweifle, daß das normale Bürger sind. Wenn das tatsächlich die ganz normalen Bürger sind, dann stimmt etwas in unserer Republik nicht.

Wollen wir einmal zugunsten der ganz normalen Bürger annehmen, daß die Gollwitzer nicht zu ihren Repräsentanten gehören. Warum entstehen dann an manchen Stellen Anhäufungen von Leuten mit antisemitischem Gedankengut?

Vielleicht ist es nicht mal so sehr antisemitisches, aber auf jeden Fall fremdenfeindliches. Und das ist sehr viel weiter verbreitet, als gemeinhin angenommen wird.

In der taz wird eine ältere Bürgerin mit folgenden Worten zitiert: "Also, daß das Jüdische hier nach Gollwitz einziehen soll ..."

... und ein anderer wurde gefragt, ob er wisse, daß sechs Millionen Juden umgebracht wurden, da hat er gesagt: "Offensichtlich zu wenig." Natürlich spielt der Antisemitismus auch eine Rolle.

Die Politik hat auf solche Äußerungen mehr als zurückhaltend reagiert.

Nicht nur zurückhaltend: Man hat versucht, die Haltung des Gemeinderats, der Bürger, zu erklären. Das Erschreckende ist ja: Das ist kein Gemeinderat, in dem nur Rechtsradikale sitzen. Da gibt es doch Vertreter der unterschiedlichsten Parteien. Es ist noch nicht einmal möglich herauszufinden, welchen Parteien die sieben Gemeinderatsmitglieder angehören; das scheint ein Staatsgeheimnis zu sein.

Wenn es sich nur um Vertreter einer bestimmten Partei handelte, dann würden die Vertreter der anderen Parteien versuchen, daraus politisches Kapital zu schlagen.

Ja, natürlich. Aber alle sieben Gemeinderatsmitglieder haben ja einstimmig beschlossen. Deshalb können sich die Parteien hier keine Vorwürfe machen. Wenn das nur aus einer Richtung käme, dann hätte man schon viel darüber gehört. Die Haltung, die ich behaupte, beschränkt sich offensichtlich nicht ausschließlich auf die Republikaner oder die NPD.

Ist Ihnen bekannt, ob es im Gemeinderat auch einen Vertreter der SPD gibt?

Keine Ahnung, wie gesagt: Staatsgeheimnis. Ich unterstelle, daß es wie in anderen Gemeinderäten Brandenburgs auch einen PDS-Vertreter gibt.

Säße der brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe in diesem Gemeinderat, wäre dann dessen Votum anders ausgefallen?

Das kann ich nicht sagen. Herr Stolpe hat mit mehreren Zungen gesprochen. Mir hat er am Telefon erklärt, wie schrecklich das alles sei, und man dürfe das nicht hinnehmen. Und draußen hat er gesagt, das sind ganz normale Bürger, man muß Verständnis für sie haben, sie waren schlecht vorbereitet. Ich weiß nicht, wie eine solche Vorbereitung hätte aussehen sollen, ob man sie in eine Dusche hätte führen sollen, daß sie sich vorher waschen? Dann hat Herr Stolpe ein Presseerklärung herausgegeben, daß er sich mit mir verständigt und geeinigt habe, daß die Presse mich falsch informiert habe - über dieses Thema hatten wir überhaupt nicht gesprochen: Es ist schon eigenartig.

Sind das mehr als die Windungen eines Politikers, der wiedergewählt werden will?

Natürlich hat er sich mit Rücksicht auf seine Wähler in Brandenburg so verhalten. Und offensichtlich hat er eine ganz bestimmte Erwartungshaltung an seine Wähler. Nur: Wenn jemand in der einen Richtung so redet, und in der anderen sagt er ganz etwas anderes, was weiß ich, was er wirklich denkt? Ich habe meine Meinung über Herrn Stolpe geändert.

Wie wird sich die Zusammenarbeit in Zukunft gestalten?

Ich habe wenig mit Herrn Stolpe zusammengearbeitet. Das war in erster Linie Sache der Jüdischen Landesgemeinde in Brandenburg.

Und was empfehlen Sie Alexander Kogan, dem Vorsitzenden in Brandenburg?

Zu versuchen, den Dingen auf den Grund zu gehen. Ich war den Potsdamern - und das liegt nun drei Jahre zurück - behilflich bei den ersten Gesprächen über den Abschluß eines Staatsvertrages. Innerhalb dieser drei Jahre haben alle neuen Bundesländer solche Staatsverträge abgeschlossen, die die dortigen Jüdischen Gemeinden den christlichen Konfessionen annähernd gleichstellten. Herr Stolpe immer noch nicht. Und der Bau eines Gemeindehauses in Potsdam rückt in immer weitere Ferne.

Wird sich daran etwas ändern?

Bis jetzt weiß ich das nicht, aber ich bin eher pessimistisch. Es sei denn, Herr Stolpe will an dieser Stelle beweisen, daß es "gar nicht so" ist. In diesem Falle wird er sich hier beeilen. Na, wenn's in diesem Sinne genutzt hätte, dann wäre das schon etwas.