Relaunch der Zeit

Eingeweckt

Vor Monaten schon kündigte Zeit-Chefredakteur Roger de Weck an, Layout und Inhalt der Hamburger Wochenzeitung würden sich ändern, und tatsächlich geschah schon bald nach seiner Einstellung etwas Seltsames. Von der Titelseite, die Murschetz jahrelang bekritzelt hatte, stierten Saddams böse Augen.

Vor Wochen dann schrieben die Medienjournalisten über die unheimlichen Vorgänge am Speersort, am Kneipentisch plauderten Theaterkritiker über Intrigen und andere Interna der Zeit, plötzlich kannte man die Redakteure der norddeutschen Überregionalen besser als die Ministerpräsidenten der ostdeutschen Bundesländer. Wer bislang noch nie etwas von Thiemann Antiqua und Garamond gehört hatte, konnte auf einmal über die Geheimnisse der Typographie berichten, und ein roter Farbtupfer im Zeit-Design war noch aufregender als das "Schwarzbuch des Kommunismus".

Schließlich landete das neue Ding in meinem Briefkasten. "Wie lange noch?" stand da auf der ersten Seite einer Zeitung geschrieben, die jetzt so harmlos aussieht wie ein hanseatisches Christenorgan, nämlich wie das Deutsche Sonntagsblatt. In der gewandelten Zeit mußten vor allem die Redakteure ran, der erhöhte Zeilendurchschuß fiel genauso auf wie die kürzeren Texte und größeren Bilder. Roger de Weck ist Sprößling eines Bankers, der Mann hat im Elternhaus also zu wirtschaften gelernt. Oder anders: Es sieht nicht gut aus mit der Zeit, Ökonomiemisere allerorten. Anders ausgedrückt: "In Deutschland tut sich überall so viel, während im Staat und Sozialstaat, in Verwaltung und Bildungswesen viel zuviel stillsteht - die öffentliche Hand bremst, statt zu gestalten. Reformen der staatlichen Strukturen sind überfällig." (Roger de Weck)

"This is made with viel Liebe", soll de Weck über die Arbeit des Gestalters Mario Garc'a gesagt haben. Was neu ist, kann nicht gerade begeistern. Weder das deplazierte Bremer Stadtwappen auf jedem Ressortkopf, das "Etwas Besseres als die Zeit findest du allemal!" kräht, noch die Bilder der Autoren zum Ausschneiden und Sammeln und schon gar nicht die Rastermarken, die wie stilisierte Hasenfüße aussehen und eine feste Rubrik ankündigen sollen. Daß man auch etwas mutiger relaunchen kann, hat die Berliner Zeitung vorgemacht, und nach der Lektüre ihrer besseren Seiten kann man ohnehin darauf verzichten, auch noch die entbleite Wochenzeitung zu lesen.

"Schöner lesen!" lautet zwar das Motto von Mario Garc'a, aber da ich die Aufsätze von Theo Sommer, Robert Leicht und Christoph Bertram nie studiert habe, vermag ich auch über den angeblich gesteigerten Lektüregenuß wenig auszusagen. Zwei Sätze Sommers reichten in der Regel aus, um weiterzublättern, zum Beispiel auf die Medienseite, nach der man in der relaunchten Zeit allerdings vergeblich sucht. Sie wurde praktischerweise eingeweckt.