Der Fluch des Schloßplatzes

Gefährliche Orte X: Alle Versuche, die Freifläche am Palast der Republik zu beleben, scheitern. Auch die goldene Pyramide wurde nun geschleift. Eine Chronik peinlicher Bauwerke

Waren die Inszenierungen rund um das Hotel Adlon noch recht erfolgreich, so erwies sich der Berliner Schloßplatz als weiterhin unbespielbar. Auch wenn sich auf dem selbsternannten "Schauplatz der Geschichte" inzwischen die mitteleuropäische Provinzialität ausbreitet, die nicht einmal eine schwarze Aushilfskellnerin erträgt, steht das Adlon noch weit besser da als die "Goldene Pyramide" auf dem Schloßplatz, deren traurige Geschichte wir hier erzählen wollen.

Die wüste Freifläche an der Straße Unter den Linden zählt seit 1990 zu den größten Sorgen des inländischen Feuilletons, denn die Völker der Welt, die gebannt auf diese Stadt schauen, sehen in deren Mitte ein großes Loch klaffen. Zu allem Unglück wurde es durch den Abriß des DDR-Außenministeriums auch noch kräftig erweitert und wird durch den Rückbau des Palastes der Republik nochmals vergrößert. Versuche, die Fläche mittels einer Schloßattrappe,

d. h. einer mit bedruckten Folien behängten Gerüstkonstruktion aufzuwerten, erwiesen sich als unbefriedigend. Ergebnislose Symposien fanden im angrenzenden ehemaligen Staatsratsgebäude statt.

Ein grüner Kommunalpolitiker, der lediglich behauptete, auch der Palast der Republik sei Teil der deutschen Geschichte, wurde dabei vom graumelierten Zehlendorfer Pöbel niedergebrüllt. CDU-Landowsky brauchte erst gar nicht aufzudrehen. Die unüberwindliche Tristesse des Platzes ließ sogar die Republikaner schlecht aussehen, die ihn sich im Sommer 1996 als Aufmarschfläche ausgesucht hatten: Verloren standen die braunen Aktivisten da, ausgespien von den heimeligen Reisebussen in eine unwirtliche Welt, doppelt umzäunt, und ihre starken Sprüche verhallten in der Weite des Raums.

Trotzdem waren sich alle einig: Der wahre Schuldige ist der böse Herrscher Ulbricht gewesen, der das Schloß sprengen ließ. Ausführender dieser Tat, bei der man leider die günstige Gelegenheit verpaßte, den scheußlichen Dom mit abzuräumen. Der damalige Stadtbaurat Arnold M. bereut zwar heute seine Tat. "Aber davon werden die Hohenzollern auch nicht wieder lebendig!" rufen wir mit tränenerstickter Stimme in den Orkus hinein. Im Herzen der deutschen Hauptstadt sehen wir heute einen Platz, der mit Bauzäunen und Imbißbuden drapiert ist. In der Mitte gräbt das Archäologische Landesamt in den Fundamenten des Stadtschlosses. Drumherum findet manchmal auch eine Art von Kirmes statt, deren Karussells und Losbuden für farbenfrohes Gewimmel sorgen.

Hinter den Bauzäunen wird seit Jahren lustlos im märkischen Sand gestochert. Es ist ein höchst unwürdiger Zustand, der jeden Patrioten und anständigen Bürger in Empörung versetzen muß. Doch im Frühjahr Anno 1997, nach Beginn der Kampagne "Aktion Saubere Stadt" (CDU Wilmersdorf: Todesstrafe für weggeworfenes Kaugummipapierchen) durfte endlich auch gehandelt: Eine "AG SchloßPalast GbR mbH" stellte mit dem üblichen PR- Aufwand ihre historischen Pläne vor. Der Schloßplatz solle in "ein attraktives Erlebnisfeld internationalen Zuschnitts" verwandelt werden, auf dem eine 18 Meter hohe "lichtdurchflutete Goldene Pyramide" errichtet werde, die das "größte Gästebuch der Welt" beherbergte.

Das Buch in den Maßen von vier mal drei Metern böte Platz für über eine Million Eintragungen, für die pro Person allerdings fünf Mark fällig würden. Für die Eintragungen komme sowohl "Besinnliches", als auch "Lustiges" oder "Kritisches" in Betracht, in jedem Falle sei es ein Beitrag zum "Gesamtkunstwerk", ja sogar zu einer "weltweit einmaligen Kunstaktion". Als offizielle Beglaubigung der geleisteten Unterschrift könne noch für 21,50 Dollar eine Urkunde bestellt werden, die vom "weltberühmten Künstler Ernst Fuchs" unterzeichnet sei. Der Erlös gehe an die "Gesellschaft Historisches Berlin", eine Art Unser-Dorf-soll- schöner-werden- Vereinigung, die auch die schon erwähnten Symposien organisierte. Berliner und Touristen seien nun aufgerufen, mit ihren Eintragungen einen Guinessbuchrekord aufzustellen. Begleitet werde alles vom Bau eines Theaterzeltes, in dem ein "Berlin Historical" und eine "Mitternachtsrevue" - "ein Feuerwerk von Unterhaltung, Artistik, Erotik" uvm. gegeben würden, flankiert von "anspruchsvoller Restauration".

Die SchloßPalast GbR ließ durchblicken, sie habe vier bis sechs Millionen Mark für das Projekt bereitgestellt und wolle insgesamt zwölf Millionen investieren. Donnerwetter. Dies war im April 1997. Die Pyramide wurde von rechtlosen Fellachen unter der Knute der Stahlbaufirma Höcker aus Bad Salzuflen errichtet und vom Hohepriester Professor Ernst Fuchs mit großem Hokuspokus gesegnet. Dann wurde es lange, lange Zeit still um die Goldene Pyramide. Man gewöhnte sich schnell an das Machwerk, das mit beknackten Mustern bemalt worden war und zu dem sich bald die in Berlin unvermeidlichen Imbißbuden, Bierstände und Toilettenhäuschen gesellten.

Die Merchandise-Abteilung der SchloßPalast GbR gab derweil Vollgas: Im Einheitsdesign wurden Sweatshirts, Caps, Armbanduhren, Kaffeetassen, Hosenträger und TrekLingrucksäcke mit der vielsagenden Markenbezeichnung "Desert" angepriesen. Das angekündigte Musical wurde immer wieder verschoben, das Theaterzelt wurde nie gebaut. Die "anspruchsvolle Restauration" bestand aus Pommesbraterei und Bierstand, man nahm auf Gartengestühl Platz (Stück für 6,49 Mark bei Rudis Resterampe). Die Besucherzahl kletterte im Sommer auf 30 000, zur Million fehlten also noch ein paar. Schließlich kam im August die Nachricht vom Konkurs der "AG SchloßPalast GbR mbH".

Ehemalige Mitarbeiter berichteten vom "blitzartigen Rückzug der Schuldner ins Ausland". Per Fax gekündigte Mitarbeiter, um zwei Millionen Mark ärmere Gläubigerfirmen und geleimte Lieferanten stimmten den großen Katzenjammer an. Auch die Gesellschaft Historisches Berlin klagte, nur lausige tausend Mark als Spende aus der Unternehmung erhalten zu haben. Die Pyramide wurde geschlossen und das größte Gästebuch der Welt zugeklappt. Der unbändige Horror vacui, der den Menschen stets beim Betreten des Schloßplatzes befallen hat, hatte wieder einmal Opfer gefordert.

Ist der Platz ein magischer Ort, der alle menschlichen Pläne zum Scheitern bringt, ein schwarzes Loch im Universum, reine Antimaterie, lastet auf ihm ein Fluch, ist es - man wagt es kaum auszusprechen - der rastlose Geist des unseligen Ulbricht, der hier spukt ? Ende Oktober drängelte die Lokalpresse: "Das Bauwerk soll verschwinden" und fragte: "Wohin mit dem riesigen Gästebuch?" Tatsächlich war hier Eile geboten, denn der Anblick der nun mit Gerümpel gefüllten Pyramide und die umliegende Pommesbuden-Geisterstadt stand allen als Sinnbild menschlichen Scheiterns vor Augen. Doch niemand wollte die 60 000 DM für den Abbau aufbringen.

Mitte November endlich erklärte sich das Tiefbauamt Mitte bereit, gegen Hinterlegung einer Bankbürgschaft der Pleitiers den Abbau zu finanzieren, es sollte der ersehnte Schlußstrich unter eine laut Behörden "höchst unerfreuliche Affäre" werden. Und so endete kläglich, was einst großartig als Mischung von Gesamtkunstwerk, Musical, Tanz, Artistik, Erotik und Gastronomie daherkam. Kommenden Generationen von Kulturmanagern wird es eine Lehre sein.