Ritterkreuz ohne Haken

Gegen junge Rechtsradikale will die Bundeswehr nun vorgehen. Alte Nazis genießen nach wie vor ihre Wertschätzung

"In einer schwierigen Phase der organisatorischen Umstellung", so die Bonner Hardthöhe, habe sich das Gebirgsjägerbataillon 571 befunden, als dessen Angehörige sich in den Jahren 1993 bis 1995 den Dreharbeiten für ein neues Reality-Video widmeten. Über einen längeren Zeitraum, entschuldigte man sich, seien in der Einheit diverse Posten unbesetzt gewesen; untere Dienstgrade hätten dann ersatzhalber Posten über ihrer eigentlichen Stellung ausfüllen müssen, "so daß eine gezielte Dienstaufsicht aus einer persönlichen Kenntnis der Soldaten heraus nicht möglich war", wie die Wehrbeauftragte des Bundestags, Claire Marienfeld, formuliert.

Die Argumentation ist wiederholt worden, so oft Soldaten der Bundeswehr ihren Gefühlen und ihren Fäusten freien Lauf ließen: Die Institution ist an sich gut, demokratisch und human; wenn es dennoch zu rechtsextremen Übergriffen von Soldaten kommt, dann sind das Einzelfälle, die lediglich dokumentieren, daß die Armee ihre Glieder gelegentlich nicht ausreichend kontrolliert. Für Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) ergibt sich daraus vor allem eins: Die Streitkräfte brauchen mehr Informationen über die Wehrpflichtigen, am besten "uneingeschränkte Auskunft aus den Zentralregistern" über einschlägige Vorstrafen ihrer Rekruten. Marienfeld fordert eine "Verbesserung der staatsbürgerlichen Unterrichtung und politischen Bildung".

Doch es hieße den Bock zum Gärtner machen, wollte man ausgerechnet die Offiziere der Bundeswehr zu Wächtern über die politische Gesinnung ihrer Untergebenen befördern. Keine Institution der wahrlich nicht antifaschistischen BRD begreift bis heute in so unverhohlener Weise die Jahre von 1933 bis 1945 als traditionsbildend wie die Bundeswehr. Jahrzehntelang mußten Antimilitaristen auf die Armeeführung einwirken, bis zumindest die Namen der verurteilten Kriegsverbrecher Ludwig Kübler und Eduard Dietl aus den Traditionsecken der Standorte und von den Kasernentoren verschwunden waren. Hinter den Toren werden währenddessen weiter die Lehrfilme der Wehrmacht zur Ausbildung benützt - angeblich wegen ihres großen Realismus, der sich unter anderem in der herrlichen Taiga-Landschaft als Szenerie zeigt. Solche Kontinuität nicht nur im Inhalt, sondern auch im Stil kann kaum verwundern: In organisatorischer wie in personeller Hinsicht ist die Bundeswehr die Nachfolgeorganisation der NS-Wehrmacht. Noch 1976 waren unter den damals 217 Generälen der deutschen Truppe gerade mal drei, die nicht den Eid auf "den Führer und Reichskanzler des Deutschen Volkes" abgelegt hatten. 674 spätere Staatsbürger in Uniform hatten von Hitler persönlich die höchste Auszeichnung des Dritten Reiches verliehen bekommen, 117 Träger dieses Ritterkreuzes des Eisernen Kreuzes schafften es im demokratischen Deutschland in den Generalsrang.

Man könnte vermuten, auch die Bundeswehr verjünge sich: Immerhin vermeldete die Hardthöhe vor einigen Jahren nicht ohne Erleichterung, nunmehr befinde sich kein Wehrmachtsveteran mehr in ihren Diensten. Doch Traditionen, zumal institutionell gefestigte, sind zählebig. In den Offiziersheimen und bei den Kameradschaftstreffen weht ein verläßlicher Wind aus der äußersten rechten Ecke; über die Trennung von militärischer Leistung und angeblicher politischer Ahnungslosigkeit werden auch für progressive Sterneträger die Kübler und Dietl akzeptabel. Weil sich die Bundesrepublik zu 95 Prozent einig ist, daß sie diese Armee braucht, wird darüber nicht sehr viel geredet. Die verdrängte Tatsache wird immer dann manifest, wenn sich die olivgrün Gewandeten selbst an die Medien wenden - wie die Angehörigen des Gebirgsjägerbataillons aus dem sächsischen Schneeberg.

Daß der Flirt mit der deutschen Armeetradition kein Privileg der unteren Chargen ist, zeigt sich immer dann besonders sinnfällig, wenn ein trotzig-stolzer Standortkommandeur darauf besteht, in der Regionalzeitung abgebildet zu werden, eingerahmt von Altmännerhälsen, an denen eben jenes Kreuz baumelt, das auch seinen Dienstpanzer als deutschen erkennbar macht. Das Hakenkreuz, welches das Original-Ritterkreuz zierte, fehlt heute zumeist, am Kettenfahrzeug wie am Greisenhals: Heute müssen die Veteranen ihren Orden verkehrt herum tragen, mit der Hakenkreuz-Seite zum Herzen. Das nennt man demokratische Läuterung.

Die Bundeswehr hat, wie die Bundesregierung zugibt, an allen bisher 43 Jahrestreffen der Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger des Eisernen Kreuzes e.V. teilgenommen. Als Mitte Oktober - wie alljährlich zum Jahrestag der Hinrichtung der NS-Kriegsverbrecher Wilhelm Keitl und Alfred Jodl - die Ritterkreuzträger ihrer Toten gedachten, da durften die aktiven Offiziere wieder einmal nicht fehlen. Brigadegeneral Wulf Wedde, Leiter der Infanterieschule Hammelburg, setzte eine Führung durch die Schule aufs Programm und machte folglich auch dem Kameradschaftsabend der knapp 100 von Hitler persönlich ausgewählten alten Kämpfer seine Aufwartung. Als sich die Ordensträger im Jahr zuvor in Dresden treffen wollten, sagte die Bundeswehr, ähnlich wie in Hammelburg, ihre zunächst versprochene Teilnahme wieder ab. Der Befehlshaber des dortigen Wehrbereichs VII und Kommandeur der 13. Panzerdivision, Generalmajor Michael von Scotti, ließ es sich dennoch nicht nehmen, ein Grußwort zu senden. Zum Treffen 1993 in Celle spielte das Heeresmusikkorps "Ich hatt' einen Kameraden", Rekruten des Panzerbataillons 334 legten am Ehrenmal eine Kranz nieder. Das Grußwort in der Zeitschrift Das Ritterkreuz stammte diesmal von Brigadegeneral Molsen von der 33. Panzerbrigade, der schrieb, was die Bundeswehr von der Nazi-Wehrmacht lernen kann: "Ein gesundes inneres Verhältnis zu den soldatischen Vorgenerationen, auch im geistig-moralischen Sinne" und die "Bereitschaft der Bundeswehr, zu kämpfen, wenn die Wiederherstellung des Friedens dies erfordern" sollte. Im Herbst 1990 fand das Treffen im badischen Bruchsal statt. Die Schirmherrschaft hatte der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth übernommen.

Im vergangenen Jahr richtete die bündnisgrüne Abgeordnete Annelie Buntenbach eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung, um deren Haltung zu der Nazi-Ordensgemeinschaft zu erfahren. Als Antwort zitierte die Regierung die Satzung, in der als Vereinszweck unter anderem der "kameradschaftliche Zusammenschluß aller Ritterkreuzträger und Träger des MVK (Militärverdienstkreuzes)" und "die Pflege und Förderung echten Soldatentums im demokratischen Staat" genannt wird. Fazit: "Das zum Ausdruck gebrachte Bekenntnis zum demokratischen Staat ist nach Auffassung der Bundesregierung eindeutig." Hält es die Bundesregierung, wollte Frau Buntenbach wissen, für geboten, sich von der Ordensgemeinschaft zu distanzieren? "Nein."

Es wollten sich "lediglich ein paar alte Opas zum Bier treffen", beteuerte Ober-Ritter Wolfram Kretz vor dem Hammelburger Treffen. Offenbar hatte Kertz Kreide gefressen. Hinter verschlossenen Türen fand er wieder zu dem Wortschatz zurück, der unter seinesgleichen bis heute gepflegt wird: Demonstranten seien "menschlicher Abschaum". Im selben Ton tönt es aus dem Ritterkreuz heraus: Von den "zeitgeistverdorbenen Neudeutschen" ist da die Rede, die einer "Umerziehung" unterworfen worden seien, das deutsche Volk solle "nicht ewig büßen", "es muß uns mit Schmerz erfüllen, daß Ostpreußen, Ostpommern, Brandenburg und Schlesien polnisch besetztes Gebiet bleiben werden. Aber in unseren Herzen wird immer ein Licht brennen, daß dieses deutsche Land nicht ewig von uns getrennt sein wird." Das könnten auch die jungen Neonazis aus Schneeberg unterschreiben. Aber ein Grußwort vom Vorgesetzten bekämen sie dafür kaum. Oder höchstens abends im Mannschaftsheim, wenn keiner guckt.