Dayton-Bonn revisited

Auf der dritten Bosnien-Konferenz brüskiert Kinkels Diplomatie erneut die bosnischen Serben

Außenminister Klaus Kinkel fühlte sich sichtlich wohl in seiner Rolle als Gastgeber. "Wer die Tür zuschlägt, muß auch wissen, wie er sie wieder aufkriegt", diktierte er den Journalisten nach dem Eklat auf dem Bonner Petersberg in die Notizblöcke. Aus Protest gegen die Aufnahme einer Kosovo-Erklärung in das Abschlußdokument der dritten Bosnien-Konferenz hatten die jugoslawische Delegation und die Vertreter der bosnischen Serben die Vollversammlung von 51 Staaten und 21 internationalen Organisationen vorzeitig verlassen. Kinkel bedauerte auf der vergangene Woche zu Ende gegangenen Konferenz zwar öffentlich das serbische Ausscheiden - die Aufforderung an die Regierung in Belgrad jedoch, mit den Kosovo-Albanern einen Sonderstatus in der Region zu vereinbaren, war erst auf deutsches Drängen in die Resolution aufgenommen worden. Dragomir Vucicevic, politischer Direktor im jugoslawischen Außenministerium, warf den Konferenzteilnehmern daraufhin Einmischung in die inneren Angelegenheiten Jugoslawiens vor. Die Erklärung unterstütze den Separatismus in der Provinz und fördere den Terrorismus. An die Beschlüsse der Plenarversammlung fühle sich sein Land nicht länger gebunden.

Den Auszug der bosnisch-serbischen Delegation dürfte der Bosnien-Implementierungsrat nach den gefaßten Beschlüssen mit der Stornierung versprochener Hilfsgelder abstrafen. Denn mit verschärften Bedingungen hat die zum ersten Mal in Bonn tagende Vollversammlung des Rates auf die Weigerung der früheren bosnischen Kriegsparteien reagiert, in den gesamtstaatlichen Institutionen zusammenarbeiten. So steht im Mittelpunkt der 28seitigen Abschlußerklärung die verstärkte Kopplung ausländischer Hilfe an das Wohlverhalten der bosnischen Parteien und Behörden.

Auch wenn die diplomatische Brüskierung Jugoslawiens und der bosnischen Serben von den westlichen Staaten in der Bosnien-Kontaktgruppe - den Garantiemächten des Dayton-Abkommens, also Großbritannien, Frankreich und den USA - unterstützt wurde, klang doch Kinkels früheres Wort von Serbien, das in die Knie gezwungen werden müsse, auf der von ihm gemeinsam mit dem Hohen Repräsentanten für den Wiederaufbau (OHR), dem Spanier Carlos Westendorp, bestrittenen Abschlußkonferenz nach: "Wer bei der Umsetzung der gesetzten Ziele mitmacht, erhält Unterstützung. Wer sich verweigert, schließt sich selbst aus."

Die nur auf den ersten Blick überraschende Zustimmung Rußlands hatte sich die Bonner Diplomatie im Vorfeld der dritten Dayton-Nachfolgekonferenz durch Zurückstellen der alten Kontaktgruppen-Forderung nach der Verhaftung von Radovan Karadzic erkauft. Aus Rühes Verteidigungsministerium verlautete hierzu, daß die anhaltende Einflußnahme von Karadzic aus Pale "anders als durch eine politische Entscheidung" gelöst werden würde und "mit großer Wahrscheinlichkeit Menschenleben kosten wird".

Einen in diesem Zusammenhang für die Nato-Fahnder in Brüssel peinlichen Patzer enthüllte zum Ende der Konferenz die niederländische Tageszeitung De Volkskrant. Demnach ließen Ende Juli niederländische Sfor-Soldaten einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher laufen. Der bosnische Kroate Miroslav Bralo hatte sich freiwillig bei den Soldaten gemeldet, die seinen Namen auf der offiziellen Anklageliste des Den Haager Kriegsverbrecher-Tribunals aber nicht finden konnten. Später stellte sich heraus, daß Bralos Name in der geheimen Anklageliste des Tribunals verzeichnet war - 1993 soll er an der Ermordung von 107 muslimischen Bosniern beteiligt gewesen sein.

Im Mittelpunkt der Tagung stand jedoch die Festigung des Mandats von Westendorp. Dank Kompetenz-Erweiterungen darf der oberste Koordinator der Bosnien-Hilfe künftig auch gegen den Willen der Konfliktparteien bindende Entscheidungen treffen. Die im Dayton-Vertrag zwar schon vorgesehene, praktisch aber kaum wahrgenommene Schiedsrichterrolle des zivilen Bosnien-Koordinators wird gestärkt - der Protektorats-Charakter Bosniens durch die internationale Präsenz freilich auch. Vier der über zwanzig Punkte umfassenden Liste zentraler Fragen, die nach dem Dayton-Abkommen noch ungeklärt sind, verband die Konferenz mit konkreten Fristen zu deren Lösung: Eine Einigung über gemeinsame Pässe sollte bereits bis Montag gefallen sein, ein gemeinsamer Flaggenentwurf bis zum 31. Dezember fertiggestellt und ein Kompromiß über gemeinsame Autonummern bis Ende Januar erzielt werden. Die drei Mitglieder im bosnischen Staatspräsidium einigten sich zwar in diesen Punkten - fraglich bleibt, ob das Parlament in Sarajevo den Vorschlägen zustimmen wird.

Ebenso bleibt offen, wie Westendorp sein erweitertes Mandat durchsetzen soll. Zwar sprach sich der Implementierungsrat für eine Stärkung der internationalen Polizeikräfte aus, insbesondere für die Schaffung spezieller Einheiten zur Durchsetzung der Wiederansiedlung von Flüchtlingen, zur Bekämpfung von Korruption, Kriminalität und Terrorismus. Angesichts der Vielzahl administrativer Mißstände verbleiben dem Chefkoordinator allerdings nur beschränkte zivile Befriedungsmaßnahmen, um wirksam gegen die Verweigerungshaltung einzelner Interessengruppen vorzugehen. Die verstärkte Drohung mit wirtschaftlicher Benachteiligung erscheint da noch als schärfstes Instrument.

So monierte auch der bosnische Ministerpräsident Haris Silajdzic, daß die in Bonn verabschiedeten Punkte "in die falsche Richtung zielten". Wer Gesetze zu Privatisierung und Eigentumsfrage auf der Ebene der "Entitäten" - der Republik Srpska bzw. der bosnisch-kroatischen Föderation - vorschlage, schwäche Bosnien als Gesamtstaat. Der Vertrag von Dayton verkomme so immer mehr zum "Rahmen für die Anerkennung der Resultate ethnischer Säuberungen und der Spaltung des Landes". Das stärkere Mandat für Westendorp akzeptierte er zwar - doch nur als Zwischenlösung. Viel wichtiger sei es doch - und hier ist sich der bosnische Premier wieder mit Kinkel einig - zu fragen, warum Westendorp mehr Macht benötige: "Wegen des fast hundertprozentigen Boykotts aller nationalen Gesetze durch die bosnischen Serben."

Deren weitere Ausgrenzung vorangetrieben hat - mit der Aufnahme der Kosovo-Erklärung in das Abschlußdokument - die deutsche Außenpolitik. Gestärkt wurden nicht die moderaten serbischen Kräfte, sondern die gegen eine Zusammenarbeit in den gesamtstaatlichen Institutionen gerichteten Parteien. Zumindest vorübergehend sind so die zerstrittenen nationalistischen Parteien innerhalb der Republik Srpska zusammengerückt: Die vor allem von den USA protegierte, bislang auf eine Festigung der gesamt-bosnischen Strukturen hinarbeitende Präsidentin Biljana Plavsic (Banja Luka) verließ gemeinsam mit ihrem Gegner, dem serbischen Mitglied im dreiköpfigen bosnischen Staatspräsidium und Karadzic-Intimus Momoilo Krajisnik (Pale), die Versammlung - und kehrte entgegen Kinkels Ankündigung nicht in den Konferenzsaal zurück.