Alle Zwangsdienste müssen weg!

Wer eine Berufsarmee fordert, nimmt auch eine allgemeine Dienstpflicht in Kauf.
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Es soll nicht wenige Brandenburger geben, die noch im Frühling für die Abschaffung der Wehrpflicht waren, nach der Oder-Überschwemmung im Sommer und dem Bundeswehreinsatz an den Deichen jedoch dagegen sind. Die Deichhilfe ist sicher kein gutes Argument gegen die Abschaffung der Wehrpflicht, aber es ist auch nicht ganz so banal, wie es zunächst scheint. Denn in der Tat würden Berufssoldaten wohl nur ungern Sandsäcke durch die Gegend schleppen. Wer freiwillig bzw. für Geld zur Armee geht, der will nicht Sandschippen, sondern schießen. Die jüngsten rechtsextremistischen Vorfälle in der Bundeswehr, sind ein Hinweis darauf, daß nach einer Abschaffung der Dienstpflicht aus der Bundeswehr eine große rechte Wehrsportgruppe werden würde. Gerade nationalistisch und in der Folge rassistisch eingestellte Männer wollen für ihr Vaterland mit der Waffe in der Hand kämpfen; gerade autoritätshörige, unselbständige, undemokratische Männer mit Männlichkeitswahn zieht es hin zu Uniform und Kadavergehorsam. Eine Freiwilligenarmee in Deutschland, das wäre - mehr noch als es die jetzige Pflichtarmee ohnehin schon ist - eine Spielwiese für Neonazis, Machos und gewaltgeile Rambos.

Schlagkräftig wäre eine solche Truppe natürlich. Kein Wunder, daß auch zahlreiche Militärs und konservative Politiker eine Professionalisierung der Armee befürworten. Nach Jugoslawien kann man die Grundwehrdienstleistenden sowieso nicht mitnehmen. Und um Sandsäcke zu schleppen, muß man weder ein Gewehr putzen noch eine Panzerfaust bedienen können. Wer aber schippt dann Sand? Dazu kommt, daß Grüne, PDS und sogar Teile der FDP mit der Abschaffung der Wehrpflicht auch den Ersatzdienst abschaffen wollen. Wer pflegt dann für einen Hungerlohn die Omas und Opas in den Heimen, wer schiebt den ganzen Tag Patienten durchs Krankenhaus, wer chauffiert Behinderte durch die Straßen? Das ganze Pflege- und Gesundheitssystem steht und fällt mit den Sklavendiensten der Zivildienstleistenden.

Der Ersatzdienst ist der Hauptgrund, weshalb Bundeskanzler Helmut Kohl und andere aus Union und SPD gegen die Abschaffung der Wehrpflicht sind. Die Verpflichtung des Bürgers zum Staatsdienst ist dabei nicht nur eine Kostenfrage, sondern auch eine ideologische. Der Bürger soll seinen Beitrag leisten zum Schutz des Vaterlandes und zur Aufrechterhaltung des Gemeinwohls. Das spart nicht nur Geld im Sozial- und Gesundheitsbereich, sondern macht die Dienstleistenden auch zu Komplizen des Staates und konstruiert somit eine nationale Volksgemeinschaft, bei der "das Volk" und "sein Staat" an einem Strang ziehen.

Die Wehrpflicht versetzt weite Teile der männlichen Bevölkerung zumindest zeitweise in ein durch und durch autoritäres System und macht sie zu Kameraden der Herrschenden. Doch auch durch den erzwungenen Zivildienst wird uns eingebleut, daß jeder Deutsche die Verpflichtung habe, für sein Land, also für seinen Staat und seine Nation, einzustehen. Damit werden gesellschaftliche Widersprüche verschleiert und Nationalismus gestärkt.

Wenn also aus militärstrategischen Überlegungen heraus eine Pflichtarmee als unzeitgemäß gilt, kann und wird eine Umwandlung zur Freiwilligenarmee auf jeden Fall nur unter der Prämisse vonstatten gehen, daß im Gegenzug ein Dienstjahr für alle eingeführt wird. Das Pflege- und Gesundheitssystem würde nicht zusammenbrechen und es gäbe sicher noch viele andere Jobs, in denen man mehr oder weniger unentgeltlich Zwangsarbeiter einsetzen könnte. Etwa zum Schneeschippen und Laubkehren. Von solch einem nationalen Dienst ist schon lange die Rede, wenn über die Abschaffung der Wehrpflicht nachgedacht wird. Bei den Kommentatoren der Frankfurter Rundschau genauso wie bei denen der Welt.

Ein solches Zwangspflichtjahr für alle, wäre dann natürlich wirklich für alle, also "auch für Frauen, freilich nicht für Mütter" (Tagesspiegel). So bekommt auch die Initiative von Kohl und Kriegsminister Volker Rühe einen Sinn, die sich dafür ausgesprochen haben, Frauen - wenn sie nicht Mütter sind - einen besseren Zutritt zur Bundeswehr, zunächst im Wachdienst mit der Waffe, zu gewähren. In Wirklichkeit geht es ihnen nicht um einen gleichberechtigten Zugang von Frauen zum Heer. Da die Truppenstärke ohnehin reduziert werden muß, wäre für sie kein Platz. Frauen werden nur deshalb ins Spiel gebracht, damit sie bei einer Abschaffung der Wehrpflicht für den nationalen Zwangsdienst ebenso verpflichtet werden können wie Männer.

Die Forderung - "Frauen in die Bundeswehr" - erfüllt denselben Zweck, wie die Forderung nach der Abschaffung der Wehrpflicht. Es geht um die Etablierung eines allgemeinen Dienstjahres, dem sich kein Staatsbürger und keine Staatsbürgerin entziehen kannn. Und um eine Professionalisierung des Kriegsdienstes, für den man immer weniger, aber dafür immer besser ausgebildetes und höher motiviertes Personal braucht.

Es ist daher fatal, die Werbetrommel für eine Freiwilligenarmee zu rühren. Die Konsequenz kann natürlich nicht sein, im Umkehrschluß die allgemeine Wehrpflicht zu verteidigen, wie es zum Beispiel eine vermutlich und hoffentlich völlig irrelevante "Gruppe Kommunistischer Aufbau" aus Göttingen fordert. Es kann nur eine Forderung von Linken geben: Abschaffung aller staatlichen Zwangsdienste, Abschaffung der Bundeswehr! Wenn man sich, wie die Grünen, diesem Ziel schrittweise nähern möchte, dann muß die Losung nicht Aufhebung der Wehrpflicht, sondern Aufhebung des Zivildienstes lauten.