Die Basis mitnehmen - aber wohin?

Reaktionen auf Saalfeld: Führende PDS-Politikerinnen warnen vor Spaltprozessen in der Partei
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Um die antifaschistische Demonstration in Saalfeld am 11. Oktober zu verhindern, hatte der Thüringer Innenminister Richard Dewes (SPD) den größten Polizeieinsatz in der Geschichte des Landes inszeniert. 800 junge Leute waren größtenteils allein wegen ihres Äußeren von der Polizei vorübergehend festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt worden. Für die PDS-Landesvorsitzende Gabriele Zimmer, die auch stellvertretende Bundesvorsitzende der Partei ist, ergeben sich daraus neue Fragen an die SPD und vor allem an den Innenminister. Immerhin hatte Dewes erst vor wenigen Wochen die Erfurter Erklärung unterschrieben, in der eine Demokratisierung der Gesellschaft gefordert und eine Kooperation mit der PDS in die Diskussion gebracht wird. Die SPD regiert als kleiner Koalitionspartner gemeinsam mit der CDU das Bundesland. Es sind aber wenige Sozialdemokraten, die auch nur im Ansatz eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der PDS wollen; allein Dewes hat immer wieder gegen eine Verteufelung der Partei Position bezogen.

Doch damit allein ist bei der PDS-Landeschefin kein Blumentopf zu gewinnen. "Dewes muß sich entscheiden, wie der auch von ihm in der Erfurter Erklärung proklamierte Politikwechsel aussehen soll. Wenn das in Richtung Polizeistaat und eines undemokratischen Umgangs mit Antifaschisten gehen soll, ist das mit uns nicht zu machen", erklärte Frau Zimmer gegenüber Jungle World. Dewes verhalte sich nicht anders als ein CSU-Innenminister, es stelle sich die Frage, inwieweit er das Anliegen der Erfurter Erklärung wirklich verstanden habe. In der Erklärung werde das selbstbewußte Engagement der BürgerInnen gefordert, und in Saalfeld hätten Gewerkschafter und viele junge Menschen gegen rechte Gewalt aktiv werden wollen. Zimmer: "Ich frage, wie hält es Herr Dewes mit der Akzeptanz außerparlamentarischer Aktionen, wenn sie seinem Verständnis von Staatsmacht entgegenstehen?"

Diese Frage und einige mehr will die Thüringer PDS dem Innenminister auch persönlich stellen. Saalfeld soll auf jeden Fall ein parlamentarisches Nachspiel haben. Zudem will die PDS eine öffentliche Anhörung mit den OrganistorInnen der verbotenen Demonstration und Betroffenen der Polizeiübergriffe veranstalten. Dazu sollen auch Dewes und andere SPD-Politiker eingeladen werden. Die PDS-Fraktion im Landtag überlegt nun, Initiativen gegen das Polizeiaufgabengesetz zu starten, das nach Ansicht von Zimmer Grundlage für die "Polizeistaatsaktionen" rund um Saalfeld war ist. Außerdem soll es auf dem Landesparteitag am kommenden Wochenende eine Diskussion zu Saalfeld, Antifaschismus und dem künftigen Umgang mit der Thüringer SPD geben. In Saalfeld selbst will die PDS dazu beitragen, daß öffentlich über den Polizeieinsatz und die rechtsextreme Gefahr diskutiert wird. "Saalfeld darf kein antifa-freier Raum bleiben", betonte Zimmer.

Auch nach Auffassung der Fraktionsvorsitzenden der PDS in Sachsen-Anhalt, Petra Sitte, müssen Konsequenzen aus dem Polizeieinsatz in Thüringen und dem Demonstrationsverbot gezogen werden. "Heute sind es Demos, bei denen die PDS Bündnispartnerin ist, morgen werden womöglich PDS-Veranstaltungen verboten", erklärte sie auf einer Sitzung des Bundesvorstands in der letzten Woche. Aber auch jetzt schon seien von der zunehmenden Kriminalisierung gegenüber Antifas immer auch PDS-AktivistInnen betroffen. Zum Teil werde gezielt versucht, PDS-Politiker zu stigmatisieren. Die Gleichsetzung von autonomen Antifas und militanten Neonazis durch Politiker wie Dewes zeige auch Wirkung innerhalb der PDS. An der Parteibasis herrsche wachsende Verunsicherung. Viele Mitglieder wollten sich nicht in die Extremismus-Schmuddelecke stellen lassen. Es gebe an der Basis eine große Distanz zu den "doch recht bunten Demos".

Auf der anderen Seite aber seien in der Antifa viele PDSler aktiv. Dieser Widerspruch müsse dringend in der Partei diskutiert werden, damit sie durch die Kriminalisierungsversuche nicht gespalten werden könne. Die PDS müsse sich länderübergreifend auf Widerstandsstrategien verständigen. Sie müsse diskutieren, wie man mit Demonstrationsverboten und Polizeiprovokationen umgehe und wie sie einer Kriminalisierung entgegentreten könne, damit "niemand allein gelassen wird". Zusammen mit der AG Junge GenossInnen, in deren Reihen es viele Antifa-AktivistInnen gebe, müsse auf höchster Ebene, also durch den Bundesvorstand, eine ausgiebige Beratung angesetzt werden.

Die Jungen GenossInnen haben indes ein Treffen mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Rechtsextremismus/Antifaschismus der PDS am 15. November verabredet, bei dem über "antifaschistische Bildungsarbeit an der Basis" gesprochen werden soll. Halina Wawzyniak, Bundessprecherin der AG Junge GenossInnen und Mitglied des Parteivorstands, erklärte in diesem Zusammenhang, die FunktionsträgerInnen der Partei hätten die Aufgabe, das Bewußtsein über rechtsextremistische Strukturen und Entwicklungen an der Basis zu schärfen. Zudem solle die PDS nach Möglichkeit künftig jede antifaschistische Demonstration unterstützen, sagte Wawzyniak.

In Sachsen-Anhalt will die PDS, die dort die Landesregierung aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen toleriert, ein Treffen mit Innenminister Manfred Püchel (SPD) initiieren, um mit ihm über eine "Sicherheitspartnerschaft" zu verhandeln. Es müsse im Vorfeld verhindert werden, daß es zu einer "Frontstimmung" wie in Thüringen komme, sagte Petra Sitte der Jungle World. Die Fraktion wolle künftig dafür sorgen, daß an allen von der PDS unterstützten Demonstrationen auch Landtagsabgeordnete teilnehmen, um einen gewissen Schutz zu bieten.

Petra Sitte sieht "eine zeitlich versetzte, aber gleichmäßige Entwicklung" in den verschiedenen Bundesländern, die auf eine Kriminalisierung von antifaschistischer Politik hinauslaufe. Der SPD-Innenminister in Magdeburg sei dagegen ebensowenig resistent wie sein Amts- und Parteikollege in Thüringen. Die politischen Konstellationen, also der Umstand, daß die SPD in Sachsen-Anhalt mit Hilfe der Bündnisgrünen und der PDS regieren muß, würden aber im Moment noch dafür sorgen, daß eine Situation wie in Saalfeld nicht zu erwarten sei.