Feindliche Übernahmen

Gefährliche Orte XVII: Die FDP. Die Rechten gehen, kommen dafür die Studenten?

Der Berliner FDP droht erneut eine "feindliche Übernahme". Dazu ruft eine studentische Initiative auf, die die niedergehende Partei unbedingt zur Studi-Partei umfunktionieren will. Zwar wissen die Aktivisten genau, daß die Liberalen kurz vor dem Bankrott stehen und deshalb dort wenig Geld für Bildung zu holen ist. Die Freunde Demokratischer Bildung AG spekulieren allerdings darauf, auf Koalitionsebene ein "Sonderprogramm Bildungsoffensive 2000" in Höhe von acht Milliarden Mark einzufordern.

Berliner Studis sammeln dafür schon einmal Mitgliedsanträge Beitrittswilliger. Schließlich ist der Berliner Landesverband garantiert außerparlamentarisch - und damit auch ohne Zweifel oppositionell. Also der geeignetste Ausgangspunkt für die Entstehung einer neuen APO. Deshalb wollen sie die Hauptstadt-Liberalen übernehmen. Nur etwa 2 700 Mitglieder zählt die Partei und könne damit leicht von den mehr als 100 000 Studierenden unterwandert werden.

Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt, bis Januar 1996 Landesvorsitzender der Berliner Liberalen, hat die Zeichen der Zeit erkannt und lädt die Studierenden nach Bonn ein. Im März - natürlich in den Semesterferien - veranstaltet sein Büro deshalb eine "Informationsfahrt für Studenten aus Berlin und Potsdam". Hier kommen sie voll auf ihre Kosten, die Leistungswilligen, denn Rexrodts Studi-Tour ist "darauf abgestimmt, Ihnen nicht nur einen Einblick in die Tagespolitik zu geben, sondern Sie gezielt über berufliche Perspektiven nach dem Hochschulstudium sowie über Fördermöglichkeiten während des Studiums zu informieren". Also wird sie doch noch zur Studierendenpartei, die FDP. Der Karriere wird es dienlich sein, denn "berufliche Möglichkeiten" werden bei der Reise groß geschrieben. Deswegen trifft man sich in Bonn auch mit Vertretern des Deutschen Industrie- und Handelstages, der die liberalen Nachwuchs-Leistungsträger zum Lunch einlädt und sie über Jobs und Praktika informiert. Einmal FDP, immer erfolgreich, wenn auch nur außerparlamentarisch - aber darauf kommt es ja auch an.

Die Hauptstadt-Liberalen sind so schon längst darauf vorbereitet, zur studentisch-liberalen APO zu mutieren. Die Berliner Jungliberalen hatten beispielsweise einen tollen Fragebogen ausgearbeitet, speziell ausgerichtet auf das neue Klientel der Zwei-Prozent-Partei: die "Evaluation zum Landesparteitag". Darin finden sich Fragen mit zweifellos hochschulpolitischer Bedeutung wie: "Sollten 1998 mehr Seminare durchgeführt werden?" Nur wäre die FDP nicht die Partei der Leistungswilligen, wenn sie nicht zugleich eine heimliche Anwesenheitskontrolle eingebaut hätte. Die Kommilitonen sollen Schulnoten für Partei-Angebote wie "Fachausschüsse" und "Freizeitaktivitäten" vergeben, und ganz harmlos ist dahinter auszufüllen: "Ich war ... Mal da." Zum Landesparteitag am vergangenen Wochenende war allerdings keiner der "feindlichen Übernehmer" erschienen, um diese Frage zu beantworten.

So blieb die Atmosphäre im Neuköllner Nobel-Hotel Estrel dem internen Streit um die politische Linie der Liberalen gekennzeichnet. Denn andere Unterwanderer erschienen zahlreich: Die Nationalliberalen, die schon seit Jahren versuchen, liberale Mehrheiten in nationale zu verwandeln. Sie hatten den ehemaligen Generalbundesanwalt Alexander von Stahl erneut aufgeboten, um dem Berliner Parteivorsitzenden Martin Matz die Wiederwahl streitig zu machen.

Doch der 32 Jahre alte Matz, von dem die rechte Wochenzeitung Junge Freiheit schon vor zwei Jahren meinte, er sei "ein gutgefönter Nachwuchsbanker im Maßanzug", versprach unter anderem, seine Partei werde "den Kahlschlag an den Hochschulen stoppen" und in der Hauptstadtpolitik wieder eine wichtige Rolle spielen. Mit 169 zu 143 Delegiertenstimmen setzte er sich gegen den Rechtsausleger von Stahl durch, der aus der FDP am liebsten eine Law-and-Order-Partei machen würde und lauthals beklagte, die Berliner müßten sich "schon jetzt für diese Stadt schämen". Zunächst heftig über die Frage nach der Parteilinie zerstritten, zeigte man sich danach bald wieder brav zusammenarbeitend. Um das zu bekräftigen, wurde der gemäßigt rechte Flügel mit drei Posten im neuen Parteivorstand bedacht. Schließlich wird dieses Jahr ein neuer Bundestag gewählt und 1999 das Berliner Abgeordnetenhaus. Der gutgefönte und maßbeschneiderte Matz zeigte sich im Gespräch mit Jungle World zufrieden insbesondere mit dieser Entscheidung, "bewußt Gräben zu überwinden".

Durchaus erfreut ist er auch über die Kampagne der Studenten, dem Berliner Landesverband beizutreten. Mit über 1 000 jungen Neu-Mitgliedern rechnet der Parteivorsitzende durch die "feindliche Übernahme", der man freundlich gegenübertreten wolle: "Die werden wir auf jeden Fall bei uns aufnehmen, und es ist zu hoffen, daß sie lange in der Partei bleiben und sich aktiv einbringen." Martin Matz wäre im Prinzip auch der Richtige, eine Studenten-Partei anzuführen, vor fünf Jahren war er schließlich selbst noch Student der Betriebswirtschaft. Aber nun ist er mittlerweile Diplom-Kaufmann und vor allem eins, was ihn nicht gerade als liberaler Studentenführer qualifiziert: viel zu politisch. Erst Mitte Januar hatte er sich, seit letztem Jahr auch Mitglied des Bundesvorstands, per Diskussionspapier zu Wort gemeldet, um eine "Sozialpolitische Offensive der FDP" zu fordern und sich als Vertreter einer neuartigen Sozialpolitik auf der Basis von Bürgergeld und privater Initiative zu präsentieren.

Mit einer solchen Partei will der Rechtsanwalt Markus Roscher nichts zu tun haben. Erstens hat er sein Studium schon lange beendet. Und außerdem ist er seit vielen Jahren Vorkämpfer für einen stramm nationalen Kurs der FDP. Er verließ die Liberalen, kaum daß Alexander von Stahl die Wahl um den Parteivorsitz verloren hatte. Mit ihm, so Roscher gegenüber der Jungle World, seien über 50 weitere Mitglieder gegangen - der Berliner FDP-Pressesprecher Jan Burdinski sprach dagegen von nur 17 weiteren Fällen. Rund zwölf Studen nach seinem spektakulären Austritt trat Roscher im Berliner Forum-Hotel gleich einer anderen Partei bei, dem Bund Freier Bürger. Dort spielte er sofort jene gewichtige Rolle, die man ihm bei den Liberalen immer versagt hatte: Er wurde tags darauf prompt zum stellvertretenden Vorsitzenden der Formation gewählt. Zusammen mit Heiner Kappel, ebenfalls ein früherer Liberaler, der nun als Generalsekretär an der Spitze der in "Bund Freier Bürger - Die Offensive für Deutschland. Die Freiheitlichen" umbenannten Partei steht. FDP-Vorsitzender Matz meinte dazu, er "kommentiere Austritte grundsätzlich nicht", andere Quellen zeigten sich indes erleichtert und deuteten an, die Austritte seien "alles andere als ein Verlust".

Roscher sieht das ähnlich, schließlich hätte seine Ex-Partei nicht zu "ihren alten Werten zurückgefunden". Bei den überwiegend männlichen Parteitagsbesuchern, die sich insbesondere für den Populismus von Heiner Kappel grölend begeistern konnten, fühlte er sich denn auch sichtlich wohler als bei den Liberalen. Alle Nationalen in der FDP, so Roscher zur Jungle World, "müssen die Zeichen der Zeit erkennen und einsehen, daß ihre Interessen beim Bund Freier Bürger besser vertreten" würden. Als männliche Viererbande aus den ehemaligen FDPlern Kappel, Roscher und Manfred Brunner sowie dem Vertriebenen-Funktionär Paul Latussek - ebenfalls zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt - wollen sie nun "durchs Land ziehen" und rechte Stimmen für die Bundestagswahl sammeln. Populismus, Ausländerfeindlichkeit und eine Kampagne "gegen die Oberregulierer in Brüssel" (siehe auch Seite 8) sollen den Einzug in den Bundestag bringen. Die nationalen und markigen Sprüche der Viererbande waren dem Publikum jedoch viel zu lau: "Die sollen mal richtig Dampf machen da vorne."