Karriereknick in Seoul

Südkorea: Kim Hyun Chul, Sohn von Präsident Kim Young-sam, wurde wegen Korruption zu dreijähriger Haft verurteilt

Die Regierungszeit von Südkoreas Präsident Kim Young-sam läuft Ende des Jahres definitiv aus, und zum Abschluß seiner fünfjährigen Herrschaft ist sein Image gründlich ruiniert. Einer seiner Söhne, der 38jährige Kim Hyun Chul, wurde am 13. Oktober wegen Korruption im Zusammenhang mit der Affäre um den Konkurs des Stahlkonzerns Hanbo zu dreijähriger Haft und einer Geldstrafe von umgerechnet 3,7 Millionen Mark verurteilt - werbestrategisch sehr ungünstig. Rund zwei Monate vor der Neuwahl des Staatsoberhauptes am 18. Dezember war die Partei Neues Korea (NKP), der Kim Young-sam angehört, mit dem Versprechen in den Wahlkampf gezogen, mit der Korruption aufräumen zu wollen. Lee Hoi Chang - von Kims regierender Partei Neues Korea (NKP) zum Präsidentschaftskandidaten gekürt, nachdem der designierte Thronfolger Kim Hyun Chul nicht mehr in Frage kommt - dürfte einen entsprechend schweren Stand haben.

Aussichtsreichster Anwärter auf den Präsidentensessel ist damit Kim Dae-jung vom Nationalen Kongreß für eine neue Politik (NCNP). Der 73jährige kämpfte vor rund zehn Jahren Seite an Seite mit seinem Namensvetter, dessen Nachfolger er jetzt werden will, gegen die Militärdiktatur. Nun zeige sich aber, so der Oppositionspolitiker, daß Kim Young-sam sich vom System kaufen ließ und genau wie seine Vorgänger Schmiergelder von großen international tätigen Industrieunternehmen des Landes, den sogenannten Chaebols, kassierte. Daß Kim von den finanziellen Unternehmungen seines Sohnes nicht unterrichtet war, wie er beteuert, mag man in Südkorea nicht so recht glauben.

Die großartigen Erneuerungen, die Kim Young-sam ankündigte, als er Anfang der neunziger Jahre in die liberaldemokratische Regierungspartei seines Vorgängers General Roh Tae Woo wechselte, sie in NKP umbenannte und alles besser machen wollte, sind ausgeblieben. Die enge Verzahnung des Regierungsapparates mit den Chaebols und den Banken des Landes ist nach wie vor wichtigstes Element der Südkorea AG. Nach dem Prinzip des deficit spending erhalten die großen Unternehmen hohe Kredite von den Banken, finanzieren ihre Produktion also auf Pump. Die Schulden des Hyundai-Konzerns waren 1996 beispielsweise fünfmal so umfangreich wie dessen Eigenkapital. Das funktioniert nur, weil der Staatsapparat das Bankenwesen kontrolliert und zusätzlich die Chaebols mit umfangreichen Subventionen ausstattet. Ein Teil des Geldes fließt im Gegenzug wieder zurück in die Taschen einzelner Politiker. Allein General Roh Tae Woo hat sich in seiner Amtszeit als Staatspräsident (1988 bis 1992) um rund 650 Millionen Dollar bereichert.

Die Spezifik des südkoreanischen Wirtschaftssystems hat viel mit den Vorgeschichte des Landes zu tun. Bei Gründung der Republik Korea im Jahre 1948 war sie ökonomisch nicht überlebensfähig. Die Bodenschätze der koreanischen Halbinsel befinden sich zu mehr als vier Fünfteln im Norden - in der Hand der pseudo-kommunistischen Kim-Dynastie. Landwirtschaftlich ist der Boden ebenfalls nur bedingt nutzbar. So entschied man sich, unter US-amerikanischer Protektion eine stark export-orientierte High-Tech-Industrie aufzubauen. Damit wurden gewaltige Veränderungen der stark agrarisch geprägten Gesellschaft notwendig: Die Urbanisierungsrate etwa stieg von 32 Prozent (1965) auf 73 Prozent im Jahre 1995, das Bildungssystem erfuhr einen enormen Modernisierungsschub, um ein entsprechendes Potential an Facharbeitern heranzuziehen, und letztlich bedurfte es auch der aktiven Wirtschaftsförderung durch den Staat.

Politisches Pendant zur boomenden Chaebol-Ökonomie, dank derer Südkorea - 1960 noch eines der ärmsten Länder weltweit - heute zu den 15 wirtschaftsstärksten Staaten zählt, ist bis heute ein autoritäres Präsidialsystem. Paradoxerweise zieht sich zugleich ein demokratischer Anspruch durch die Geschichte der Republik. So enthält Kapitel zwei der Verfassung ganze 30 Artikel, die etliche Grundrechte festschreiben, welche de facto nicht existieren. Die bisher erfolgten Machtwechsel in Seoul haben daran nichts geändert, die ideologischen Unterschiede der Präsidenten waren eher gering. Scheinbar unabänderliche Elemente südkoreanischer Politik sind Antikommunismus, Konservatismus und eine autoritäre Staatsführung, auch wenn mit Kim Young-sam seit 1993 ein Zivilist das Präsidentenamt inne hat. Ohne eine repressive Innenpolitik ließe sich die Chaebol-Wirtschaftsindustrie auch nicht aufrecht erhalten. Denn der rasante Aufschwung des Landes, das etwas kleiner ist als die ehemalige DDR, beruht vor allem auf einer sehr arbeitsintensiven Produktion, und die ist nur dann rentabel, wenn die Arbeitskraft extrem ausgebeutet wird. So bemängelt die nicht-zugelassene Gewerkschaft KCTU das geringe Sozialniveau der Republik, insbesondere die langen Arbeitszeiten und die zahlreichen Arbeitsunfälle. Kein anderes Land der Welt verzeichnet so viele schwere Unfälle in den Betrieben wie Südkorea.

Mit der Arbeitsgesetzgebung vom Dezember 1996 hat in Südkorea, seit Beginn dieses Jahres OECD-Mitglied, auch die "Flexibilität" Einzug gehalten. Konjunkturabhängige Beschäftigung und die Erleichterung von Entlassungen wurden gegen den wochenlangen, erbitterten Widerstand der Arbeitenden und der Gewerkschaften durchgesetzt. Das Arbeitsgesetz wurde in einer nur wenige Minuten dauernden Geheimsitzung des Parlaments durchgepeitscht, zugleich wurden die Sondervollmachten des berüchtigten Geheimdienstes erneuert.

Ob unter einer Präsidentschaft Kim Dae-jungs, der momentan die Wahlumfragen mit großem Abstand anführt, das System ins Wanken käme, bleibt offen. Die NKP behauptet, Kim habe seit Beginn der neunziger Jahre selbst mindestens rund 123,5 Milliarden Mark an Schmiergeldern angesammelt. Andererseits ist die NKP, deren Kandidat Lee sich als "Mr. Clean" darzustellen versucht, keine besonders glaubwürdige Quelle. Fraglich auch, ob die Eliten des Landes - Chaebol-Unternehmen, Banken, politischer Apparat und das hochgerüstete Militär - sich einen Machtwechsel bieten lassen würden. Als im August 1996 Roh Tae Woo und sein Amtsvorgänger Chun Doo-hwan wegen Korruption und des Kwangju-Massakers von 1980 verurteilt wurden, gab es Putschgerüchte, die sich während der Streikbewegung im Januar wiederholten. Die Börse jedenfalls zeigt sich knapp zwei Monate vor der Direktwahl des neuen Präsidenten verunsichert: Die Kurse sind so niedrig wie seit fünf Jahren nicht mehr.