Seehofers kleine Freuden

Die Armut wächst. Der Gesundheitsminister feiert geringere Sozialhilfeausgaben

Endlich einmal eine Erfolgsmeldung aus Bonn. Wenigstens eine Reform scheint sich bezahlt zu machen. Während seit Monaten das Gerede über "Blockade" und "Reformstau" die Schlagzeilen bestimmt, Nachrichten über Milliardenlöcher im Haushalt den Finanzminister blamieren, kommt aus dem Gesundheitsministerium eine unerwartet frohe Botschaft: Mitten in der schwersten Wirtschaftskrise in der Geschichte der BRD konnten die Ausgaben für die Sozialhilfe zum ersten Mal seit Einführung des Bundessozialhilfegesetzes im Jahr 1962 gesenkt werden.

Rund 50 Milliarden Mark und damit gut zwei Milliarden Mark weniger als im Jahr zuvor mußten die öffentlichen Kassen im vergangenen Jahr für die Sozialhilfe ausschütten. Und das, obwohl die Zahl der SoziahilfebezieherInnen auf Rekordniveau gestiegen ist. 2,73 Millionen Menschen in 1,4 Millionen Haushalten bezogen 1996 Sozialhilfe. 1991 waren es noch 2,13 Millionen.

Hintergrund der eigentümlich gegenläufigen Trends, so erklärte Gesundheitsminister Horst Seehofer, sei die zweite Stufe der Pflegeversicherung. Aber auch "erste Auswirkungen der Sozialhilfereform", die im August 1996 in Kraft getreten war, seien für die Kostendämpfung verantwortlich. In diesem Jahr, freute sich Seehofer, sei deshalb mit weiteren Rückgängen der Ausgaben zu rechnen. Von einer möglichen Verringerung der Zahl derjenigen, die in Armut leben müssen, war dagegen in der Erfolgsmeldung des Ministers nichts zu lesen.

Immer mehr Menschen, die auf die staatliche "Hilfe zum Lebensunterhalt" angewiesen sind, bekommen immer weniger Sozialhilfe. Dabei wurden die Regelsätze 1996 sogar um einen ganzen Prozentpunkt angehoben. Der Erfolg, mit dem Seehofer sich brüstet, kann sich nur auf zwei andere Elemente der Reform von 1996 beziehen. Wenn es "zumutbar" ist, können seitdem die Behörden pflegebedürftige Sozialhilfeberechtigte auch in Heime stecken, statt sie zu Hause zu versorgen. Bis dahin galt der "Vorrang der ambulanten vor der stationären Hilfe". Und die Kosten für die Heimunterbringung werden seit letztem Jahr zum Teil von der Pflegeversicherung getragen. Das zweite kostensenkende Moment ist der seit 1996 gesetzlich einheitlich geregelte Arbeitszwang.

Seither ist verbindlich vorgeschrieben, die Bezüge um 25 Prozent zu kürzen, wenn eine von den BeamtInnen für "zumutbar" erachtete Beschäftigung abgelehnt wird. Bis 1996 hatte diese Entscheidung in der Willkür der kommunalen Behörden gelegen. Die hatten allerdings vermeintlich arbeitsunwillige SozialhilfebezieherInnen vielfach auch vorher schon mit Abzügen bestraft. In Hamburg beispielsweise waren zuvor 20 Prozent gestrichen worden. Monat für Monat wird in der Hansestadt nun knapp 1000 Sozialhilfeberechtigten das minimale Einkommen um ein Viertel gekürzt. Doch da in Hamburg auch schon vorher eine rigorose Praxis geübt wurde, hat sich für die öffentlichen Finanzen wenig geändert. Die durchschnittlichen Abzüge stiegen nach der Reform dort nur um knapp drei Mark. In anderen Kommunen sind die Veränderungen deutlicher spürbar.

Die Ursache für die gegensätzliche Entwicklung ist aber vermutlich weniger im durchschlagenden Erfolg der Seehoferschen Sozialhilfeverschärfungen zu suchen, sondern in einer insgesamt veränderten Struktur der SozialhilfebezieherInnen zu suchen. Beispielsweise einem größeren Anteil derjenigen, die Sozialhilfe zusätzlich zu anderen Einkommen beziehen. So zwingt der wachsende Druck der SachbearbeiterInnen inzwischen immer mehr Menschen dazu, schlecht entlohnte Teilzeitjobs anzunehmen. Außerdem steigt die Zahl derjenigen, die Arbeitslosenhilfe beziehen, die oft so gering ist, daß die Arbeitslosen darüber hinaus noch zum Sozialamt gehen müssen.

Noch ein weiteres Detail aus der Sozialhilfestatistik erfüllt den Bundesgesundheitsminister mit Stolz: Die Zahl der deutschen SozialhilfebezieherInnen sei, wenn man die neu hinzugekommenen AussiedlerInnen ausklammere, nahezu konstant geblieben. Mit anderen Worten: Die Armut wächst vor allem unter den Menschen ohne deutschen Paß. Die Zahl der deutschen SozialhilfebezieherInnen ist von 1995 zu 1996 um 1,3 Prozent, die der ausländischen um 20 Prozent gestiegen. Ihr Anteil beträgt inzwischen fast ein Viertel.

Dabei sind die AsylbewerberInnen und "Geduldeten" noch gar nicht eingerechnet. Seit 1993 werden sie nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gesondert behandelt. Daß auch in diesem Sektor die Ausgaben künftig sinken, dafür hatte eine Große Koalition schon im Frühjahr dieses Jahres gesorgt und beschlossen, die Bezüge für Asylsuchende in den ersten drei Jahren des Aufenthaltes um 20 Prozent zu senken. Von der viel beklagten "Bonner Selbstblockade" war in dieser Frage nichts zu spüren.