HB-Männchen im Knast

Die Inhaftierung des Vorstands von Herri Batasuna hat im Baskenland eine Protestwelle ausgelöst. Die Partei hofft aufs Verfassungsgericht

Die Ankündigung des spanischen Innenministers Jaime Mayor Oreja vom Mittwoch vergangener Woche verhallte nahezu unbeachtet. Dem baskischen Fernsehsender ETB hatte der Konservative angekündigt, demnächst würden Gefangene der bewaffneten Separatistengruppe Eta aus ihren bisherigen Haftanstalten verlegt. Sie wären dann näher am Baskenland untergebracht, was Familienbesuch erleichtern würde. Die Initiative Mayor Orejas ging allerdings unter in der Kritik am Urteil gegen 23 Vorstandsmitglieder der Eta-nahen Partei Herri Batasuna (HB).

Wegen "Zusammenarbeit mit einer bewaffneten Bande" hatte der Oberste Gerichtshof in Madrid am 1. Dezember den größten Teil der Parteiführung zu einer Haftstrafe von sieben Jahren sowie einer Geldstrafe in Höhe von umgerechnet etwa 6 000 Mark verurteilt. Für die Zeit der Haftstrafe sind die Verurteilten auch aller ihrer bürgerlichen Rechte beraubt, dürfen also kein Parteiamt innehaben. Damit besteht der Vorstand der seit 1978 bestehenden Wahlkoalition nurmehr aus zwei Leuten: Arnaldo Ortegi und Joseba Pemarch. "Notgedrungen", hieß aus HB-Kreisen in Pamplona gegenüber Jungle World, "werden wir wohl einen neuen Vorstand wählen müssen."

Am 5. und 6. Dezember wurden die 23 Verurteilten in einer spektakulären Aktion festgenommen. Die Parteioberen hatten sich geweigert, die Haft freiwillig anzutreten. Vermummte Polizeieinheiten machten die Flüchtigen so unter Einsatz von Schlagstöcken und Gummigeschossen in den Parteibüros von San Sebasti‡n und Bilbao dingfest. Dabei kam es zu handfesten Auseinandersetzungen mit Anhängern der Separatistenpartei.

In Anschluß an das Urteil gab es sogleich mehrere Anschläge im Baskenland. Zwei Polizisten wurden an Händen und Trommelfell verletzt, als sie einen Sprengsatz in einer Bankfiliale untersuchen wollten. Der Leibwächter von Elena Ezpiroz, konservative Stadtverordnete in San Sebasti‡n, verlor bei einem Attentatsversuch die Sehkraft des linken Auges, weiterhin gingen der Privatwagen eines Polizisten sowie Autobusse und Bankfilialen in Flammen auf. Juan Ram-n Ruiz, der Pressesprecher im baskischen Innenministerium, äußerte jedoch gegenüber Jungle World, die Situation sei "so gut wie normal". Seit dem Urteil hätte sich im Baskenland nichts verändert, überhaupt seien die Zahlen gewaltätiger Aktionen in den vergangenen Jahren rückläufig, teilte Ruiz aus Vitoria mit.

Für die Zweite Kammer des Obersten Gerichtshofes ist die "Zusammenarbeit mit einer bewaffeneten Bande" durch zwei im Februar letzten Jahres veröffentlichte Presseerklärungen der Baskenpartei und durch die Ausstrahlung eines von der militanten Separatistenorganisation Eta stammenden Videos nachgewiesen. Anläßlich des Eta-Mordes an dem sozialistischen Politiker Fernando Mœgica Herzog am 7. Februar 1996 sowie dem tötlichen Anschlag gegen Francisco Tom‡s y Valiente, einen Richter des Obersten Gerichts, eine Woche später hatte Herri Batasuna auf die Verantwortung der spanischen Regierung hingewiesen: "Hätte die Regierung nicht eine repressive Aktion nach der nächsten eingeleitet, hätte es die heutige bewaffnete Tat zweifellos nicht gegeben", lautet beispielsweise eine der dem Gericht als Urteilsgrundlage dienenden Stellen aus den HB-Pressemitteilungen.

Das Eta-Video indes hatte die Partei im Februar 1996 im staatlichen spanischen Fernsehen senden wollen. Während des damaligen Wahlkampfes für die Parlamentswahlen stand der Partei auch entsprechende Sendezeit zur Verfügung, die Fernsehstation weigerte sich allerdings, den Streifen abzuspielen. Darin fordern drei vermummte Eta-Mitglieder den spanischen Staat auf, eine friedliche Lösung des Konflikts im Baskenland zuzulassen.

Die 23 Angeklagten bekannten sich vor Gericht zwar dazu, das Video ausgestrahlt zu haben, allerdings schon vor dem Wahlkampf des vergangenen Jahres. Seit Veröffentlichung des Films im April 1995 hätte HB sich bemüht, eine Diskussion um die darin vorgeschlagene "Demokratische Alternative für das Baskenland" anzuregen. Dazu, so Adolfo Araiz Flamarique vor Gericht, hätte HB auch Kontakte zu anderen Parteien und Organisationen im Baskenland geknüpft und öffentliche Aufführungen des Videos veranstaltet. Sein Parteikollege Floren Aoiz Monreal erklärte, Absicht sei nicht die Zusammenarbeit mit der Eta gewesen, sondern den Weg für den Frieden in der konfliktreichen Region zu ebnen. Die Aktionen der bewaffneten Gruppe habe man ebenfalls zu keinem Zeitpunkt gerechtfertigt.

An Konzeption, Realisierung und Verbreitung des ihnen zugesandten Films seien die HB-Vorstandsmitglieder nicht beteiligt gewesen, wie sie beteuerten. Auch an der Ausarbeitung, Anleitung oder Korrektur der als Beweisstücke dienenden Presse-Erklärungen wollen sie auf keinen Fall beteiligt gewesen sein. Beide seien nämlich, so erklärten die Angeklagten übereinstimmend, von dem damaligen Presseverantwortlichen der Partei, Roberto Sanpedro Madina, geschrieben und versendet worden - ohne Rücksprache mit dem Rest des Vorstandes. Sanpedro Madina ist allerdings im August 1996 verstorben.

Daß eine Verurteilung erfolgte, ohne daß den Angeklagten eine konkrete Beteiligung an Video-Verbreitung oder den Presseerklärungen nachgewiesen wurde, hat im Baskenland für Verärgerung gesorgt. Karlos Garaitotxea, Vorsitzender der Baskischen Solidaritätspartei und ehemaliger Ministerpräsident der Region verglich den Urteilspruch gar mit dem "Prozeß von Burgos" von 1970. Zu jener Zeit hatte das Franco-Regime mehrere mutmaßliche Eta-Aktivisten zum Tode verurteilt. Eine der jetzt Angeklagten, Itziar Aizpurœa Bego-a, stand damals bereits vor Gericht. Auch die meisten anderen politischen Kräfte des Baskenlandes kritisierten den Urteilsspruch heftig. Die konservative Baskengewerkschaft ELA bespielsweise will gemeinsam mit der HB-nahen LAB eine Protestkampagne organisieren. Für den kommenden Sonnabend sind Demonstrationen in diversen baskischen Städten geplant, und am 15. Dezember soll ein zweistündiger Streik die Region lahmlegen. Das ist ganz im Interesse von Herri Batasuna. Am 5. Dezember verkündete die Partei, Ziel sei die Bildung einer baskischen "nationalen Allianz" gegen das Urteil.

Parallel will die Partei der "patriotischen Linken" nun "alle legalen Mittel" gegen das Urteil ausschöpfen, wie auf Anfrage bestätigt wurde. I-igo Iruin, einer der HB-Anwälte, kündigte bereits an, seine Mandantschaft wolle die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, gegen das keine Revision möglich ist, vor dem Verfassungsgericht anfechten. Iruin sieht im Strafrechts-Artikel 576, auf den sich das Gericht berufen hatte, einen Verstoß gegen die Verfassung. Das erst seit Sommer letzten Jahres existierende Delikt "Zusammenarbeit mit einer bewaffneten Bande" sei in dem Artikel nicht eindeutig definiert und damit rechtswidrig. In dem entsprechenden Gesetzestext heißt es, der Tatbestand sei erfüllt, wenn eine generelle Unterstützung "oder jegliche andere ähnliche Form der Kooperation, Hilfe oder Vermittlertätigkeit, ökonomischer oder anderer Art, von Aktivitäten bewaffneter Banden" erfolge.

Desweiteren berufen sich die HB-Anwälte auf ein Urteil des Verfassungsgerichtes aus dem Jahre 1986. Damals stellten die Richter fest, daß die Benutzung von Eta-Äußerungen für politische oder informative Arbeit zulässig erlaubt ist. Auch das staatliche spanische Fernsehen, daß im Februar 1996 die Ausstrahlung des Videos verweigerte, benutzt beizeiten Ausschnitte aus dem Propagandafilm der Eta.

Sollte das Verfassungsgericht dieser Argumentation widersprechen, dürfte in naher Zukunft eine Prozeßlawine folgen. Während der Verhandlung bekannten sich bereits mehrere Zeugen der Verteidigung schuldig im Sinne der Anklage. So José Iriarte Bikila von der baskischen Partei Zutik, Jakes Abeberry von Eusko Batasuna - eine mit dem Linksbündnis Izquierda Unida verbündete Partei - sowie Janan Fern‡ndez, Sprecher der Friedensorganisation Elkarri. Neben diesen drei Prominenten sollen sich bereits über 10 000 weitere Personen öffentlich selbst bezichtigt haben.