Bremer Lauschbubenstreich

Die SPD-Linke hofft auf Nachbesserungen beim Gesetz zum Lauschangriff. Mehr als kosmetische Änderungen stehen jedoch nicht an

Die einen reden schon von Verfassungsklage, während die anderen noch fleißig Unterstützerschreiben ins Bürgermeisteramt von Henning Scherf (SPD) faxen. Und alle lauschen sie Bremen: Wenn der Bundesrat am 6. Februar seine Entscheidung über die Änderung von Artikel 13 des Grundgesetzes fällt, hängt es von der Hansestadt ab, ob die seit bald sieben Jahren diskutierte Einschränkung der Unverletzlichkeit der Wohnung Gesetzeskraft erlangt - oder eine weitere Verhandlungsrunde zwischen parlamentarischen Gegnern und Befürwortern des Großen Lauschangriffs im Vermittlungsausschuß folgt. Es wäre die dritte.

Denn: Soll das vom Bundestag bereits vor drei Wochen verabschiedete Gesetz "zur Verbesserung der Bekämpfung der organisierten Kriminalität" auch die Länderkammer passieren, sind 46 der 69 Stimmen erforderlich. Als wahrscheinlich gilt, daß sich alle rot-grünen Landesregierungen (Hamburg, Schleswig-Holstein, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt) entweder der Stimme enthalten oder dagegen stimmen werden. Nachdem sich die FDP/SPD-Koalition in Rheinland-Pfalz nach anfänglichem Zögern für das Gesetz entschieden hat, kommt Bremen aufgrund dieser Stimmenverteilung die Schlüsselstellung in der Frage zu, ob der Lauschangriff die erforderliche Zweidrittelmehrheit erhält. Auch

Ärzte-, Anwalts- und Journalistenverbände, Pfarrer und Sozialarbeiter setzen auf die Stimmen des kleinsten Bundeslandes - die Hansestadt als letzte Bastion der FDGO.

Bremens SPD-Landesvorsitzenden Detlev Albers will "hart bleiben". Er sieht Bremens Sozialdemokraten als "Sachwalter der mehr als hundert SPD-Abgeordneten, die im Bundestag dagegen votierten". Frischer Weserwind weht in Bonn. Gestützt durch die Haltung der Bremer SPD formiert sich der Protest gegen den Großen Lauschangriff innerhalb der Bundestags-SPD neu. Michael Müller, einer der Sprecher des "Frankfurter Kreises" der Parteilinken äußerte wie andere der 105 Sozialdemokraten, die das Gesetz im Bundestag abgelehnt hatten (bei 125 Zustimmungen), vergangene Woche die Hoffnung, daß im Vermittlungsausschuß noch Änderungen am Gesetzentwurf durchsetzbar seien.

Ende letzter Woche sah sich selbst Parteichef Oskar Lafontaine genötigt, das mit der Union ausgehandelte Gesetz zu kritisieren und so verbal seine Treue zu Parteitagsbeschlüssen zu beweisen. Er wollte sich allerdings nicht festlegen, ob das von ihm regierte Saarland im Bundesrat nun doch gegen den Großen Lauschangriff stimmen wird. Statt dessen appellierte er an den Kanzler "in seiner Eigenschaft als CDU-Vorsitzender" und "Freund der Journalisten", den Weg für eine Änderung der bisher ausgehandelten Regelung freizumachen. Lafontaine, bislang auf einer Linie mit dem SPD-Chef-Unterhändler Otto Schily, dem die FAZ attestiert, von "Kritikern in der eigenen Partei als Grundrechtsschänder gegeißelt" zu werden, fordert nun Nachbesserungen an dem Gesetzespaket. Politische Zielsetzung, so Lafontaine, bleibe es, allen Berufsgruppen, für die ein Zeugnisverweigerungsrecht bestehe, von akustischen Überwachungsmaßnahmen auszunehmen. Auf ihrem Hannoveraner Parteitag Ende letzten Jahres hatten die SPD-Delegierten nochmals verlangt, daß besondere Vertrauensverhältnisse - etwa zwischen Arzt und Patient oder zwischen Anwalt und Mandant - durch Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote "verfassungsfest" geschützt werden müßten.

Doch von der erneuten Kritik aus der SPD am Lauschangriff wird vermutlich kaum mehr bleiben als eine wirkungslose Gewissensberuhigung. Das wahrscheinlichste Szenario: Bremen wird ein neues Vermittlungsverfahren für die Änderung der Strafprozeßordnung durchsetzen, aber der Änderung des Grundgesetzes zum Wohnungsabhören zustimmen. Im Vermittlungsausschuß kann dann die SPD durchsetzen, daß neben Pfarrern, Abgeordneten und Strafverteidigern auch Anwälte, Ärzte oder Journalisten nicht abgehört werden dürfen. Liegen die veränderten Vorschläge aber erst wieder zur Abstimmung auf dem Tisch, reicht den Befürwortern des bisherigen Kompromisses im Bundesrat die einfache Mehrheit. Neben den unionsregierten Ländern müßte nur noch ein SPD-Land für die alte Regelung stimmen, um sie doch noch durchzusetzen. Und das ließe sich leicht finden. Niedersachsen böte sich als Law-and-order-Vorreiter an.

Aber auch für den Fall, daß Bremen den Lauschangriff doch schon in der ersten Runde passieren läßt, hat Lafontaine vorgebaut. Schließlich habe nicht allein Bürgermeister Henning Scherf über die Haltung des Stadtstaates im Bundesrat zu entscheiden, sondern auch die acht Senatoren der großen Koalition.

Für die Medien, immer auf der Suche nach neuen, scheinbar inhaltlichen Differenz zwischen den SPD-Anwärtern auf das Kanzleramt, war das Lafontaine-Statement ein gefundenes Fressen: Gerhard Schröder ließ seinen Polizeiminister Gerhard Glogowski an die Mikrofone, der den niedersächsischen Ärger über die Annäherung des Parteichefs an die Parteilinke bei der Welt loswurde. "Die Sache ist ausdiskutiert", sagte Glogowski, schließlich habe es keine Geheimverhandlungen innerhalb der SPD gegeben, sondern die Parteigremien seien in den Kompromiß mit der Koalition "in aller Breite einbezogen gewesen".

In der Tradition der SPD-Rechtspolitik der neunziger Jahre steht er damit allemal. 1992 war es der damalige SPD-Chef Björn Engholm, der mit Blick auf das Abhören äußerte: "Es geht nicht anders." Der Staat müsse mehr "Härte walten lassen, als das anderen - auch in meiner Partei - lieb ist". Die Basis zierte sich noch eine Zeitlang, aber ein Jahr später gestattet, wenn auch mit Vorbehalten, der Wiesbadener Parteitag der SPD-Führung Verhandlungen mit der Union über den Lauschangriff. Auf dem letzten Parteitag in Hannover ging es dann nur noch um Nachbesserungen. Auf dem nächsten wird man sich einen neuen Grundgesetzartikel suchen müssen, der, wenn auch nur unter großen Vorbehalten, zur Einschränkung ansteht.