Satan kann so sexy sein

Die Staatsgalerie Stuttgart zeigt neben den Klassikern die pornographischen Zeichnungen Johann Heinrich Füsslis

"Der Grad der Zuneigung wird immer durch den mehr oder weniger großen Eindruck von Überlegenheit bestimmt, den der Gegenstand auf sie macht. Die Frau liebkost, bemitleidet, verachtet und vergißt den ihr Unterlegenen; sie schätzt den ihr Ebenbürtigen, duldet ihn und zankt sich mit ihm; sie betet den an, der über ihr steht." (J. H. Füssli, Aphorismen, Nr. 227)

Vorsicht! Mögen die kurzen und langen Prosastücke, die Gedichte und manche Tagebuchnotizen von Johann Heinrich Füssli (1741 bis 1825)die Leserschaft beunruhigen, vielleicht sogar zu dem Vorurteil verführen, dieser Mann sei ein unverbesserlicher Frauenfeind, weil die Geschlechterrolle auf die für das ausgehende achtzehnte Jahrhundert konventionelle Weise festgelegt ist, so stehen seine Zeichnungen mit mehr oder minder erotischem Inhalt in einem merkwürdigen Kontrast zum Geschriebenen. Denn dieses Bildmaterial ist alles andere als konventionell. Füssli hat sich selten über sein Schaffen geäußert, seine erotischen Bilder hat er der Öffentlichkeit aber gänzlich verschwiegen. Wer davon wußte, war zumeist empört.

William Haybon schimpfte gewaltig, nachdem er die Orgienbilder angesehen hatte: "Die Triebkräfte in Füsslis Geist sind Blasphemie. Unzucht und Blut. Seine Frauen sind alle Huren und seine Männer Banditen. Sie sind Huren nicht aus Freude oder Lust, sondern aus Haß, aus feindseligem Groll gegen die Tugend, und seine Männer sind Schurken nicht aus kühnem Verlangen nach dem Wagnis, sondern aus einem zuchtlosen Aufruhr moralischer Unterdrückung; mit dem Blick von Dämonen haben sie das Betragen galvanisierter Frösche, die Kleidung von Marktschreiern und die Farbe pestilenzischer Krankheit. Solch eine monströse Vorstellungsweise ist niemals von einer liebenswerten Frau gezeigt worden."

Leider sind nur wenige Werke des Pornographen Füssli erhalten; die Ehefrau hat einiges vernichtet, insbesondere wohl jene Bilder, auf denen sie selbst zu erkennen war. Anstatt sich darüber zu freuen, daß da einer zumindest in der dunklen Kammer die tradierte Moral zerbrach, war den Kunstgeschichtlern das geheime Leben Füsslis immer ein besonders unangenehmes Thema. Sie ahnten wohl, daß die eindeutigen Zeichnungen auch einem Publikum gefallen könnten, das mit dem Bildungsgut Kunst nicht viel zu schaffen hat.

Über das "Symplegma eines Mannes mit drei Frauen" und über andere Orgienbilder, die den Mann als Sexobjekt und die Frauen als genießerische Herrinnen zeigen, schrieb Gert Schliff für den Katalog der Hamburger Füssli-Ausstellung vor mehr als zehn Jahren mit kritischem Psycho-Blick: "Das Unterwerfungsverlangen wurzelt in der Abwehr der Kastrationsangst. Das männliche Kind ist tief verstört durch die Entdeckung, daß die Mutter keinen Penis hat, und fühlt sich durch entsprechenden Verlust bedroht. Der erwachsene Masochist unterwirft sich in angstvoller Wollust dieser Drohung. Indem er die dominierende Frau, der er sich anheimgibt, jedoch wiederum als 'phallisch' phantasiert, sucht er durch die Identifikation die Unversehrtheit des eigenen Körpers zu sichern; im tiefsten Grunde möchte er in die schützende Ur-Einheit der Mutter zurückkehren."

Daß Füsslis auch eine ganz unmittelbare Freude an der Darstellung seines Geschlechtslebens gehabt haben könnte, läßt der Autor nur ahnen. Dabei hat

Füssli es den Kritikern und Deutern sehr leicht gemacht: "Diese Lust möge über meine Feinde kommen", steht auf dem "Symplegma" in griechischen Lettern geschrieben.

Die psychoanalytischen Erklärungen, mit dem die Geilheit des Künstlers in anständige Form gebracht wird, beinhaltet immerhin die nicht unvernünftige These, Füssli habe masochistischen Sex gemocht. Die in Stuttgart unter der Katalognummer 143 eingeordnete Bleistift- und Federzeichnung zeigt Brunhild, den gefesselt an der Decke aufgehängten Gunther betrachtend. Die Verarbeitung des Nibelungenliedes, der sehnsüchtige Blick Gunthers auf seine Domina, verrät mehr über die sexuellen Phantasien des in der Öffentlichkeit unbescholtenen Kunstprofessors als jeder Ausflug in die Psychoanalyse.

Die Frauen in bizarren Kostümen und mit atemberaubend konstruierten Frisuren, die Füssli in späteren Jahren gemalt hat, wurden unter anderem wegen der auffälligen Kleidung und der provozierenden Blicke als Kurtisanen klassifiziert. Mit ihrer Nacktheit trumpfen sie auf, als böten sie ihre Blöße zum Kauf an. Füsslis erotische Welt ist eine Fetischwelt. Dem biblischen Mythos der verlorenen Haare gilt seine besondere Liebe. In Füsslis Szene "Dalila besucht Samson im Gefängnis zu Gaza" wird der Verlust der Haare zum Potenzverlust, über den sich die Voyeurin freut. "Achilles opfert sein Haar am Scheiterhaufen des Patroklos" heißt eine aquarellierte Federzeichnung von Füssli. Homer beschreibt in der Ilias die Leichenfeier sehr ausführlich, von der Haaropferung ist jedoch nichts überliefert. Ein weniger auffallender Fetisch sind die roten Schuhe, die Füssli vor allem den jungen Frauen in den Bildern der Milton-Galerie anzog.

Dieser im Werk Johann Heinrich Füsslis zentrale Bilderzyklus verarbeitet die Texte des englischen Barockdichters John Milton, insbesondere dessen großes Versepos "Paradise Lost". Darin geht es um die Schöpfungsgeschichte und um die Vertreibung Adam und Evas aus dem Garten Eden. Auf dem Kontinent ist Milton eher über Haydns Oratorium "Die Schöpfung" bekannt, das sich auf Miltons Strophen vom verlorenen Paradies bezieht. Das erste Gemälde in der über vierzigteiligen Milton-Reihe heißt "Satan flieht, von Ithuriels Speer berührt". Der Schauplatz ist der Paradiesgarten. Drei fliegende Männer dominieren die beiden oberen Drittel des Bildes; die Figur rechts ist Satan, die beiden anderen stellen Ithuriel und Zephon dar, zwei Erzengel, die das Paradies bewachen. Sie schlagen den nackten Satan durch die Berührung mit der Speerspitze in die Flucht.

Zuvor hatte der Teufel sich dem im Gebüsch schlummernden Paar Adam und Eva zu nähern versucht, um sie im Schlaf davon zu überzeugen, daß der Garten Eden nicht die schönste aller Welten sei. Füssli hatte sich alle Mühe gegeben, Satan ein sympathisches Äußeres zu verleihen. Er wirkt anziehend, sexy. Lange galt das 1779 vollendete Gemälde als verschollen. Auf der Versteigerung der Sammlung des Tänzers Rudolf Nurejew tauchte es wieder auf und ist nun in Stuttgart zu sehen. Auch wenn in Füsslis Werk 140 Bilder Frauen darstellen (wovon rund 120 Blätter seine Frau zeigen), so wirken die Männerdarstellungen wesentlich intimer. Dies mag daran liegen, daß Füsslis Männerfreundschaften dauerhafter und emotionaler waren als die Bindung zu Frauen. In einem Brief an den Freund Johann Caspar Lavater vor dessen Verlobung wendet er sich an das junge Paar: "Mein liebster Freund, ich schreibe dir in der Trunkenheit der Freundschaft; ist unter dem Himmel ein Herz, das dich mir gleich liebet, obgleich zurückgehalten, verschmäht, verwundet! (Ö) Madam! Ich lege Ihnen auf, ihn jeden Tag zweimal für mich zu küssen."

Lange war keine so umfangreiche Füssli-Ausstellung wie die in der Stuttgarter Staatsgalerie zu sehen. Mit seinem künstlerischem Projekt zwischen Aufklärung und Romantik wurde er zu einem der einflußreichsten Maler des vergangenen Jahrhunderts, dennoch gehört er nicht zu den Postkarten-Stars (was bei Füsslis Motiven schon erstaunt). Vielleicht liegt es daran, daß kein Land ihn in die Galerie seiner Nationalmaler geholt hat.

In der Schweiz geboren, in Italien ausgebildet, wirkte Füssli vorwiegend in England. Als er 1778, von Italien kommend, seiner Heimat und der Geburtsstadt Zürich einen Besuch abstattete, war er dermaßen schlecht gelaunt, daß er eine Zeichnung anfertigte, auf der er selbst zu sehen ist, während er sich seines Kots entledigt. Der Nachttopf ist mit der Aufschrift "Switzerland" versehen, links oben flattert ein Phallus in Richtung Italien.

Johann Heinrich Füssli: "Das verlorene Paradies", Staatsgalerie Stuttgart. Bis zum 11. Januar 1998. Im Verlag Gerd Hatje ist ein Katalog erschienen.