Tiger ohne Zähne und Geld

Thailands Militär sieht in der Finanz- und Regierungskrise neue Chancen

Als vergangene Woche in der thailändischen Hauptstadt Bangkok die "Asiatische Verteidigungskonferenz", die größte Waffenshow Südostasiens, zu Ende ging, waren die zahlreichen Anbieter entäuscht. Verzeichnete die Region im Jahr 1996 noch über ein Viertel aller Waffenimporte weltweit und belegte damit nach dem Mittleren Osten Platz zwei, wollte dieses Jahr niemand so richtig einkaufen. Aufgrund der diversen Währungsstürze fehlte den in Bangkok versammelten Militärchefs Südostasiens einfach das nötige Kleingeld, um bei den vertretenen Rüstungsfirmen zu bestellen.

Wenig zum Kaufen animierend ist sicher auch die Situation in Bangkok: Tausende verlangten zeitgleich zur Waffenbörse mittels Demonstrationen und Straßenblockaden den Rücktritt des thailändischen Ministerpräsidenten Chaovalit Yongchaiyut. Auch seine 48 Minister ließen den Regierungschef im Stich und reichten alle ihren Rücktritt ein. Chaovalit, erst seit Anfang dieses Jahres im Amt, steht damit vor einem enormen Problemberg: Neben der Bevölkerung und seiner Sechs-Parteien-Koalition ist auch der Internationale Währungsfonds (IWF) nicht gut auf ihn zu sprechen. Das Königreich Thailand war Anfang Juli nämlich das erste Land der Region gewesen, das unter Währungsdruck geriet und den bisher festen Umtauschkurs des Bath zum US-Dollar aufgeben mußte. Umgerechnet rund 30 Milliarden Mark stellte der IWF Thailand daraufhin zur Verfügung. Nicht ohne Gegenleistung, versteht sich. Ein wirtschaftliches "Reformpaket" sollte das Land, das etwas kleiner ist als Frankreich, dafür verabschieden. Als die Frist dafür schon eine Woche abgelaufen war, beschloß das Kabinett Chaovalits am 14. Oktober einen umfassenden Maßnahmenkatalog. Kernstücke der "Reform": Die Schaffung einer Finanz-Restrukturierungsagentur, die bankrotte Firmen "abwickeln" - also an kapitalstarke in- oder ausländische Unternehmen veräußern - soll und drastische Einsparungen im Staatshaushalt, der 1998 unbedingt Überschuß abwerfen muß. Dazu sollte unter anderem ab 1. Januar pro Liter Benzin und Diesel-Kraftstoff ein Bath (bei Redaktionsschluß ungefähr viereinhalb Pfennige) ans Staatssäckel abgeführt werden. Das mobilisierte jedoch Fischer und Lkw-Fahrer gegen die Regierung. Am Morgen des 17. Oktober sprachen auch die Chefs nationaler Mineralölunternehmen beim Ministerpräsidenten vor, und noch am selben Tag nahm Chaovalit die Benzin-Abgabe zurück. Damit erzürnte er den IWF und seinen Finanzminister Thanong Bidaya, der erst im Juni eingesetzt wurde und aufgrund seiner Bankiers-Ausbildung als Garant für die Umsetzung der IWF-Vorgaben galt.

Mit der Rücktrittsankündigung Bidayas sowie der weiteren Kabinettsmitglieder regte sich sogleich erneuter Protest gegen die Regierungspolitik. In Thailand fürchtet man, daß die gesamte Wirtschaft zusammenbricht. Knapp zwei Drittel der größten Unternehmen des Landes sind seit Anfang des Jahres bereits zugrunde gegangen, und wenn der IWF wegen der Nichterfüllung seiner Forderungen Thailand den hohen Kredit vom August sperrt, dürften weitere folgen. Denn die Wirtschaft des Landes ist vom Export abhängig, typisch für asiatische "Tiger"-Staaten. Neben Reis und weiteren Agrarerzeugnissen, Zink und Kautschuk liefert das Königreich auch Industrieprodukte in die ganze Welt. Mitte der fünfziger Jahre erlebte das bis dahin sehr rurale Land eine "Dynamisierung von außen". Hauptsächlich durch die USA, die während des Vietnam-Krieges mehr als 50 000 Soldaten dort stationierten und mit der Gründung von "Board of Investment" und der "Industrial Finance Cooperation of Thailand" zum Vorreiter bei der Teilindustrialisierung des Landes wurden. Das seit mittlerweile sieben Jahrhunderten bestehende Königreich erlebte so einen wirtschaftlichen Boom; dennoch ist es auch heute noch überwiegend rural geprägt: 1995 lebten über drei Viertel der Bevölkerung auf dem Land. Die "Tiger"-Industrien sind fast ausschließlich in und um Bangkok herum entstanden, wo mit sechs Millionen ein knappes Zehntel der Thailänder wohnt.

Wie in anderen ostasiatischen Staaten basiert der Wirtschaftsboom in Thailand auf einer besonders harten Ausbeutung der Arbeitenden: Bis zu 14 Stunden am Tag wird in den Betrieben geschafft, schwere Unfälle sind an der Tagesordnung, Löhne und Ernährung unzureichend. Gewerkschaften haben in dieser Situation einen sehr schweren Stand, nur in staatlichen- oder halbstaatlichen Betrieben gelingt es ihnen, einigermaßen Fuß zu fassen. Eine starke kommunistische Bewegung wie vor 20 Jahren, als Thailands KP rund 12 000 Bewaffnete hinter sich wußte, gibt es aber längst nicht mehr. Ein weit verbreiteter Antikommunismus gehört neben der Treue zum König Bhumibol Adulyadej und dem Buddhismus zu den wichtigsten ideologischen Stützen des thailändischen Systems. Seit 1952 ist jegliche kommunistische Aktivität im Lande per Gesetz unter Strafe gestellt.

Angesichts der aktuellen Krise gelingt es den Militärs - jahrelang Garant für die Entwicklung der Industrie im Lande -, sich wieder als Machtfaktor ins Spiel zu bringen. Die Generäle Chetta Tanajaro und Mongkol Ampornpisith forderten in der vergangenen Woche Chaovalits Rücktritt zugunsten der Armee, und sollen sich bereits mit dem Premier, Thanong und anderen Politikern des Landes in Verbindung gesetzt haben. Seit dem Bangkoker Massaker vom Mai 1992 hatten sich die Militärs eher um Zurückhaltung bemüht, auch wenn man ihnen nachsagt, im Stillen die moslemischen Separatisten im Süden des Landes zu unterstützen. Die Proteste gegen Chaovalit könnten Chetta und Mongkol nunmehr als Vorwand zum 19. Putsch in der Geschichte der konstitutionellen Monarchie seit 1932 dienen. Der Ministerpräsident will die Krise indes auf seine Weise lösen: Nachdem ihm das gesamte Kabinett davongelaufen war, legte er dem König am Freitag letzter Woche einfach eine neue Ministerliste vor. Bis Ende des Jahres dürften dann Parlamentsneuwahlen anstehen. So sich das Militär nicht vorher - ganz ohne funkelnagelneue Waffen - an die Macht drängelt.