Asylrecht ist Männersache

Frauenspezifische Verfolgungsgründe kennen deutsche Behörden nicht

"Verfolgte Frauen schützen", fordert eine von Pro Asyl und dem Deutschen Frauenrat ins Leben gerufene Kampagne. Vom Weltfrauentag am 8. März 1997 bis zum 8. März 1998 werden Unterschriften gesammelt, mit denen die Bundesregierung und die Regierungen der Bundesländer dazu aufgefordert werden, "ausreichende rechtliche Grundlagen zum Schutz verfolgter Frauen zu schaffen. Frauenspezifische Fluchtgründe müssen endlich auch im deutschen Asylrecht berücksichtigt werden." Frauen, begründet Pro Asyl diese Forderung, werden nicht nur wegen oppositioneller Tätigkeit verfolgt, oft ist allein das Geschlecht Grund genug für Verfolgung.

In islamischen Ländern gelten Frauen, die aus der Rolle fallen, als Gefahr für die Gemeinschaft. Häufig steht deshalb die Todesstrafe schon auf Verstöße gegen die Bekleidungs- und Verhaltensvorschriften. In Indien bedeutet die Geburt eines Mädchens den finanziellen Ruin einer Familie, weil an die Familie des Zukünftigen eine Mitgift gezahlt werden muß. Diese Zahlungen sind zwar mittlerweile gesetzlich verboten; sie sind aber dennoch gängige Praxis und führen immer wieder dazu, daß Familienmitglieder des Ehemannes Mitgiftmorde begehen oder daß weibliche Föten zwangsweise abgetrieben werden. Der Infibulation, der Beschneidung der Klitoris, können Frauen vieler Kulturen nur durch Flucht entrinnen. Zwei bis fünf Prozent der Frauen, an denen die genitale Verstümmelung durchgeführt wird, sterben noch während der Operation. Dazu kommt eine unbekannte Zahl von Frauen, die zum Beispiel beim Gebären eines Kindes an den Folgen sterben. Kinderehen, Zwangsverheiratungen und Zwangssterilisationen sind weitere Fluchtgründe, die insbesondere Frauen betreffen.

Im Anerkennungsverfahren in Deutschland werden sexuelle Gewalttaten gegen Frauen als "Übergriffe durch Privatpersonen" bagatellisiert. Als Beispiel schildert Pro Asyl den Fall einer Frau aus dem Kosovo, die gefesselt in einem Polizeiauto von einem Polizisten vergewaltigt wurde. Ihr Asylantrag wurde in Deutschland abgelehnt. Pro Asyl und der Deutsche Frauenrat fordern nun, den Passus zur Verfolgung aus geschlechtsspezifischen Gründen im Gesetz so klarzustellen, daß diese ein asylrechtliches Abschiebehindernis darstellt. Bisher besteht in Deutschland nur Anspruch auf den Flüchtlingsstatus, wenn die Geflohenen Opfer staatlicher oder staatlich geduldeter Verfolgung sind. Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention definiert einen Flüchtling dagegen als Person, die "aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt". Pro Asyl fordert, diese Definition ins deutsche Ausländergesetz zu übernehmen. Außerdem soll von der gängigen Praxis abgerückt werden, Fluchtgründe, die nicht bereits bei der ersten Anhörung vorgebracht werden, grundsätzlich als "gesteigertes Vorbringen" abzulehnen: Diese Anhörungen werden oft gleich am Flughafen von männlichen BGS-Beamten durchgeführt.

Die Beamten, welche die Flüchtlinge anhören, sollen eine bessere Ausbildung erhalten, "insbesondere über gesellschaftliche Folgen sexueller Gewalt an Frauen, sowie Erkenntnisse über Verfolgungen wegen Übertretens gesellschaftlicher, kultureller und religiöser Normen in einigen Ländern". Auf Wunsch sollen weibliche Beamte die Anhörung von geflohenen Frauen durchführen. Insgesamt, so fordert Pro Asyl, muß auf die psychische Lage der Flüchtlinge Rücksicht genommen werden, bei Bedarf sollen auch Verfahren verschoben oder Psychologinnen hinzugezogen werden. Oft, so kritisierte Burkhardt, seien die Anhö-rungen darauf ausgelegt, Widersprüche in den Aussagen der Frauen zu finden, die zu einer Ablehnung führen könnten.

Amnesty international dagegen kritisiert die Forderung, eine Verfolgung aus geschlechtsspezifischen Gründen ins Ausländergesetz aufzunehmen. "Der Staat", sagt ein Sprecher der Gefangenen-Hilfsorganisation, "soll nicht definieren, was Verfolgung ist." Durch jede Definition verfolgter Einzelgruppen würden andere soziale Gruppen - zum Beispiel Homosexuelle - vom Schutz durch das Asylrecht ausgenommen. Deshalb konzentriert sich amnesty international auf eine Änderung der Asylverfahrensgesetze. Neue Verfahrensvorschläge sollen die besondere Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Fluchtgründe erreichen. So ist man sich zum Beispiel mit Pro Asyl einig darin, daß die Anhörungen durch Frauen durchgeführt werden sollen und daß traumatisierte Flüchtlinge psychosozial betreut werden müssen.

Die PDS setzt sich für eine Gesetzesänderung im Sinne von Pro Asyl ein. "Unser Hauptanliegen ist es", so eine Sprecherin des Büros der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke, "die sexuelle Gewalt gegen Frauen zu politisieren". Staatliche Verfolgung dürfe nicht weiter der einzige Grund für Asylberechtigung bleiben. Die PDS will die Forderungen von Pro Asyl im Bundestag thematisieren. Gesetzesvorschläge zu erarbeiten, so die Sprecherin, sei dann die Aufgabe der Regierung. Pro Asyl wiederum kritisiert diese Strategie der PDS. Die Partei solle mit radikaleren Vorstößen die öffentliche Diskussion anregen, anstatt mit abgeschwächten Forderungen auf Stimmenfang zu gehen; im Wahlkampf werde das Thema sowieso untergehen. Günter Burkhardt forderte die PDS auf, "die Fahne höher zu halten" und nicht den Weg der Grünen einzuschlagen. Die PDS will aber pragmatisch bleiben: Es gehe nicht darum, was man gerne hätte, sondern was politisch erreichbar sei.

Ursprünglich sollte die Kampagne bis zum 8. März 1998 laufen, doch Günter Burkhardt hat bereits Bedenken angemeldet: Er befürchtet, daß die Forderungen wegen der anstehenden Bundestagswahlen zwar wahlkampftaktisch diskutiert würden, daß sie nach den Wahlen jedoch in Vergessenheit geraten. Deshalb ist er für eine Verlegung des Kampagnenendes auf einen Termin nach den Wahlen.