Menschen, Tiere, Sensationen

Gefährliche Orte XV: Die Deutschlandhalle in Charlottenburg wartet auf ihren überfälligen Abriß. PDS und Grüne wollen den "traditionsreichen und unverzichtbaren" Bau schützen

Menschen pflasterten ihren Weg, Tiere und Sensationen auch. Für die Deutschlandhalle in Berlin-Charlottenburg hat man nach 62 Jahren keine Verwendung mehr, obwohl kein Geringeres als Eberhard Diepgen ihr 1985 zum 50. Geburtstag bescheinigt hatte, ohne sie sei Berlin "genausowenig vorstellbar wie Paris ohne Eiffelturm, London ohne Wembleystadion oder New York ohne Freiheitsstatue."

Die genannten Bauwerke unterscheiden sich von der Deutschlandhalle aber nicht nur dadurch, daß sie, wie die Berliner Zeitung schreibt, "doch einigen Milliarden mehr Menschen bekannt sein dürften", auch nicht, wie das Blatt weiter schreibt, "der wirkliche Vorteil der auswärtigen Bauwerke" darin besteht, "daß es sie weiter geben wird" (wie auch, das Wembleystadion wird ja abgerissen und neugebaut), sondern, was Eiffelturm, Wembleystadion und Freiheitsstatue abgeht, ist der Umstand, daß sie nicht 1935 von Adolf Hitler persönlich eingeweiht wurden. Aber Eberhard Diepgen ist halt nicht Bürgermeister von New York.

Gebaut wurde die Deutschlandhalle in nur acht Monaten, und was Hitler stolz präsentierte, war die damals größte Mehrzweckhalle der Welt: 140 Meter lang, 120 Meter breit, 25 Meter hoch. Erbaut wurde sie für die Olympischen Sommerspiele des Jahres 1936 als Austragungsort der Wettkämpfe der Boxer, Ringer, Fechter und Gewichtheber.

Nach den Spielen wurden sie für allerlei genutzt, gerade die Boxer blieben ihr treu. Am liebsten und typischsten aber war "Menschen, Tiere, Sensationen", eine Zirkusschau, die erstmals 1937 aufgeführt wurde. Als die Halle 1943 ausbrannte, waren englische Bomben, die mitten in eine "Menschen, Tiere, Sensationen"-Vorstellung fielen, schuld daran. Als die Halle 1957 wiedereröffnet wurde, geschah das mit "Menschen, Tiere, Sensationen", und als 1997 zum Silvesterabend endlich und verdientermaßen Schluß war mit dem Bau, gab es ein letztes Mal "Menschen, Tiere, Sensationen".

Der Grund für die wahrscheinliche Schließung der Halle ist diesmal ganz simpel die Ökonomie. Der Senat beschloß 1996, sie "vom Markt zu nehmen", denn das Ding ist zu teuer, und außerdem hat Berlin im Zuge seiner gescheiterten Bewerbung um die Sommer-Olympiade 2000 zwei weitere Großhallen errichtet: das Velodrom und die Max-Schmeling-Halle, die beide in Prenzlauer Berg stehen. Die haben nicht nur den Vorteil, moderner zu sein, sie liegen auch verkehrsgünstiger. Zur Deutschlandhalle fahren weder S- noch U-Bahn, und bei Veranstaltungen richtet die BVG überfüllte Extra-Buslinien ein.

So könnte man sich freuen, daß einer der wenigen zivilisatorischen Effekte, die der Kapitalismus zeitigen kann, ausnahmsweise auch mal diese Stadt erreicht hat. Aber ganz sicher ist das Aus noch nicht. Die PDS ist es, die mit anderen gegen die "Schließung der traditionsreichen und für bestimmte Veranstaltungen unverzichtbaren Deutschlandhalle" wettert und mit dem Schlimmsten droht: Sie wird einen Antrag in die nächste Sitzung des Abgeordnetenhauses einbringen.

Ob der Bau wirklich "unverzichtbar" ist, wie die PDS meint, bleibt umstritten. Das Mammut-Unternehmen "Holiday on Ice" etwa, das alljährlich hier Station machte, und dem alle anderen Hallen in der Stadt zu klein sind, hat ein Ausweichquartier gefunden: Es wird auf der Wiese hinter dem Anhalter Bahnhof in Kreuzberg ein Zelt errichten.

Aber "traditionsreich", wie die PDS sagt, ist die Deutschlandhalle allemal. 1938 unternahm die deutsche Fliegerin Hanna Reitsch mit ihrem "Deutschland" benannten Hubschrauber den ersten Hallenflug der Welt. 1967 wurde von hier - Willy Brandt drückte auf den Knopf - erstmals in Deutschland eine Fernsehsendung in Farbe ausgestrahlt, auf daß alle Vico Torrianis Krawatte begutachten konnten. 1989 wurde mit einem "Konzert für Berlin" der Fall der Mauer musikalisch interpretiert.

Alles, was stellvertretend für die Kultur dieser Stadt steht, kam in die Deutschlandhalle: Hans-Jürgen Bäumler und Marika Kilius rutschten auf dem Eis, um "Zum Weißen Rößl" zu inszenieren, das Bundesfinale von "Jugend trainiert für Olympia" fand hier statt, auch die "Karl-May-Festspiele" waren einmal da, alljährlich gab es das Internationale Hallen-Reit- und Springturnier wie auch das Hertha-Hallenfußball-Turnier. Auch das Sechs-Tage-Rennen wurde ab 1960 regelmäßig in der Deutschlandhalle ausgetragen, nachdem schon ab 1935 Radrennen stattfanden. Der ADAC veranstaltete seinen Hallenmotocross, und schon 1936 fand, parallel zur Automobilausstellung in der Deutschlandhalle die Show "100 000 PS" statt. Aber auch BAP und Gianna Nannini, "Aida" und "Carmen", Herbert Grönemeyer und Peter Maffay traten hier auf, auch die Queen kam 1992, um das "British Tattoo", eine Militärmarsch-Veranstaltung, wie auf dem Reißbrett für die Berliner Seele entworfen, abzunehmen. Etliche Welt- und Europameisterschaften wurden hier ausgetragen. Eine Bilanz, die nicht wundert, schließlich war an etwa 150 Tagen im Jahr in der Deutschlandhalle irgendetwas los.

Nun ist aber Schluß mit "Menschen, Tiere, Sensationen" und all den anderen Highlights. Doch statt sich zu freuen, daß man nun in eine verkehrsgünstiger gelegene und obendrein modernere Halle gehen kann - der Presseraum der Deutschlandhalle erinnerte mich immer an das Hinterzimmer einer Kneipe, wo der Billardtisch steht -, hat nun das Klagen eingesetzt.

Außer der PDS schimpfen noch die Grünen über den drohenden Verlust des Nazibaus, und das kulturbewußte Berlin schließt sich dem Protest an. Das Ding gehöre zu Berlin, es stehe unter Denkmalschutz, und 15 000 Plätze böten weder Velodrom noch Schmeling-Halle. Also wären Konzerte mit Grönemeyer und Janet Jackson zu teuer, denn sie müßte nun auf 8 000 Tickets kalkuliert werden, beschwert sich beispielsweise die Berliner Zeitung, und fügt zur Untermauerung der These an, daß die zwei anderen Hallen auch für die Apparaturen des Zauberers David Copperfield zu klein seien. Als ob dem nicht mit einem Trick eine Hallenvergrößerung gelingen könnte.

Dann würde, wenn schon nicht die Deutschlandhalle, so doch wenigstens die Max-Schmeling-Halle vielleicht ähnlich bekannt wie die Freiheitsstatue, der Eiffelturm und das Wembleystadion. Erste Versuche zur Weltberühmtheit fanden sich ja schon, als ein deutscher Sportsfreund beim Halbfinale der Frauen-Handball-WM zwei Dänen niederstach.

Aber die Weltberühmtheit ist, abgesehen vom Stolz der Nazis, einmal die größte Halle der Welt besessen zu haben, gar nicht so sehr das größte Anliegen der Berliner. Das gilt eher dem Umstand, daß "Menschen, Tiere, Sensationen", für das die Betreiber der Deutschlandhalle den Titelschutz besitzen - nicht nur originell sind die Berliner, sondern auch pfiffig - nicht mehr wie gewohnt zu sehen sein wird. Wo die Pferde und Elefanten hinsollen, weiß man noch nicht, und in den beiden neuen Hallen sind die Decken für Hochseil- und Trapeznummern angeblich zu niedrig.

Aber vielleicht pflastern ja auch bei der Schmeling-Halle Menschen den Weg. Und Tiere und Sensationen auch.