Sieben Wochen Arbeit

Die Aktionen der Arbeitslosen begünstigen die Durchsetzung der 35-Stunden-Woche

Mitte Dezember 1997: Nachdem am 11. Dezember die ersten Arbeitslosenkassen besetzt wurden, fordern, wie später bekannt wird, Arbeitsministerin Martine Aubry und die CFDT-Chefin Nicole Notat, die zugleich Chefin der Arbeitslosenkassen ist, die polizeiliche Räumung der besetzten Gebäude. Premierminister Lionel Jospin zögert die Entscheidung hinaus.

26. Dezember 1997: In der Presse wird ein Brief veröffentlicht, den Premier Jospin an den Vorsitzenden der kommunistischen Parlamentsfraktion, Alain Bocquet, geschickt hat. Der Regierungschef erklärt sich darin bereit, "die Bedingungen für Langzeitarbeitslose zu verbessern", die "40 Jahre oder länger Beiträge in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben". Dazu werde eine Vorlage erarbeitet, die für diesen Personenkreis einen frührentenähnlichen Status vorsehe. Es handelt sich um ehemalige Arbeiter, die im Alter von 14 oder 15 Jahren ins Erwerbsleben eingetreten waren und die (für die volle Rente erforderlichen) 40 Jahre Beitrag geleistet, aber noch nicht das gesetzliche Rentenalter erreicht haben. Von offiziell registrierten über drei Millionen Arbeitslosen betrifft diese Maßnahme 22 000 Personen.

3. Januar 1998: Arbeitsministerin Aubry gibt eine Pressekonferenz, nach der Le Monde titelt: "500 Millionen Francs freigegeben" (für Umschulungsmaßnahmen), vermerkt aber, dadurch werde nur ein kleiner Teil der Kürzung um 2,5 Milliarden Francs rückgängig gemacht, die die konservative Vorgängerregierung Juppé im Jahr 1996 vorgenommen habe.

5. Januar: Am Abend berichtet Le Monde, bei den 500 Millionen Francs handele es sich in Wirklichkeit um Altschulden aus dem Jahr 1997, mit denen der Staat noch gegenüber der Arbeitslosenkasse UNEDIC im Rückstand sei. Am folgenden Tag erklärt Arbeitsministerin Aubry: "Ich habe ja nie behauptet, daß es sich hier um neue Ausgaben handele."

8. Januar: Im Kabinett Jospin ist man sich einig, daß erst Zugeständnisse an die Arbeitslosen angekündigt und dann der Einsatzbefehl zur Räumung besetzter Gebäude gegeben wird. Transportminister Gayssot (KP), dessen Partei sich zum Sprachrohr der Arbeitslosen zu machen versucht, erklärt: "Ich bin solidarisch" - gemeint ist: mit dem Kabinett.

Am Abend empfängt Jospin nacheinander die fünf großen Gewerkschaftsbünde, die beiden Unternehmerverbände, später dann die Selbstorganisationen der Arbeitslosen. Dabei gibt er drei Sofortmaßnahmen bekannt: Die Frührenten-Regelung für über 55jährige Arbeitslose, die 40 Jahre oder länger Beiträge bezahlt haben, tritt in Kraft. Die ASS, eine Sonderleistung, die bezahlt wird, wenn das degressive Arbeitslosengeld ausläuft, wird um ein zusätzliches Prozent angehoben. Die ASS war seit 1994 nicht mehr erhöht worden: Als nachträglichen Inflationsausgleich hatte die Regierung sie bisher um zwei Prozent rückwirkend ab 1. Juli 1997 sowie um ein Prozent ab 1. Juli 1998 erhöhen wollen. Drittens sollen den Präfekten 100 Millionen Francs (umgerechnet zehn Mark für jeden Arbeitslosen) für Notfälle zur Verfügung gestellt werden. Die Arbeitslosenbewegungen sehen die Vorschläge als völlig unzureichend an.

10. Januar: Im Morgengrauen räumt die Bereitschaftspolizei CRS landesweit die meisten besetzten Arbeitslosenkassen. Noch am selben und den folgenden Tagen werden neue Gebäude besetzt.

18. Januar: Auf einer Demonstration seiner Partei, welche ein Referendum vor der Einführung des Euro fordern soll, ruft KP-Chef Robert Hue dazu auf, "den Schraubstock der Euro-Kriterien zu lockern, um den Arbeitslosen eine Antwort zu geben". Ferner solle die Sondersteuer auf Großvermögen verdoppelt werden, und auf alle Kapitalflüsse sollen 0,5 Prozent Steuern erhoben werden.

19. Januar: Für die erste Wochenhälfte ist eine TV-Ansprache von Premierminister Jospin angekündigt. Vorab sickert durch, der Regierungschef sei bereit, drei oder vier zusätzliche Milliarden Francs freizugeben, um den Arbeitslosenbewegungen entgegenzukommen. Am selben Tag erklärt Innenminister Chevènement im Figaro: "Diese Gruppen, die die Besetzungskomitees bilden, sind meist gesellschaftlich randständig und von anarchisierender Tendenz."

20. Januar: Im Parlament erklärt Jospin, weitere Zugeständnisse an die Arbeitslosen kämen nicht mehr in Frage: "Alles ist nicht möglich." Die möglichen Zugeständnisse, die drei oder vier Milliarden kosteten, würden die Forderungen der Arbeitslosenbewegungen ohnehin nicht beruhigen. Die Anhebung der sozialen Mindestsätze , rechnet Jospin vor, würde 60 Milliarden Francs kosten, die Auszahlung von Sozialhilfe an die 18 bis 25jährigen (die bisher keinen Anspruch haben) weitere 10 Milliarden.

21. Januar: In seiner TV-Ansprache bleibt Jospin allgemein. Unter den fünf Punkten, die er vorstellt, enthält lediglich der erste eine praktische Konsequenz. Demnach soll die ASS künftig an die Inflationsentwicklung angeglichen werden.

26. Januar: Die letzte Januar-Woche wird wahrscheinlich entscheidend für die sozialen Bewegungen in Frankreich sein. Am Dienstag finden in Paris und weiteren französischen Städten erneut Demonstrationen statt. Neu daran ist, daß diesmal die CGT zu der Pariser Manifestation aufgerufen hat, während die vorangegangenen Märsche von den Arbeitslosenorganisationen veranstaltet worden waren. Am selben Tage wird im Parlament die Debatte über das Gesetz zur Einführung der 35-Stunden-Woche eröffnet. Die KP und die ihr nahestehende - jedoch zunehmend autonom agierende - Gewerkschaft CGT versuchen, beide Thematiken miteinander zu verbinden.

Die von den Arbeitslosengruppierungen erhoffte Ausweitung der Bewegung hat bisher nur beschränkt stattgefunden. So hatte man sich vor allen von den Studierenden Unterstützung erhofft. Zwar nehmen an den Aktionen die Studentengewerkschaften UNEF und UNEFID teil, die meisten Studierenden stecken derzeit in den Zwischenprüfungen zum Halbjahresschluß. Und Arbeiter und Angestellte äußern zwar in ihrer großen Mehrheit Sympathie für die aktiven Erwerbslosen, nehmen jedoch nur gelegentlich an den Demonstrationen teil.