Wanzen im Grundgesetz

Regierungskoalition und SPD einigen sich beim Großen Lauschangriff

"Reformstau" ist das Lieblingswort der Kommentatoren, wenn sie über die angebliche wahlkampfbedingte Blockade in der Bonner Politik schimpfen. Wenn es um die Veränderung des Grundgesetzes geht, ist von Blockade nichts zu spüren. Schon im letzten Jahr hatte sich die große Koalition in Sachen Innere Sicherheit bewährt. In der vergangenen Woche nun einigten sich Regierung und SPD auf den sogenannten Großen Lauschangriff. Eigentlich sollten die notwendigen Gesetzesänderungen bereits 1997 vom Bundestag verabschiedet werden, SPD-Fraktion und Parteivorstand hatten dem Lauschangriff schon zugestimmt. Doch Anfang Dezember verpflichteten die Delegierten auf dem SPD-Parteitag ihre Parteiführung zu Nachverhandlungen.

Das Abhören von Wohnungen ist nichts Neues. Legal war es in den meisten Bundesländern schon bisher, allerdings nur zur "Gefahrenabwehr". Die jetzt ausgehandelte Regelung verleiht dem polizeilichen Lauschen Verfassungsrang. Die in Artikel 13 des Grundgesetzes festgeschriebene Unverletzlichkeit der Wohnung soll eingeschränkt werden, zukünftig soll die Verwanzung von Wohnräumen auch zur Fahndung nach Straftätern erlaubt sein.

Zugeständnis an die SPD-Basis in dem jetzt ausgehandelten Gesetzes-Paket: In der Strafprozeßordnung wird festgeschrieben, daß Gespräche von Pfarrern, Abgeordneten und Strafverteidigern nur dann abgehört werden dürfen, wenn diese selbst einer schweren Straftat verdächtigt werden. Bei den übrigen zur Zeugnisverweigerung berechtigten Personen, etwa Angehörigen, Rechtsanwälten oder Ärzten, darf zwar abgehört werden, die Verwertung der Abhörprotokolle soll aber nur erlaubt sein, wenn die Verwertung "unter Berücksichtigung der Bedeutung des zugrundeliegenden Vertrauensverhältnisses nicht außer Verhältnis zum Interesse an der Erforschung des Sachverhalts oder der Ermittlung des Aufenthaltsorts des Täters" stehen.

Solche "Placebo-Bestimmungen" milderten die Tiefe des Grundrechtseingriffes nicht, erklärte Manfred Such von den Grünen, und Burkhard Hirsch (FDP) sagte, die Gesetzesänderung sei für Liberale nicht annehmbar. Auch aus der SPD kam Kritik: "Völlig unannehmbar" sei die ausgehandelte Regelung, meinte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen, Klaus Hahnzog. Doch die vereinzelten Bürgerrechtler in SPD und FDP werden die notwendige Zweidrittelmehrheit im Bundestag nicht verhindern. Auch die angekündigten Verfassungsklagen von Ärzte- und Journalistenverbänden werden den Großen Lauschangriff nicht mehr stoppen. Ungewiß ist nur noch die Mehrheit im Bundesrat. Sie hängt vom Abstimmungsverhalten der Länder Bremen (CDU/SPD) und Rheinland-Pfalz (SPD/FDP) ab. Bremens Regierungschef Henning Scherf (SPD) hatte eine Verbesserung des Schutzes für sensible Berufsgruppen gefordert. Er dürfte mit den jetzt verabreichten Beruhigungspillen zufrieden sein. Dagegen kündigte der Justizminister von Rheinland-Pfalz, Peter Caesar (FDP), bereits Änderungsanträge im Bundesrat an. Ob er sich mit dieser Haltung allerdings bei seinem Koalitionspartner wird durchsetzen können, ist fraglich.

Innenminister Kanther kann die neuen Lauschkompetenzen als ersten Erfolg in dem von ihm ausgerufenen "Sicherheitsjahr" verbuchen. Doch die Berliner Polizei dämpft allzu große Erwartungen der Sicherheitsfreaks an den Großen Lauschangriff: "Der Lauschangriff ist keine Wunderwaffe", erklärte der zuständige Polizeidirektor Martin Textor der Berliner Zeitung. Versprechen konnte der Kripomann aber etwas anderes: Arbeitsplätze für hochqualifiziertes Personal, für "Akustiker, die sich mit der Beschallung von Wohnräumen auskennen", für "Elektroniker und Funktechniker, die dafür sorgen, daß Funkwellen auch durch eine Stahlbetonwand empfangbar sind". Am schwierigsten sei es allerdings, unbemerkt in die Wohnung des Straftäters zu kommen, ohne daß dieser selbst Verdacht schöpft. Und so wird die jüngste Bonner Reform auch dem einen oder anderen professionellen Einbrecher einen Job verschaffen.