Bruderzwist im Gottesstaat

Während sich die Geistlichen in politisch-religiöse Intrigen verstricken, macht Teheran außenpolitisch weiter Punkte: Auf der Islamischen Weltkonferenz soll die islamische Einheit beschworen werden

Für Ayatollah Montaseri ist der jahrelange Hausarrest vorbei. Vergangene Woche wurde er in Qom, dem religiösen Zentrum des Landes, von iranischen Sicherheitskräften abgeholt und nach Teheran gebracht. Sein Büro wurde auf Befehl des religiösen Führers Khamenei von Angehörigen der paramilitärischen Hisbollah verwüstet.

Schon unter dem 1989 verstorbenen Ayatollah Khomeini war Montaseri in Ungnade gefallen, unter anderem, weil er sich gegen die Repression ausgesprochen hatte. Seit dem Tod von Khomeini im Jahr 1989 stellt Montaseri den Absolutheitsanspruch von dessen Nachfolger Khamenei in Frage - aus nicht ganz uneigennützigen Motiven: Vor dem Bruch mit Khomeini wurde er als dessen potentieller Nachfolger gehandelt.

Wie die gegenwärtigen internen Konflikte verdeutlichen, vermag Khamenei nicht die Position Khomeinis als Integrationsfigur einzunehmen. Kurz nach dem Überfall auf Montaseri verurteilte Jazdi, der oberste Richter des Islamischen Revolutionsgerichts, die "konterrevolutionäre Agitation" von Montaseri scharf, da dieser damit den Machtanspruch von Ayatollah Khamenei in Frage gestellt habe.

Außenpolitisch geht es allerdings bergauf. Seit Mitte November sind die diplomatischen Beziehungen zwischen Iran und der Europäischen Union normalisiert - der sogenannte Kritische Dialog wird fortgesetzt. Auch der vor kurzem abgeschlossene Vertrag mit dem französischen Total-Konzern, der russischen Gazprom und der malaysischen Petronas zur Ausbeutung iranischer Erdgasreserven weist in diese Richtung. Die USA haben ebenfalls ein erhöhtes Interesse an Wirtschaftsbeziehungen mit Iran.

Die regierungsnahe Tageszeitung Resalat meinte bereits am 6. November, Washington schließe Wirtschaftsbeziehungen mit Iran nicht mehr aus - falls der Iran von seiner bisherigen Politik abrücke und nicht mehr im Verdacht stehe, Raketen mit einer Reichweite bis zu 4 000 Kilometer zu bauen. Der neue Außenminister Kharazi äußerte hierzu, daß nur, wenn die USA den Iran nicht mehr verurteilten, diese auch in die Gunst wirtschaftlicher Beziehungen mit dem Iran kommen können.

Auf diesem Gebiet sind sich die verschiedenen Mullahfraktionen durchaus einig. Besonders massiv wird weiterhin gegen Israel gehetzt. Während die israelische Regierung den im Oktober 1986 über dem Libanon abgeschossenen israelischen Piloten Ron Arad bis heute in Iran vermutet, setzt sich die offene propagandistische Solidarität der Mullahs mit der im Südlibanon operierenden Hisbollah unvermindert fort. Die regierungsnahe Zeitung Resalat veröffentlichte Farbfotos von Selbstmordattentätern mit Bombengürteln, die bereit seien, den Kampf gegen die Gottlosen aufzunehmen.

Im September empfing Khatami führende Funktionäre der Hisbollah und versprach ihnen Unterstützung gegen den jüdischen Staat auf allen Ebenen. Den Boykott der Wirtschaftskonferenz von Doha Mitte November begründete Kharazi mit der Teilnahme von Israel. Dies allein beweise die Unmöglichkeit, die Interessen der islamischen Welt dort zu vertreten. Der Freitagsimam von Teheran betonte laut Resalat jüngst in seiner Predigt, daß nur durch die gemeinsame Bemühung der islamischen Länder "der Staat Israel zerstört" werden könne.

Mit Spannung erwartet der Westen die achte Islamische Weltkonferenz, die in der zweiten Dezemberwoche in Teheran stattfinden wird. Die Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den islamischen Ländern gehört zu den wichtigsten Aufgaben dieser Konferenz. Ayatollah Mohammad Imami Kaschani, Mitglied des Wächterrates, der Abweichungen des Parlaments von der Linie des Imams verhindern soll, versprach Mitte November: "Das Ziel der achten Islamischen Weltkonferenz in Teheran ist die Verteidigung der Muslime gegenüber der Herrschaft des Übels in der Welt." Die iranische Geistlichkeit wird zudem versuchen, ihren Führungsanspruch in der islamischen Welt geltend zu machen.

Fraglich ist, ob der irakische Staatspräsident Saddam Hussein an der Konferenz teilnehmen wird. Als "Geste des guten Willens" ließ die iranische Regierung am 26. November 500 irakische Gefangene aus der Zeit des ersten Golfkriegs frei. Die wirtschaftlichen Folgen des achtjährigen Krieges sind bis heute spürbar.

Diskutiert wird jedoch nicht nur die Teilnahme Iraks, sondern auch die der Taliban aus Afghanistan an der Islamischen Weltkonferenz. Resalat berichtete Ende Oktober, daß ein Vertreter der iranischen Führung, Hussein Ibrahimi, alle afghanischen Kriegsparteien aufgefordert habe, sich unter der Fahne des Islam zu verbrüdern.

Generell wird mehr auf die gemeinsamen Interessen der Muslime hingewiesen und gegen den Hauptfeind im Westen Stellung bezogen. Die militärische Präsenz der USA im Persischen Golf wird nicht allein im Zusammenhang des Konfliktes mit Irak betrachtet, da der Aufmarsch aus Sicht der iranischen Staatsführung auch gegen die Interessen des Iran gerichtet ist. Ayatollah Khamenei unterstrich in Resalat vom 13. November, daß die weitere Stärkung des iranischen Militärs das wichtigste Potential des Landes gegen die "zionistischen Kräfte" sei. Auch die Kontrolle der irakischen ABC-Waffen wird wegen des vermeintlichen Übergewichts der USA unter den Inspektoren von Teheran kritisiert. Die Mullahs schlagen in dieselbe Kerbe wie Saddam Hussein: Die im Auftrag der UNO durchgeführten Kontrollen werden als Spionage bewertet.

Es gilt als wahrscheinlich, daß die iranischen Mullahs sich langsam aus machtpolitischen Erwägungen Hussein annähern. Die militärische Präsenz der USA im persischen Golf und das gemeinsame Ziel der "Befreiung Jerusalems" sorgen zumindest für ein gemeinsames Feindbild.