Deutsche Offenheit

Nach dem Fund von verschollenen Dokumenten der Reichsbank sind auch deutsche Privatbanken unter Druck geraten

Über 40 Jahre lang lagen sie im Haushalt von Herbert Herzog, einem Wiener Kaufmann und Privatforscher: Zwei Behälter für Mikrofilme, eingelagert im Juli 1957. Auf den Mikrofilmen sind Dokumente der Deutschen Reichsbank abgelichtet, die bisher als verloren galten: Barren- und Tresorbestandsbücher, Golddepots unterschiedlicher NS-Institutionen, Auflistungen von Goldbeständen der italienischen, belgischen und jugoslawischen Nationalbanken sowie Analysen der US-Behörden aus der unmittelbaren Nachkriegszeit über Raubgold der SS. Enthalten sein sollen auch Unterlagen, die belegen, daß die Deutsche Reichsbank Raubgold der SS an die Deutsche Bank und die Dresdner Bank geliefert habe.

So interpretieren zumindest die Finder der Mikrofilme, die Journalisten Hubertus Czernin und Gabriele Anderl sowie der Soziologe und Hobby-Historiker Hersch Fischler, das Archivmaterial. Aus einem Bericht, den Reichsbankrat Albert Thoms nach Kriegsende für die Amerikaner verfaßt hat, gehe hervor, daß SS-Hauptsturmführer Bruno Melmer von 1942 bis 1945 in Osteuropa rund zwei Tonnen Gold (das sogenannte Melmer-Gold) in Form von Schmuck, Münzen, Barren und Zahngold geraubt und bei der Reichsbank abgeliefert habe. Diese habe es in Barren umgeschmolzen und, so Fischler, davon rund 650 Kilo an die Deutsche und 313 Kilo an die Dresdner Bank geliefert. Weitere Empfänger seien die Prägeanstalt Preußische Münze in Berlin, die Degussa und eine Bank in Rom gewesen. Zudem seien drei Zwölf-Kilo-Barren "Melmer-Gold" in die Schweiz gegangen.

Mit den Vorwürfen konfrontiert, es lagere Totengold in ihren Bankkellern, gaben sich Konzernsprecher der Deutschen wie der Dresdner Bank zunächst überrascht: Diese Geschäfte seien bislang unbekannt gewesen. Beide Banken erklärten sich bereit, nun Nachforschungen anstellen zu lassen. Die Dresdner Bank hat angeblich bereits eine unabhängige Forschungsinstitution mit der Sichtung der Bankakten aus der Kriegs- und Nachkriegszeit beauftragt.

Sowohl der Jüdische Weltkongreß als auch der Direktor der Londoner Raubgold-Konferenz, Elan Steinberg, äußerten sich in der vergangenen Woche gegenüber den "Wiener Papieren" kritisch. Zwar sei zu begrüßen, daß wichtiges Archivmaterial der Reichsbank nun wieder zur Verfügung stehe, doch bei den von Fischler gezogenen Schlußfolgerungen handele es sich um eine "Fehlinterpretation". Es sei längst bekannt, daß das KZ-Opfern gestohlene Gold auch von deutschen Privatbanken vereinnahmt worden sei. Sie hätten es jedoch wieder per Umschmelze anonymisiert und ins Ausland weiterverkauft. Am Ende seien 85 Prozent des Goldes in die Schweiz gegangen. Dies sei dem US-amerikanischen Eizenstat-Bericht zufolge durch Bankbelege beweisbar, erklärte Steinberg am vergangenen Dienstag in London.

Fischler hatte nur einen Tag zuvor in einem "Tagesthemen"-Interview dem Jüdischen Weltkongreß vorgeworfen, sich in seiner Arbeit zu sehr auf die Schweiz zu beschränken. Dabei gelte es nun, die Rolle großer Privatbanken im Dritten Reich genauer unter die Lupe zu nehmen, forderte Fischler. Deutlich war sein Versuch, den Monopolkapitalismus wieder in seine Dimitroffschen Rechte einzusetzen.

Auch der Degussa-Konzern, größter Ein- und Umschmelzer im Dritten Reich, kündigte in der vergangenen Woche die Offenlegung seiner Firmenakten an. Und legte fast gleichzeitig seinen Geschäftsbericht für 1996/97 vor: Das Chemie- und Edelstahlunternehmen hat sein Geschäftsjahr mit einem Rekordgewinn abgeschlossen. Der Gewinn vor Steuern ist um 27 Prozent auf 523 Millionen DM angestiegen, der Umsatz um elf Prozent auf 15,3 Milliarden.

Offenheit, die man sich leisten kann.