Mani Pulite in der Türkei

Mesut Yilmaz will das Militär aus der Susurluk-Affäre heraushalten

Nach sechsmonatigen Recherchen zum Thema Susurluk hat der türkische Staatsanwalt Kurtlu Savas einen Untersuchungsbericht gefertigt, der den Beziehungen zwischen Politik, Sicherheitskräften, Kontraguerilla und Mafia widmet (vgl. Jungle World, 50/97). Ein brisantes Thema, das Regierungschef Yilmaz zunächst dazu veranlaßte, einige Tage mit seinen Koalitionspartnern und dem Chef der Republikanischen Volkspartei, Baykal, den Bericht zu diskutieren. Am Donnerstagabend vergangener Woche dann bezog Yilmaz in einer Fernsehsendung öffentlich Stellung: Schockierend sei die Rolle der kriminellen Banden im Staat gewesen; Morde, Raub, Erpressungen, Drogenschmuggel, Geldwäsche in zahlreichen Kasinos an der Westküste, eigenartige Geschäfte mit staatlichen Banken - kurz, sie haben sich, in dieser Hinsicht erfolgreich, quer durchs Strafgesetzbuch vorgearbeitet. Sogar einen Putschversuch in Aserbeidschan gegen den dortigen Präsidenten Alijew sollen diese Kräfte durchgeführt haben.

Aber: Das Militär sei nicht darin verwickelt, sagte Yilmaz. Bedauerlicherweise sollen laut Yilmaz, der zugleich "umfassende Aufdeckung" der Susurluk-Affäre ankündigte, Teile des Berichts "aus staatlichem Interesse" nicht veröffentlicht werden und in den Archiven begraben werden. Der sozialdemokratische Baykal und Yilmaz konservativer Koalitionspartner Cindoruk fordern zwar volle Aufklärung, aber es wird nicht schwer sein, sie von der Staatsräson zu überzeugen - notfalls mit den Mitteln, deren Verwendung nun schon so lange erprobt wurden.

Regelmäßig sind die Teile solcher Untersuchungsberichte, die als Staatsgeheimnisse deklariert werden, am interessantesten. Sie wecken unmittelbar eine gewisse unschuldige Neugier, weil sie direkt Aufschluß darüber geben können, wer aus dem Sumpf einer Staatsaffäre ungeschoren davongekommen ist und seine Konkurrenten, die durch einen bedauerlichen Schicksalsschlag an den Pranger gestellt werden, überflügelt hat. Doch wird man ebenso aus den veröffentlichten Teilen gewisse Schlüsse ziehen können, wenn auch nur indirekt und weniger präzise: auf die Kräfte, die so mächtig sind, die sie betreffenden Teile des Berichtes im Grab der Archive versenken zu lassen.

Nicht nur durch den etwas plumpen Versuch, das Militär und die Abgeordneten aus den Regierungsparteien, die in Heroinhandel verwickelt sind, reinzuwaschen, hat Yilmaz insoweit einen Hinweis geliefert. Auch die Ankündigung, ebenso wie in Italien eine Operation "Saubere Hände" durchzuführen, ist in diesem Sinne interpretierbar: Schließlich hat es in Italiens bedauernswerter "Zweiter Republik" ein Mann wie Berlusconi - der mitten aus der Loge P2 stammt, jenem Gemisch aus Militärs, Geheimdienstlern, Geschäftsleuten und Staatsmännern, das Ende der siebziger Jahre eine Art Parallelregierung bildete und in verschiedene, den türkischen "Vorfällen" ähnliche Versuche verwickelt war, den italienischen Staat in eine offen autoritäre Präsidialrepublik umzuformen, um der revoltierenden Bewegungen Herr zu werden - schon bis zum Ministerpräsidenten gebracht.