High durch Vogelfutter

Das Verbot von Cannabis-Samen und Psilo-Pilzen bringt die Branche völlig durcheinander
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Den innovativen Mittelstand kann man fast liebgewinnen, seitdem das Kabinett mit Zustimmung des Bundesrates eine ganze Handelsbranche auszutrocknen droht. Eine Branche, die im wahrsten Sinne des Wortes eine Wachstumsbranche ist - oder war. Die Rede ist von der Hanflobby. Seit ein paar Jahren schießen Head- und Growshops, Hanfprodukte, Zuchtaccessoires und Hanfmagazine aus dem Boden wie das Cannabis-Kraut selbst. Und wer schon einmal ein Pflänzchen unter seinen Händen hat wachsen und gedeihen sehen, der weiß, daß dieses Grünzeug kaum etwas bremsen kann.

Doch seit dem 1. Februar ist das Wachstum der Hanfbranche erst einmal gestoppt. Mit Ausnahme der Bundesländer Hessen, Schleswig-Holstein und Brandenburg hatten im Bundesrat alle einer Änderung des Betäubungsmittelgesetzes zugestimmt, nach der nunmehr der Verkauf von Cannabis-Samen verboten ist. Jetzt gilt: Illegal sind "Pflanzen und Pflanzenteile (...) in bearbeitetem und unbearbeitetem Zustand (...), wenn sie als Betäubungsmittel mißbräuchlich verwendet werden sollen". Ausdrücklich untersagt ist der Verkauf von Samen, die zu "teuren Preisen" und in "zählbarer Körnermenge häufig in Verbindung mit Beleuchtungssystemen (...) zu einem nicht erlaubten Hanfanbau verleiten".

Ein Zugpferd der über 500 Händler in Deutschland ist damit aus dem Rennen. Denn neben dem altbewährten Kiff-Zubehör (Pfeifen, Bongs, Zigarettenpapier), war in den letzten Jahren zunehmend der Markt für Artikel zur Zucht von Cannabis und die dazu notwendigen Samen expandiert. Sonst immer eifrig von taz und Bündnis 90 / Die Grünen unterstützt, fühlt sich die Hanflobby jetzt allein gelassen: "Wir haben alles getan, um SPD und Grüne wachzurütteln. Sechs Wochen telefonieren und faxen am Stück. Wir haben Petitionen an alle Landtage geschickt und 16 verschiedene Antworten erhalten. Nur geschehen ist nichts. Vergeßt Rot-Grün!" resümiert Marcus van der Kolk, Herausgeber des "Marijuana Magazins" grow!. Und der Chefredakteur derselben Zeitschrift, Tobias Breiner, beklagt sich über den Riß, der quer durchs eigene Lager geht: "Die prosperierende Cannabisbranche hat in ihrem rechten Goldrausch das Recht auf den Hanfrausch scheinbar vergessen. In ihrer goldigen Politnaivität verhalten sie sich lammfromm, während sie gleichzeitig wie weihnachtliche Lämmer zum Schlachthof getragen werden. Einfach belämmert."

Denn während Magazine wie grow! eindeutig Lobbyarbeit für Liebhaber des Cannabis-Wirkstoffs THC betreiben, haben sich immer mehr Händler auf die Geschäfte mit Produkten aus dem legalen, THC-freien Hanf fixiert: Hanfhosen, Hanföl, Hanfkosmetik und so weiter. Die Legalisierung des wirkstofffreien Hanfs und die zunehmende Illegalisierung des berauschenden führt zu ersten Spaltungen der Szene.

Robert Salinger, Geschäftsführer des Ladens "Grow-In Berlin" in Berlin-Tiergarten erklärte gegenüber Jungle World, 200 bis 300 der rund 500 Growshops in Deutschland seien durch die neue Gesetzeslage in ihrem Bestand gefährdet. Seine Firma werde zunächst den Samenverkauf einstellen, zugleich aber eine Klage beim Verwaltungsgericht einreichen. Ein bundesweiter Händlerzusammenschluß bereite darüber hinaus eine Verfassungsklage vor. Salinger glaubt, daß eine riesige Prozeßlawine von Händlern und gegen Händler losgetreten wird.

Doch THC-haltige Cannabis-Samen wird es auch künftig geben. Legt man das Gesetz wörtlich aus, dann ist der Verkauf der Samen weiterhin gestattet, wenn nur die Umstände nicht zu einem "unerlaubten Anbau verleiten". Einige Läden werden neue, bisher unbekannte "Vogelfuttermarken" herausbringen, andere locken mit neuen "Müslisorten". Ein eindeutiger Blick zwischen Verkäufer und Kunde wird ausreichen, um klarzumachen, was man mit den Körnern sonst noch machen kann.

Die Gesetzesänderung betrifft jedoch nicht nur den Handel mit den Hanfsamen. Auch der Verkauf psilocybinhaltiger "Zauberpilze" ist nunmehr untersagt. Der Drogenkiosk "Tier Zwo" in der Berliner Schliemannstraße 5 (Jungle World, Nr. 51/97) hat den Verkauf getrockneter Rauschpilze eingestellt. Doch auch hier behilft man sich mit einem Trick. In einem neu eröffneten Botanikladen, zwei Straßen weiter, gibt es demnächst "alles für den Gärtner" zu kaufen, darunter frische Psilo-Pilze. Eine Beratung zum gesunden Konsum findet in dem alten Kiosk statt, der natürlich nichts mit dem Botanikgeschäft zu tun hat. Das für den Konsum als Rauschmittel unbedingt erforderliche Trocknen muß der Käufer nunmehr selbst übernehmen (auf der Heizung oder im Ofen), womit er sich allerdings strafbar macht. Wie bei allen Drogen wird mit der Illegalisierung der Konsum von Rauschpilzen nicht unterbunden, sondern nur gefährlicher. Zum einen, weil die Beratung beim Verkauf untersagt ist, zum anderen, weil frische Pilze nur eine kurze Haltbarkeit haben. Nach deren Ablauf zerfällt das Eiweiß, und die kleinen Zauberpilzchen werden lebensgefährlich.

Neben den Schummeleien, mit denen die Szene die Gesetze austrickst, gibt es aber auch noch einzelne politische Initiativen gegen das Verbot der Samen und des THC-haltigen Cannabis. Auf einer Unterschriftenliste werden derzeit Namen von Prominenten und Experten gesammelt - doch die Kampagne kommt nur sehr schleppend voran. Eine Aktion "Ich habe gekifft" sucht Leute, die bereit sind, sich selbst anzuzeigen. Bis zur Bundestagswahl im Herbst 1998 sollen über 10 000 Selbstbezichtigungen gesammelt werden. Eine Gruppe namens "Drogenpolitische Guerilla" hatte eine andere Idee. Sie bringt derzeit nicht nur eine Tonne berauschender Hanfsamen gratis unters Volk, sondern brachte zudem die 683 Abgeordneten des Bundestages in eine juristische Bredouille.

Sie schickte vor dem 1. Februar an jeden Abgeordneten ein Tütchen bester THC-haltiger Samen, die von den Abgeordneten nach dem 1. Februar aus dem Briefkasten gefischt und vermutlich auf dem Küchen- oder Schreibtisch ausgebreitet wurden. Wieviele der Bundestagsabgeordneten nun ihrerseits mit Selbstanzeigen reagierten, ist nicht bekannt.