Hallus am Kiosk

Der Bundesrat befindet diese Woche über ein Gesetz, das psilocybinhaltige Rauschpilze und Cannabis-Samen vollkommen illegalisieren soll
Von

Auf den ersten Blick ist der Kiosk in der Berliner Schliemannstraße 5 ein Kiosk wie jeder andere. Von taz bis Bild, von Jungle World bis Focus gibt es alle Zeitungen, dazu Zigaretten, Bier, Wein. Ganz normale Leute gehen hier ein und aus, kaufen sich ein Fernsehprogramm oder ein Päckchen Zigarettenpapier. Der Alki von nebenan kommt regelmäßig ein, zwei, drei Bier trinken und schüttet der Verkäuferin sein Herz aus. Warum der Laden dennoch in bestimmten Kreisen, zum Beispiel der Techno-Szene, ein absoluter Geheimtip ist, erschließt sich erst auf den zweiten Blick.

Denn neben den üblichen Kiosk-Artikeln werden in dem kleinen Geschäft im Prenzlauer Berg auch andere legale und halblegale Drogen verkauft. Psychoaktive Kräuter und Tees, Samen und Pilze gehören zum Sortiment. Noch. Denn das Geschäft mit den Rauschpilzen ist bedroht. Seitdem das höchste Gericht der Niederlande jeden Umgang mit getrockneten psilocybinhaltigen Pilzen verbot, kommt kein Nachschub mehr aus Amsterdam. Nun gehen dem Kiosk in der Schliemannstraße die Vorräte aus. Der "Mexikaner" ist schon weg, noch gibt es einen Restposten des "Hawaiianischen Traums". Doch auch der könnte bald ausgeträumt sein. Denn auch in Deutschland sollen "Psilos", wie die Zauberpilze in der Szene heißen, künftig vollständig verboten werden. Am Freitag, den 19. Dezember, stimmt der Bundesrat über einen entsprechenden Antrag des Bundesgesundheitsministeriums ab. Demnach soll auch der Handel mit Cannabis-Samen verboten und das Heroin-Substitutionsmittel Codein unter das Betäubungsmittelgesetz gestellt werden.

Bisher befindet sich der Handel mit Psilos in einer rechtlichen Grauzone. Demnach ist zwar der Verkauf von Rauschpilzen nicht verboten, wohl aber - groteskerweise - die Beratung für einen risikoarmen Gebrauch. Nach dem Betäubungsmittelgesetz verboten sind bisher nur die Inhaltsstoffe Psilocin und Psilocybin und jede Verarbeitung der Pilze. Ob das notwendige Trocknen auch zur Verarbeitung gehört, darüber gibt es in Deutschland keine rechtliche Klarheit. Wahrscheinlich aber wird die geplante Betäubungsmittelrechtsänderungsverordnung - so der umständliche Name für ein Gesetz, das nicht Gesetz heißen darf, weil es sonst dem Bundestag vorgelegt werden müßte - den Bundesrat passieren. Dann wäre wohl nur noch der Besitz frischer Pilze erlaubt, das Trocknen aber untersagt.

Pilze sind wahrscheinlich die ältesten Drogen der Menschheit. Sie wurden wegen ihrer halluzinogenen Wirkung vor allem bei spirituellen Zeremonien verwendet. Albert Hofmann, der Entdecker von LSD, der in den Laboren der Sandoz-Werke in Basel erstmals auch Psilocybin und Psilocin isolierte und identifizierte, sah bei einem Selbstversuch mit einem mexikanischen Pilz plötzlich überall mexikanische Azteken-Motive. Konsumenten beschreiben die Wirkung als eine angenehme Aufhebung des Schweregefühls, Euphorie, Illusionen in Form von seltsamen Rastern und Mustern, kaleidoskopartigen Bildern, erhöhter Sexlust. Im Gehirn wird ein Mechanismus außer Kraft gesetzt, der normalerweise vor einer Reizüberflutung schützt. Ohne diesen Filter können Sinnesinformationen nicht mehr fortlaufend mit Gedächtnisspuren verglichen und so sinnvoll interpretiert werden, was zu einer fundamental veränderten Ich- und Umwelterfahrung führt. Gerade in Verbindung mit Goa-, Acidhouse- und Trance-Musik und den bei entsprechenden Parties üblichen Farbdekorationen und Lichteffekten soll die Wirkung der Psilos zu besonders guten Trips führen. Neben den psychedelischen Erfahrungen geht der Konsum jedoch auch mit Gleichgewichtsstörungen einher. Insofern ist der Pilz dem Pils also verwandt.

Ernsthafte Körperschäden durch den Gebrauch von Zauberpilzen sind im Gegensatz zum Pilskonsum nicht bekannt. Bei einer negativen Einstellung kann es aber zu Panikanfällen kommen - auch dann, wenn Personen die Pilze ohne ihr Wissen verabreicht werden. Im Vergleich zu LSD ist die Gefahr von Horrortrips jedoch gering. Wichtig sind die richtige Dosierung, eine gute Grundstimmung und ein vertrauter oder angenehmer Ort. Es wird gerade für Anfänger auch empfohlen, sich auf dem ersten Pilztrip von einem nüchtern bleibenden Psilo-Erfahrenen begleiten zu lassen. Ein Trip dauert je nach Dosierung zwischen drei und sechs Stunden und verläuft wellenförmig, also mit kurzen klaren Momenten dazwischen. Durch die Einnahme eines Mittels namens "Remedy" - einer Mischung aus Vitaminen und Mineralien - soll es in Krisensituationen jederzeit möglich sein, den Trip abzubrechen. Es soll, so sagen Experten, jedoch nur sehr selten vorkommen, daß der Wunsch nach Abbruch der Reise besteht. Das Ausklingen der Wirkung verlaufe schonend und ruhig, ohne Drogenkater.

Schon ein Viertel Gramm getrockneter Psilos reicht für einen rund dreistündigen Trip mit bunten Visionen. Man kann die Pilze einfach so kauen oder als Brei, Suppe oder Tee zubereiten. Tee: Einfach ein Viertel Gramm oder mehr - aber nicht mehr als ein Gramm - mit heißem Wasser aufgießen, einen Beutel Früchtetee (ohne Teein) dazu, und 20 Minuten ziehen lassen. Dann schnell trinken und den nun matschigen Psilo-Satz aufessen. Nach 20 bis 40 Minuten geht die Reise los.

Sollte es zu einem endgültigen Verbot der Psilos kommen - und davon ist auszugehen -, sieht es für den Kiosk im Prenzlauer Berg schlecht aus. Die kleinen Pilze sind sein Zugpferd. Nur vom Zeitungs- und Zigarettenverkauf können und wollen die Betreiber nicht leben. Wer Psilos haben will, muß künftig wohl selber sammeln gehen, denn auch in unseren Breiten wachsen die Wunderdinger. Oder es bleibt nur der Weg zum Dealer, der auch mit harten Drogen lockt. Er zumindest kann über die herrschende Drogenpolitik nicht klagen.