Kuschelweiche Koalitionäre

Harmonie ist Trumpf bei den Koalitionsverhandlungen zwischen GAL und SPD in Hamburg

Eine "geistige Waffenschmiede der Arbeiterbewegung" solle die Stätte sein, verkündete im Jahr 1906 der SPD-Vorsitzende August Bebel anläßlich der feierlichen Einweihung des Hamburger Gewerkschaftshauses. Der Arbeiterpalast sollte die mächtigen Kontorhäuser der Hamburger Kaufmannschaft an Eindrücklichkeit noch übertreffen. Von Waffen redet dort heute niemand mehr, eine SPD-Bastion ist das repräsentative Haus aber geblieben. Ausgerechnet hier tagte in der vergangenen Woche die Mitgliederversammlung der Hamburger Grün-Alternativen Liste (GAL), um sich über den Zwischenstand der Koalitionsverhandlungen mit den Sozialdemokraten zu unterrichten.

Bei den im Elbe-Weser-Saal Versammelten ging es dann allerdings wenig proletarisch zu. Applaus brandete auf, als die Verhandlungskommission verkündete, welch großen Erfolg sie in der Wohnungspolitik errungen hatte: Die "Fehlbelegungsabgabe", die alle diejenigen zahlen müssen, die eine Sozialwohnung bewohnen, obwohl ihr Einkommen dafür zu hoch ist, soll sich am Mittelwert des örtlichen Mietspiegels orientieren. Bisher hatten die Mieten manchmal darüber gelegen. Da kam Freude auf bei den inzwischen besser situierten, von Studenten zu Studienräten gewandelten Alternativen. Weniger erfreut waren sie über die Verhandlungsergebnisse in der Schulpolitik. "Ich bin froh, daß ich hier keine Eier oder Tomaten abbekommen habe", bekannte Christa Goetsch, die für diesen Bereich verantwortlich war. Denn trotz steigender Schülerzahlen wird auch eine rot-grüne Stadtregierung keine neuen Lehrerstellen schaffen.

Die grün-alternativen Verhandlungskommissare haben sich voll und ganz auf die herrschende Sparlogik eingelassen. "Der finanzielle Rahmen ist objektiv vorgegeben", belehrte Verhandlungsführerin Krista Sager das Auditorium im Gewerkschaftshaus. In allen Bereichen müsse gespart werden. Entsprechend enttäuscht zeigte sich Anna Ammon, die Landeschefin der GEW. Die Vereinbarungen seien "eine Ohrfeige für alle", die auf eine rot-grüne Wende in der Bildungspolitik gesetzt hätten. Direkt nach den Wahlen hatte die Lehrergewerkschaft noch Stimmung für eine rot-grüne Koalition gemacht. Daß die Grünen bereit sind, für reibungslose Koalitionsverhandlungen ihre politischen Freunde zu verprellen, hatten schon die Naturschutzverbände zu spüren bekommen.

Doch es gibt auch einige überraschende Zugeständnisse von der SPD. Die verzichtete beispielsweise auf ein schon längst in Planung befindliches Neubaugebiet im Süden Hamburgs, um den vom Aussterben bedrohten Wachtelkönig, der dort ansässig ist, nicht zu bedrängen. Auch ein ehemaliges Truppenübungsgelände, auf dem allerlei Großprojekte angedacht waren, soll jetzt unter Naturschutz gestellt werden.

Die problematischsten Fragen werden von den kuschelweichen Verhandlungspartnern unterdessen hinausgeschoben. Überall, wo es strittig werden könnte, flüchtet man sich in "Absichtserklärungen" oder leitet erst einmal "Evaluierungen" ein. Auch der Konflikt um die Erweiterung des Betriebsgeländes für den Flugzeugbauer Dasa, für die das ökologisch besonders wertvolle "Mühlenberger Loch" in der Elbe teilweise zugeschüttet werden müßte, wurde erst einmal verschoben. Krista Sager versuchte, ihre Basis zu beruhigen: Da noch gar nicht geklärt sei, ob der Bau des Super-Airbus für den die Ausdehnung notwendig würde, überhaupt in Hamburg stattfinden werden, gebe es in dieser Frage keinen Entscheidungsbedarf. Ob es denn eine Absichtserklärung zugunsten des Mühlenberger Loches gebe, wurde Sager von einem "GAL-Sympathisanten" aus dem noblen Elbstadtteil Blankenese gefragt, der die Entwertung dieses "wichtigen Naherholungsgebietes" durch die Expansion des Dasa-Betriebes auf dem gegenüberliegenden Ufer fürchtete. Die routiniert windige Antwort der Politikerin: "Ich sage ganz klar, wir sind hier in Verhandlungen mit der SPD." Auch die geplante Abschaltung des AKW Brunsbüttel, die die Grünen sich als besonderen Verhandlungserfolg an die Brust heften, ist eine langfristige und vage Angelegenheit. Erst im Jahr 2002 sollen die Hamburgischen Electricitäts-Werke, deren Mehrheitsaktionär das Land Hamburg ist, die kompletten Anteile an dem berüchtigten "Schrottmeiler" übernehmen. Und nur wenn Gutachten bestätigt hätten, daß andere Energieformen wirtschaftlicher wären, würde das AKW abgeschaltet.

Die harmonische Grundstimmung der Verhandlungspartner können diese "Wenns" und "Abers" nicht stören. Ihnen geht es weniger um ferne Jahre nach der Jahrtausendwende als um 1998. Denn ein glanzvoller Einstieg in ein rot-grünes Hamburg hätte auch bundesweite Ausstrahlung. Nur wenn die rot-grünen Landesregierungen funktionieren, wird das Modell auch bei den Bundestagswahlen eine Chance haben. Politische Differenzen stören da nur.