Horror mit Hütchen

Cindy Shermans Lieblingsmodell heißt Cindy Sherman

Es gibt Hunderte von Fotos, auf denen Cindy Sherman zu sehen ist, aber kaum jemand weiß, wie Cindy Sherman als Cindy Sherman aussieht. Aufsätze über Cindy Sherman heißen "Das Orakel der Bilder" oder "Reisen ins Unterbewußtsein". Über Cindy Sherman ist viel geschrieben worden, weil sie sich ständig selbst fotografiert hat und immer wieder anders aussah.

Als in der vergangenen Woche die Gesellschaft für Moderne Kunst am Museum Ludwig in Köln den "Wolfgang-Hahn-Preis 1997" an Cindy Sherman verlieh (den sie wegen einer Grippe nicht persönlich in Empfang nehmen konnte), machte Laudatorin Katharina Schmidt beiläufig klar, wie sich Kunst und Kunstexperten zueinander verhielten. "Mit höchst artifiziellen Mitteln erstellt sie unvergeßliche Bilder vom Menschen - schön und schrecklich zugleich, die Bestandsaufnahme einer fragwürdigen Spezies." Allerdings: "In ihrer eigenen Schilderung erscheint ihre Arbeitsweise weniger systematisch, weniger theoretisch vorbereitet, als der postmoderne Diskurs vermuten ließe, der im Zusammenhang mit der Rezeption und kritischen Deutung ihres Îuvres relevant wurde." Wie beruhigend.

Mit zweiundzwanzig machte Sherman 1976 ihr Kunstexamen am State University College in Buffalo, 1977 zog sie nach New York. In diesen Jahren entstanden die "Untitled Film Stills", Schwarz-Weiß-Bilder, die anmuten wie Standfotografien, die zu Reklamezwecken im Verlaufe von Filmproduktionen aufgenommen werden. Abgebildet ist immer Cindy Sherman selbst: als Upper-Class-Blondine, die im Abendkleid auf der geblümten Bettdecke eines schmuddeligen Hotelzimmers liegt und melancholisch ins Leere blickt; als adrett zurechtgemachte Tochter mit Hütchen, die befremdet und etwas ängstlich einen bestimmten Punkt der großstädtischen Kulisse fixiert, in die sie hineingeraten ist; als resolute Schlampe mit Kopftuch und Küchenschürze, die nicht vorhat, in der heruntergekommenen Wohnung zu versauern. "Mich haben die Momente zwischen Gut und Böse, Glücklich und Unglücklich, Schön und Häßlich interessiert. Ich wollte, daß diese Fotos wie Szenen aussehen, die ein Filmproduzent rausschneiden würde, weil sie nicht gut genug sind." Dies allerdings ist ihr nicht gelungen; ihre Fotografien wecken den Wunsch, den Fortgang der Geschichte zu erfahren.

1980 begann Sherman mit der Inszenierung großformatiger Farbfotos. In der Serie "Rear Screen Projections" wurde der (häufig unscharfe) Hintergrund - mehrspurige Schnellstraßen, urbane Glitzerfassaden - mit Hilfe des Diaprojektors erzeugt, im Vordergrund erscheint Sherman im wechselnden Outfit als Frau, die durch Mimik oder Habitus andeutet, daß sie hier fremd ist. Im unscharfen Violett ein Mittelklassebungalow, weiter hinten die Silhouette eines mächtigen Hochhauses, im Vordergrund Sherman als junge Frau im blaugeblümten braunbraven Faltenkleid, die, abwesend an den Strähnen ihres langen Haares nestelnd, in eine imaginäre Ferne blickt. Die Frauen haben keine Heimat, und sie suchen keine. Das ist Shermans Thema - und weniger die gerne zitierte "Verletzlichkeit" der Frau. Insofern wird die Suche nach einem Leitmotiv im Werk Shermans zum Paradox: Der postmoderne Diskurs schmust sich auf der Suche nach Identität an ein Werk heran, das die Existenz von Identitäten ununterbrochen in Frage stellt.

Die Porträtfotografie inszeniert ihre Motive in der Regel möglichst vorteilhaft für das abzubildende Subjekt, aber immer mit dem Anspruch auf Authentizität (den der oder die Abgebildete mitformuliert). Sherman durchbricht diese Regel zweifach: Porträts, die niemand in einer Bewerbungsmappe sehen möchte, machen seit vielen Jahren auch andere, das mag Protest gegen Schönheitsideale sowie gegen fotografische und soziale Traditionen sein. Dennoch klagen gerade diese dokumentarisch orientierten Abweichungen, etwa Nan Goldins "Ballade von der sexuellen Abhängigkeit", die wahre Authentizität - sozialer Randexistenzen etwa - gegen die scheinhafte ein. Sherman ist konsequenter: Ihre technisch brillant inszenierte Verwandlungsschauspielerei spricht der Porträtfotografie jede Wirklichkeit ab. Alles ist großes Theater. Sie macht das lächelnd: etwa in der Serie "History Portraits", in der sie Ende der achtziger Jahre Renaissance-Gemälde nachstellte und den Porträtierten das - sorgfältig zurechtgeschminkte - Sherman-Gesicht, manchmal auch Kunststoff-Gliedmaßen auslieh.

Berühmt und berüchtigt wurde Cindy Sherman, als sie von 1992 an ihre "Sex Pictures" veröffentlichte - zu einer Zeit, in der in den USA verstärkt die Zensur von Pornographie gefordert wurde. Sie arrangierte Gliederpuppen, Dummies, Prothesen in Positionen, bei denen Kunstkritiker vornehm von "sexuellen Konnotationen" sprachen: eine liegende nackte Männerpuppe mit schwarzer Gesichtsmaske und halbsteifem Schwanz, im Hintergrund eine Axt, die in einen Holzblock gerammt ist. Eine knieende nackte Frauenpuppe auf dunkelrotem Samttuch, die Hintern und Möse ins Bild hält. Hier, so Margit Brehm in ihrem Aufsatz "Der Körper und seine Stellvertreter", "spüren wir die Künstlichkeit dessen, was wir Realität nennen". Gar nicht: Selbstverständlich geht es um das ganz reale Verhältnis zwischen Mann und Frau, um Beherrschung und Unterwerfung, um gewaltsam erzwungene Verfügbarkeit. Die Bilder entfalten ihren Schrecken, weil die Puppen als universelle Platzhalter menschlicher Individuen fungieren und - in ihrer Nicht-Identifizierbarkeit - die Frage nach dem Zustand der kollektiven Psyche erzwingen.

In der Laudatio zur Kölner Preisverleihung hieß es, die von Sherman präsentierten Körper seien "phantastisch-schön, meist miserabel, ausgebeutet, mißgeboren, krank, in Auflösung, zu Tode verletzbar". Dieses Mißverständnis entspringt der Sucht nach Zuordnung und damit exakt jenem Anspruch, dessen Erfüllung die Fotokünstlerin verweigert, indem sie spielt: Theater. Cindy Sherman ist Kulturoptimistin. Kürzlich hat sie einen Horrorfilm gedreht.

Bis zum 7. Februar 1998 im Museum Ludwig, Köln