Trucks für den Bürgerkrieg

Der bayerische Fahrzeugbau-Konzern MAN rüstet das algerische Militär mit Panzerschleppern aus

Ein später Dienstagabend im Hamburger Hafen. Die "Tebessa" aus Algerien ist startklar. An Bord: 50 Sattelzugmaschinen der Münchner Rüstungsfirma MAN. Die algerischen Matrosen, die in der Ladeluke stehen, wissen, wofür die Ladung bestimmt ist: "It's for the military." Eine halbe Stunde später ist die "Tebessa" unterwegs auf der Elbe Richtung Algerien, mit MAN-Schleppern im Wert von 12,5 Millionen Mark - die algerischen Militärs werden sich freuen.

Seit mehr als 30 Jahren haben die Militär-Machthaber das nordafrikanische Land fest im Griff, seit 1991 herrscht offener Bürgerkrieg in dem ehemals sozialistisch angehauchten Staat, seit 1992 der Ausnahmezustand. Rund 100 000 Menschen starben seitdem. Dabei sind es die Islamisten der sogenannten Bewaffneten Islamischen Gruppen, die immer wieder in die Schlagzeilen geraten, weil sie an Hunderten von Menschen Massaker begangen haben - allein seit Juli dieses Jahres sind 2 000 Menschen bestialisch ermordet worden. Algerien-Kenner wie der Politik-Professor Werner Ruf gehen allerdings davon aus, daß die Militärs und der Geheimdienst längst auch in die Morde verwickelt sind: "Der militärische Sicherheitsdienst ist an den Massakern beteiligt. Es ist eine barbarische Machtelite im Militär, die das Land seit Jahrzehnten auf brutalste Art und Weise unterdrückt und zigtausende Zivilisten ermordet hat."

Ausgerechnet dieses Land hat sich MAN ausgesucht, um seine Hochleistungs-Militärschlepper an den Mann zu bringen. 50 Zugmaschinen des Typs

40-422 - 420 PS starke Sattelschlepper mit 40 Tonnen Gesamttonnage zu einem Stückpreis von 250 000 Mark - hat der bayerische Fahrzeugbauer am 27. Oktober vom Hamburger Hafen aus per Schiff an das Verteidigungsministerium in Algerien geschickt. Es war nicht die erste Lieferung. Hafenarbeiter sprachen gegenüber Jungle World von der dritten oder vielleicht sogar schon vierten Ladung: "Aber bei den anderen Lieferungen waren es immer mehr als 50."

Trifft das zu, rüstet MAN das algerische Militärregime systematisch auf - mindestens 150 Stück, so scheint es, hat der Fahrzeughersteller schon geliefert. Dabei umgehen die Lkw-Bauer geschickt die deutschen Ausfuhrbestimmungen, deklarieren die Sattelzugmaschinen als ganz normale Lkw aus der Serienproduktion. Ein Konzernsprecher, der namentlich nicht genannt werden möchte: "Wir bestätigen die Lieferung von Lkw an das algerische Verteidigungsministerium. Hierbei handelt es sich allerdings um ganz normale Serien-Lkw." Mehr will MAN offiziell nicht sagen: "Wir haben mit der algerischen Regierung Stillschweigen über die Lieferungen vereinbart." Nur noch so viel: "Es handelt sich um zivile Lkw." Zwar seien die Lkw im militärischen Olivgrün lackiert, aber das sei "Zufall".

Eine dreiste Lüge. Denn hier handelt es sich um einen Geheimdeal, vorbei an der Bundesregierung und dem Bundesausfuhramt, das normalerweise für die Genehmigung von Rüstungstransporten zuständig ist. Tatsächlich ist der Lkw 40-422 ein Panzerschlepper. "Mit dem kann man jeden Panzer ziehen, egal wie groß oder wie schwer", sagt Otfried Nassauer, Leiter des Berliner Informationszentrums für transatlantische Sicherheit (BIZ). Der Trick dabei: Serien-Lkw werden von den deutschen Exportbestimmungen nicht erfaßt, es sei denn, sie sind speziell umgerüstet. Zwar sind die gelieferten Lkw olivgrün lackiert, die Fensterfronten mit kugelsicherem Glas verstärkt, und das algerische Verteidigungsministerium ist der Empfänger, aber: "Wir haben keine Handhabe, die Lieferung zu stoppen, selbst wenn sie militärisch genutzt wird", sagt Günther Losse, Sprecher des Hamburger Zolls. "Das sind Grenzfälle, wo wir uns an die gesetzlichen Bestimmungen zu halten haben und leider nicht nach unserem Gefühl entscheiden können." Solche Lieferungen, so Losse, kämen "öfter vor".

Für Angelika Beer, die Verteidigungspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, sind die Lieferungen zwar ein Skandal, aber prinzipiell nichts Neues: "Das reiht sich ein in die Chronologie einer Politik, die auf Menschenrechte keinen Wert legt. In die Gesetze für Rüstungsexporte muß eine Menschenrechtsklausel hinein." Ihre Kollegin, die Bundestagsabgeordnete Amke Dietert-Scheuer aus Hamburg, will die Bundesregierung in der aktuellen Bundestags-Debatte über Algerien zu den MAN-Lieferungen befragen. Doch auch, wenn sich die Politik moralisch entrüstet: Deutschland ist mit seinen Maschinenbaufirmen wie MAN oder Daimler in Sachen Militär-Lkw und Panzerschlepper weltweit die Exportnation Nummer eins.

Und daran wird sich zunächst nichts ändern. Otfried Nassauer: "Die politische Frage lautet: Warum sind solche Militärgüter eigentlich nach deutschem Exportrecht immer noch keine Kriegswaffen und auch keine genehmigungspflichtigen Dual-Use-Güter? Die deutschen Industriekonzerne wollen in der Zukunft militärische Lkw genauso problemlos exportieren wie zivile. Dafür nutzen die Rüstungs-Lobbyisten auch ihren Einfluß auf die deutsche Politik." Die Panzer für die Schlepper wollte sich das algerische Militär anscheinend zum größten Teil in der Tschechischen Republik besorgen. Dort bestellten die Generäle 100 modernisierte Kampfpanzer des russischen Fabrikats T-72 im Wert von 70 Millionen Mark und lösten damit eine innenpolitische Krise aus, die im Juli dieses Jahres fast zum Bruch der Prager Koalition geführt hätte. Nachdem bekannt geworden war, daß vier Minister der Demokratischen Bürgerpartei - unter ihnen Ministerpräsident V‡clav Klaus - für den Verkauf der Panzer gestimmt hatten, drohte der Vorsitzende der Christlichen Volkspartei mit dem Rückzug seiner Partei aus dem Kabinett. Daraufhin wurde der Panzer-Deal gestoppt.

Der Münchner Konzern ist sich der Brisanz des Geschäfts durchaus bewußt: "Mit Algerien ist das immer ein heikles Geschäft", gibt ein Sprecher der MAN schließlich zu und bittet um Vertraulichkeit, sogar um Stillschweigen. Schließlich dürfte MAN mit den Militär-Schleppern um die 50 Millionen Mark einnehmen: "Wenn Sie das veröffentlichen, gefährden Sie unseren Transport und das Leben unserer Leute." Auch innenpolitisch sei es "schwierig", solche Transporte nach Algerien zu begründen: "Aber wir haben halt alte Kontakte nach Algerien. Wenn wir das Geschäft nicht machen, macht es ein anderer."

Der Artikel erscheint auch in der November-Ausgabe des Hamburger Stadtmagazins HH 19