Sprechende Dildos

Gefährliche Orte XIII: Das Pressezentrum der Berliner Sexmesse "Venus 97" unterm Funkturm

Als Pornographie noch skandalumwitterter war - irgendwann in den fünfziger Jahren - veröffentlichte der englische Theaterkritiker Kenneth Tynan unter dem Titel "Pornos sind in Ordnung" einen sehr klugen und eleganten Aufsatz über das Verhältnis des liberalen Intellektuellen zum Erotikgenre. Tynan hatte die feurigsten Anti-Zensur-Traktate seiner Kollegen studiert, um am Ende ernüchtert festzustellen, daß die scheinbar so mutigen Freigeister bestenfalls zu einer progressiven Geste fähig waren, denn: "Die Autoren mogeln." Vorgeblich, so Tynan, verteidigen sie die Pornographie, tatsächlich aber wollen sie ihr Publikum folgendes wissen lassen: "1. Ich hasse Zensur in jeder Form, was aber nicht heißen soll, daß ich Pornographie auch mag.

2. Ja, ich billige sie nicht einmal, außer, wenn ich sie der 'erotischen Literatur' zuweisen kann.

3. Ich würde mich nur dann zu ihrer Verteidigung in den Zeugenstand begeben, wenn sie erzieherische, künstlerische oder psychiatrische Werte aufweist, die ihr ein Ansehen verleihen.

4. Für mich ist sie sozusagen nur Pflichtlektüre, und ich habe nur Mitleid mit denjenigen, die sie zum Vergnügen lesen.

5. Überflüssig zu sagen, ich masturbiere nie."

Die Männer, die im Pressezentrum der Sexmesse "Venus 97" an zierlichen Bistrotischen herumlümmeln, sehen nicht so aus, als hätten sie Probleme damit, irgend etwas zuzugeben, jedenfalls nicht, solange man unter sich bleibt. Ein paar Frauen in offizieller Messekleidung, rotes Satin-Shirt und schwarze Hosen, stehen hinter dem Tresen und schenken Erfrischungsgetränke aus oder verteilen die Presseunterlagen.

Der Typus des rhetorisch raffinierten Kunstrichters, der uns wortreich das Selbstverständliche wissen läßt, z.B. warum "Lolita" Kunst und kein Groschenheft ist, der also keineswegs der Vergangenheit angehört, hat sich naturgemäß nicht in die mit rotem Velours belegten, einigermaßen dezent ausgeleuchtete Messehalle begegeben; zahlreich dagegen gekommen sind Fotoreporter und Kameraleute in speckigen Lederjacken, auffällig viele mit Pferdeschwanzfrisur, nikotingesichtige Redakteure, die ihren Schreibtisch irgendwo in der Provinz verlassen haben, um ein Wochenende in Berlin zu verbringen, und vor allem Nachwuchsjournalisten und Volontäre, die beauftragt sind, einen amüsanten, möglichst auch kulturkritisch grundierten Stimmungsbericht abzuliefern, allerdings nicht, angesichts gepiercter Mösen und sprechender Dildos allzu aufdringlich, den Untergang des Abendlandes zu zitieren.

Die "Venus 97" hat, wie alle Sexmessen, das Ziel, "das Image der Erotik und Pornographie in der Öffentlichkeit positiv zu verändern". Daß der Ruf so übel nicht sein kann, beweist der Einzug der Branche in die Berliner Messehallen; bisher mußte man sich an weniger publikumswirksamen Orten, wie z.B. im kaum anregenden "Haus des Lehrers" versammeln, um Videos und Spielzeug präsentieren zu können. Mehr noch hat die Akzeptanz, die die Aussteller neuerdings bei der ihrerseits auf ein seriöses Image bedachten Berliner Messegesellschaft finden, mit der Zahlungskräftigkeit der Branche zu tun, der Pornomarkt gilt als "Wachstumsbranche", die Händler und Produzenten sollen nicht gerade knickerig sein. "Fachbesucher, Endverbraucher und Medien" (Pressetext) sind eingeladen, sich an über 120 Ständen zu informieren - die einen sind mehr, die anderen weniger willkommen. Eigens ergeht die Mahnung an die Aussteller, "das anwesende Publikum nicht als Störfaktor (zu sehen), sondern als das, was es letzlich ist: 'Der wichtigste Faktor, auch in ihrem Unternehmen.'"

Weniger gespannt ist das Verhältnis zu den Presseleuten, die den Aussteller, der jetzt sein branchenübergreifend typisches "Messegesicht" aufgesetzt hat - also freundlich-verkniffen guckt, auch nicht mit speziellen Wünschen belästigen, wie: Wo, bitte, geht's hier zur Abteilung mit den Strafmöbeln?

Denn der Journalist kennt sich aus, findet sich zurecht; er hat allerdings - anders als der durchschnittliche Besucher, aber ähnlich dem von Tynan beschriebenen Feuilletonisten aus verklemmteren Tagen - einen Ruf zu verteidigen, zumindest bildet er sich solches ein.

Zwar vermitteln die im Pressezentrum herumfläzenden Männer nicht den Eindruck, sie seien duch die hohe Schule der Erotik gegangen, dennoch ist anzunehmen, daß sich unter ihnen genau jene Schreiber befinden, die sich im Kulturteil der Presse- oder TV-Magazine als Kenner raffinierter Hocherotik gerieren. Nachzulesen ist dann, daß die Sadomasochisten aus Bochum auch nur Spießer und durchstochene Vorhäute nicht jedermanns Geschmack seien, Videos mit schwanzlutschenden Frauen genauso nervtötend wirken wie Wäsche aus Gummi oder Polyester. Das alles sei in höchstem Grade "langweilig", "ungeil"; auf keinen Fall sei das "erotisch", und überhaupt habe so eine Messe nicht das geringste mit "Erotik" zu tun.

Tatsächlich ist die Erkenntnis, die Ausstellungshalle sei nicht der Tempel der Lüste, so fundamental wie die, daß es auf einer Sanitärfachartikelmesse nicht stinkt oder es auf einer Buchmesse nicht besonders "literarisch" zugeht. Allerdings geht auch niemand mit der Erwartung auf eine Buchmesse, er könne hier endlich einmal in aller Ruhe ein Buch lesen. Die Lektüre muß, wie eben auch das Sextoy, erst an einen anderen Ort überführt werden - den Ohrensessel bzw. das Bett - damit sie Genuß bereitet.

Was die wahre Erotik, von der zwischen den Zeilen gemunkelt wird, denn sein soll, kann uns der Aushilfs-Connaisseur in der Regel allerdings auch nicht mitteilen. Ist es ein provinzansässiger Journalist vom Typ "Alter Hase", läßt er wahrscheinlich durchblicken, Erotik habe mit Liebe zu tun, denn seine Familie liest mit, und er will seine Frau nicht unnötig beunruhigen. Der Typus des urbanen, nur locker gebundenen Jungjournalisten dagegen hat es leichter, er deutet an, daß er schließlich schon ganz andere Sachen erlebt hat und lächelt müde.

Die Hauptbühne am Ende von Halle 2 wird zirka jede halbe Stunde in Kunstnebel gehüllt. Zu sphärischen Klängen inszenieren drei Frauen jetzt ein zartes Sado-Maso-Ritual. Es fällt auf, daß sie, genau wie die meisten anderen Frauen, die hier halbnackt bzw. erotisch kostümiert durch die Gänge laufen, angenehmerweise keine Modelmaße haben, man sieht ungleich große Brüste und dezente Orangenhaut.

Auf der Bühne wird zumeist, mit Rücksicht auf ein äußerst gemischtes Publikum, danebengeschlagen, wenn die Domina-Darstellerin doch mal den Körper des Opfers trifft, wird entschuldigend getuschelt und diskret der Fortgang der Show abgesprochen - eine Transparenz der Inszenierungspraxis, die es sonst nur noch im Brecht-Theater gibt.

Diese und andere indiskrete Bilder, bearbeitet, geschnitten, mit Musik unterlegt, finden sich ein paar Tage drauf wieder in den TV-Magazinen "Extra", "Explosiv", "Brisant" etc., wobei nach dem Abspielen des Filmbeitrags der Blick des Moderators oder der Moderatorin ein wenig zu lang am Monitor haften bleibt, bevor sie wieder in die Kamera schaut - zurück in die Normalität -, um sich dem Zuschauer wieder zuzuwenden und mit vielsagenden Augenaufschlag das Gesehene zu kommentieren. Keine beherrscht diesen kommentierenden Blick so wie die RTL-Moderatorin Birgit Schrowange, die - was sagt?: Ich muß Ihnen das leider zeigen, weil wir ein toleranter Sender sind? Aber ich persönlich habe nur Mitleid mit Leuten, die sowas nötig haben? Übrigens: Ich masturbiere nie?