Der Charme der Inquisition

Kurz nach der Wahl Chatamis ermunterte Clinton den Iran zu direkten Gesprächen zwischen beiden Ländern

Am 5. Januar demonstrierten die Studenten der Teheraner Universität für die Verbesserung ihrer sozialen Lage und demolierten die Fensterscheiben eines studentischen Wohnhauses. Auch Stimmen des Protestes wurden laut, die ein Ende der herrschenden Despotie im Land forderten. Das islamische Regime habe Millionen für die Konferenz der islamischen Länder (OIC) ausgegeben, könne aber die elementaren Bedingungen eines studentischen Lebens nicht gewährleisten, geschweige denn die sozialen Probleme der Gesellschaft lösen.

Der iranische Präsident Chatami vermag der Unzufriedenheit in der Bevölkerung nicht mehr durch prosperierende wirtschaftliche Verhältnisse entgegenzuwirken. Er weiß um die Gefahren, die eine konsequente US-Politik für die Diktatur der islamischen Republik bringen könnte. Das Stichwort der US-Strategie heißt (noch) "double containment", Eindämmung des Iran und des Irak.

Chatami kennt auch die möglichen Folgen, die eine strikte Einhaltung des D'Amato-Gesetzes mit sich bringen könnte. Dieses vom US-Kongreß beschlossene Gesetz sieht wirtschaftliche Sanktionen gegen Firmen vor, die Investitionen von mehr als 40 Millionen Dollar in Iran und Libyen tätigen. Nach US-Gesetzgebung sind die Sanktionen gegen den französischen Konzern Total, der einen Zwei-Milliarden-Dollar-Gasdeal mit den Mullahs abschloß, noch offen. Dies ist ein deutliches Anzeichen für den US-europäischen Handelskrieg, den iranische Politiker zu nützen wissen. Lediglich die Stabilisierung der Wirtschaft kann die Mullahdiktatur retten, und warum nicht mit dem Teufel verhandeln, wenn es um den eigenen Vorteil geht, dachte sich schon Khomeini. Im übrigen hatte die Clinton-Administration laut NZZ vom 10. Januar Chatami unmittelbar nach seiner Wahl Gesprächsangebote über den Schweizer Botschafter in Teheran unterbreitet.

Die Ergebnisse der Islamischen Weltkonferenz zeitigen eine gute Zwischenbilanz, um die Machtposition des Iran in der islamischen Welt auszubauen. Die sogenannten Hardliner im Iran, die eine kulturelle "Verwestlichung" der Gesellschaft verhindern wollen, aber eine gelenkte kapitalistische Entwicklung befürworten, wissen, daß Chatami letztlich auch ihre Interessen verteidigen wird. Immerhin hat Chatami in seiner Zeit als Kulturminister (1982 bis 1992) die Islamisierung, d.h. die Säuberung der gesamten iranischen Gesellschaft aktiv vorangetrieben.

Um die akuten Schwierigkeiten in der Wirtschaft zu bewältigen, ist das Mullahregime auf den Ausbau von Wirtschaftsbeziehungen mit dem Ausland angewiesen. Das größte Hindernis auf diesem Wege aber ist die gegenwärtige US-Politik. Eine Normalisierung der iranisch-amerikanischen Beziehungen wird somit zur Grundvoraussetzung einer ungestörten Wirtschaftsentwicklung des iranischen Staates.

Höchste Zeit also für Chatami - der von der westlichen Presse als große Reformhoffnung aufgebaut wird, während Politik und Wirtschaft nach dem Öl und einer Öffnung des iranischen Marktes lechzen - versöhnliche Signale über den großen Teich zu senden. Und deshalb stoppen die sogenannten Hardliner, die sonst schnell zur Lynchjustiz greifen, ihren freundlichen Kampfgenossen Chatami auch nicht, wenn er, wie vergangene Woche, im "kulturimperialistischen" TV-Sender CNN spricht, wo er zudem der Unabhängigkeitserklärung der USA Respekt erwies - um zu verdeutlichen, daß seine religiöse Diktatur ebenfalls respektiert werden müsse.

Chatami bediente sich des persischen Taarof, d.h. Höflichkeitsfloskeln. Er nutzte CNN, um die US-Bevölkerung mit Engelszungen anzusprechen und sich so vermittelt an die Politiker des "großen Satans" zu wenden.

Schon Khomeini traf gerne die Unterscheidung zwischen Volk und Regierung, um im übrigen zu versichern, daß es um die Macht im Gottesstaat gehe und nicht um Gott. Nun spricht Chatami von einem "Dialog zwischen Zivilisationen und Nationen" - als ob nicht kürzlich laut der iranischen Nachrichtenagentur Irna ein Importeur von Satellitenschüsseln verhaftet und zu einer hohen Geldstrafe verurteilt worden wäre.

Chatami schlägt vor, das Modell der deutsch-iranischen Beziehungen - Kinkels und Schmidbauers sogenannten kritischen Dialog - als Vorbild für eine Normalisierung der Beziehungen zu nehmen. Als ob die gezielte Hinrichtung von über 100 Persönlichkeiten im europäischen Ausland und der Türkei, die Ermordung von Tausenden von Oppositionellen, Zwangsverschleierung, Vielehe und Zeitehe, das Gesetz der Apostasie, d.h. das Recht zur Ermordung von Menschen, die keine Muslime mehr sein wollen, nicht zu den großen Kulturleistungen des Mullahregimes gehörten.

In dem CNN-Interview sagt er auch noch, daß Menschen, die an den Koran glauben, nie in Morde an Unschuldigen verwickelt sein können. Ohne es auszusprechen, rechtfertigt er damit die Morde an den iranischen Oppositionellen im Berliner Restaurant Mykonos, zu deren Urhebern der religiöse Führer Chamenei und verschiedene Minister gehören. Allein, solche "Feinheiten" halten Kinkel und Co. nicht davon ab, an einer Neuauflage des "kritischen Dialogs" zu arbeiten.