Dolchstoßlegende, Teil II

Nach der Gründung des deutsch-tschechischen Zukunftsfonds streiten die Vertriebenen um die richtige Taktik

Kaum ist der deutsch-tschechische Zukunftsfonds - mit Ach und Krach - seit Ende Dezember eingerichtet, schnüren die Sudetendeutschen schon ihr Bündel: "Entschiedenen Widerstand" will die Bayerische Landesgruppe der Sudetendeutschen Landsmannschaft leisten, um die Einrichtung des Fonds mit einem Widerruf der sogenannten Benesch-Dekrete, die nach ihrer Ansicht "eine Vertreibung der Sudetendeutschen rechtfertigen", zu verbinden. "Jede Beteiligung an der Verwaltung des sogenannten Zukunftsfonds" führe ohne einen Widerruf "zum Verlust der Selbstachtung, die wir unserer Volksgruppe schulden", so Herbert Prochozka, stellvertretender Obmann der bayrischen Landesorganisation, in der vergangenen Woche. Nur einen Tag zuvor hatte sich ein Sprecher der Bundesorganisation "trotz einiger Ungereimtheiten unter dem Strich für den Fonds" ausgesprochen. Allerdings nicht, ohne Forderungen zu erheben. Die "Ungleichbehandlung" von "Deutschen und Tschechen im Rahmen des Fonds" müsse beseitigt werden. Anders gesagt: Posten und Kohle her für "Vertriebene" und deren Organisationen.

Doch genau das sieht der deutsch-tschechische "Aussöhnungsvertrag", in dem die Modalitäten für den Zukunftsfonds geregelt sind, nicht vor. Nach langem Zögern und Taktieren von deutscher Seite wurde dort im Januar vergangenen Jahres vertraglich festgeschrieben, daß das Geld tschechischen Opfern des Nationalsozialismus zugute kommen soll. Als weitere Aufgaben des Fonds wurden die Förderung von Jugendaustauschprogrammen, "Altersfürsorge" und "Minderheitenförderung" sowie die Pflege von Baudenkmälern und Grabstätten festgeschrieben. Obwohl der Fonds seit Montag vergangener Woche durch den Austausch der Gründungsurkunden zwischen dem tschechischen Außenminister Jaroslav Sedivy und dem deutschen Botschafter in Prag, Anton Roßbach, offiziell Bestand hat, kann die binationale Stiftung ihre Arbeit vorerst nicht aufnehmen. Denn die personelle Besetzung des achtköpfigen Fonds-Verwaltungsrates ist noch offen. Jede Seite hat vier der Verwaltungsratsmitglieder zu stellen, welche die einzuzahlenden Gelder - 140 Millionen Mark aus Deutschland und umgerechnet etwa 23 Millionen Mark aus Tschechien - verwalten und die Auszahlung und Verwendung überwachen sollen.

Bei der Gründung des Fonds hatte der tschechische Außenminister noch einmal unmißverständlich betont, daß von tschechischer Seite bereits alles unternommen worden sei, um diesem "Schritt, der dazu beiträgt, die Folgen der Einkerkerung vieler tschechischer Bürger durch die Nationalsozialisten zu beseitigen oder zu mildern", nun eine rasche Umsetzung in die Praxis folgen zu lassen. Die tschechischen Mitglieder des Verwaltungsrats sind bereits seit geraumer Zeit benannt, und seit Sommer 1997 liegen Vorschläge von seiten der tschechischen Nazi-Opfer und der jüdischen Gemeinde Tschechiens zur Verwendung der Fonds-Gelder vor. Auch Oldrich Stransky, Vorsitzender des Verbandes tschechischer KZ-Überlebender, zeigte seine Enttäuschung darüber, daß der Fonds ein Jahr nach der Unterzeichnung der deutsch-tschechischen "Versöhnungserklärung" immer noch nicht "voll funktionsfähig" sei.

Denn immer mehr der noch lebenden knapp 8 500 tschechischen Nazi-Opfer - unter denen 2 000 tschechische Juden sind - fallen der von Bonn favorisierten "biologischen Lösung des Problems" zum Opfer. Die überwiegende Mehrheit der tschechischen KZ-Überlebenden kann dank deutscher Verzögerung ohnehin nicht mehr entschädigt werden.

Nachdem bereits die Deutsch-Tschechische Erklärung immer wieder aufgeschoben worden war, hatte Außenminister Klaus Kinkel im Dezember - auf Druck der CSU und einiger CDU-Hardliner - erneut gedroht, den Fonds platzen zu lassen. Begründung: Die tschechische Regierung sei nach dem Rücktritt von Vaclav Klaus nicht "handlungsfähig". Erst ein offener Brief des tschechischen Staatspräsidenten Vaclav Havel an Helmut Kohl und der zunehmende öffentliche Druck auf die Bundesregierung veranlaßten Kinkel zu einem Kurswechsel. Daß nicht Kinkel, sondern der deutsche Botschafter die Gründungsakte in Prag übergeben mußte, spricht in diesem Zusammenhang für sich.

Auch nach der Fonds-Gründung reißt die Kritik am Bonner Vorgehen nicht ab: Die Bundesregierung sei gegenüber den Sudetendeutschen zu entgegenkommend, kritisierte Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer Mitte vergangener Woche. Doch das Verhalten der Union läßt sich nicht allein mit dem Wahlkampf in Bayern erklären, wo die CSU im Herbst um die absolute Mehrheit fürchten muß: Die "Sudeten als vierter Volksstamm Bayerns" werden nicht nur von den Christ-Sozialen, sondern auch von der SPD verhätschelt und gefördert.

Das Prager Außenministerium hatte bereits im Dezember bei inoffiziellen Gesprächen die beiden Wunschkandidaten der CSU, Fritz Wittmann (CSU, Präsident des Bundes der Vertriebenen) und Volkmar Gabert (ehemaliger bayrischer SPD-Vorsitzender) als Verwaltungratsmitglieder abgelehnt. Als Funktionäre der Sudendeutschen Landsmannschaft seien diese bisher durch ihre Ablehnung der deutsch-tschechischen Erklärung aufgefallen. Warum also sollten sie nun in einem Gremium vertreten sein, das sie letztlich gar nicht wollen? Weil sie als "Sudeten besonders engagiert" seien, war die Antwort von Regierungssprecher Herbert Schmülling in der vergangenen Woche. Denn hier gilt es, die Zusage von Helmut Kohl an Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber umzusetzen, daß mindestens zwei Funktionäre der Sudeten in den Fonds-Einrichtungen vertreten sein werden. Ob dies eine Beteiligung im Verwaltungsrat oder aber - als Kompromiß - im gemeinsamen Koordinierungsrat des Gesprächsforums nach sich zieht, wird sich in den nächsten Wochen entscheiden.

Genauso wie der weitere Verlauf des Streits unter den Revanchisten, der vorläufig durch ein "Machtwort" von Franz Neubauer, dem Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, beigelegt wurde: Selbstverständlich wolle man an der Verwaltung des Fonds "konstruktiv mitarbeiten", so dies von verantwortlichen Politikern in Bayern und Bonn auch ermöglicht werde. Ein "Machtwort", bei dem alles offen bleibt, was offen bleiben soll. Läßt sich der Zukunftsfonds doch gleichermaßen von innen wie von außen hintertreiben.

Daß dies geschehen soll, hatte Neubauer bereits Mitte vergangenen Jahres auf dem 48. Sudetendeutschen Tag in Nürnberg klargemacht: Er witterte seinerzeit durch die binationale Erklärung Verrat in "einem Dokument voller Halbwahrheiten und Geschichtsklitterungen, Scheinlösungen und Schönfärberei". Dies sei der "unverhüllte Versuch (...), unserer Volksgruppe einen Totenschein auszustellen, (...) nicht der erste in diesem mörderischen Jahrhundert, sondern der fünfte oder sechste", leitete Neubauer zu einem "Altsprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft" über, der es noch deutlicher und deutscher auf den Punkt bringen durfte: "Der 'Stoß in den Rücken' hat viele verletzt, die sich als Kerngruppen der Demokratien ihrer neuen Heimat bewährten", wußte Walter Becher Mythen und Legenden zu bemühen, die in Deutschland bisher noch immer ihre Wirkung erzielt haben.