Prekäre Zeiten für Jospin

Um einen Bruch der Regierungskoalition zu vermeiden, bietet die KP ihr ganzes Gewicht auf - gegen eine unkontrollierte Ausbreitung der Arbeitslosenbewegung

Die massiven Proteste der französischen Erwerbslosen und die daraus entstandenen innenpolitischen Konflikte haben die Pariser Linksregierung nicht unbeschädigt gelassen. Binnen eines Monats ist die Beliebtheitskurve des sozialistischen Premierministers abgestürzt. Noch Ende Dezember 1997 notierte das IFOP-Institut für Lionel Jospin 51 Prozent Zustimmung, Unzufriedenheit mit seiner Amtsführung wurde von nur 35 Prozent der Befragten geäußert. Nach Befragungen zwischen dem 15. und dem 23. Januar 1998 hat sich das Meinungsbild schlagartig gewandelt: Die Zahl der zustimmenden Äußerungen ist auf 42 Prozent gesunken, die der unzufriedenen auf 46 Prozent gestiegen.

Ihre Zustimmung verweigert haben vor allem die Linkswähler: Bei den Arbeitern sackte Jospin von 55 auf 40 Prozent, bei den KP-Wählen von 78 auf 59 Prozent, bei den Sympathisanten der Grünen von 57 auf nunmehr 44 Prozent. Selbst von den Anhängern der Sozialisten bekundeten nur noch 73 Prozent ihre Zustimmung, während es im Dezember noch 83 Prozent waren.

Es war also höchste Zeit für die Regierung zu handeln. Zunächst galt es, dem von den Medien und der Rechtsopposition beschworenen "Chaos" innerhalb der Koalition ein Ende zu setzen. Dort hatte die KP - und anfangs auch die Grüne Partei - die Arbeitslosenbewegung benutzt, um sich selbst zu profilieren. Während die KP-Vertreter im Kabinett und vor allem der kommunistische Transportminister Jean-Claude Gayssot die von der Regierung angeordneten Polizeieinsätze gegen arbeitslose Besetzer öffentlicher Gebäude "loyal" unterstützten, griff die Partei lautstark die Forderungen der Arbeitslosen auf. So hatte Premierminister Jospin durchaus Anlaß zu einem intensiven Tte-ˆ-tte mit KP-Chef Robert Hue. Im Anschluß an ein Treffen, das am 23. Januar stattfand, hieß es offiziell, es sei "harmonisch" verlaufen. Laut dem Canard encha"né jedoch stellte Jospin gegenüber Hue fest: "Einen Schritt weiter, und es wäre aus gewesen."

Unterdessen wendet sich derzeit das öffentliche Interesse der Nationalversammlungsdebatte um die 35-Stunden-Woche zu. Über diese Maßnahme soll bis zum 10. Februar verhandelt werden. Der Gesetzentwurf, zu dem rund 1 500 Anträge vorliegen, sieht die Einführung der 35-Stunden-Woche für das Jahr 2000 vor, freilich nur für Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten. Erst im Jahr 2002 würden die kleineren Betriebe folgen. Die konkreten Modalitäten der Einführung sowie die von der Regierung ausdrücklich als notwendig erachteten Gegenleistungen der Beschäftigten sollen durch Verhandlungen zwischen den "Sozialpartnern" in jedem einzelnen Betrieb festgelegt werden. Die Regierung will die 35-Stunden-Woche als ihre Antwort auf die Massenarbeitslosigkeit ins Zentrum der Diskussion rücken.

Eine Doppelstrategie gegenüber der Gesetzesvorlage verfolgt derzeit die Unternehmerschaft: Ihr Zentralverband CNPF bekämpft massiv die "autoritäre und uniforme Arbeitszeitverkürzung", da sie auf die Bedürfnisse des einzelnen Betriebs keine Rücksicht nehme. Zugleich betreiben seine Unterorgansiationen intensive Lobbyarbeit, um die von den Wirtschaftsführern geforderten Bestimmungen in diesem Gesetz zu verankern. Dazu gehört insbesondere die annualisation, d.h. die Flexibilisierung der Arbeitszeit, für die lediglich ein Jahresdurchschnitt festgelegt werden soll. Arbeitsministerin Martine Aubry hat bereits erklärt, sie sei "für eine durch Verhandlung vereinbarte annualisation", wenn die schwankenden Arbeitsrhythmen - da die Arbeitswochen unterschiedlich lang sein würden - den Beschäftigten rechtzeitig angekündigtwürden und für deren Lebensplanung akzeptabel seien.

Die konkrete Ausgestaltung des Gesetzestextes wird also entscheidend dafür sein, ob der neoliberale Charakter (Flexibilisierung etc.) oder der sozial-progressive Charakter der Arbeitszeitverkürzung überwiegt.

Zum Auftakt der 35-Stunden-Debatte im Parlament waren Streikende, in erster Linie Eisenbahner und Angestellte öffentlicher Betriebe, und Arbeitslose in zahllosen Städten Frankreichs wieder auf der Straße. Zur Unterstützung der Regierungspläne hatte vor allem die KP-nahe CGT, aber auch die sozialistische Gewerkschaft CFDT und die Force ouvrière zu einem Aktionstag aufgerufen. Allein, in Paris verliefen die Aktionen nach einer eigenartigen Regie.

Die Pariser Zeitung Le Monde schrieb am 29. Januar 1998 treffend: "Man muß eine Bewegung beenden können, und die CGT ist Meisterin in dem Fach. Die CGT hat drei verschiedene Demonstrationen am Dienstag, den 27. Januar organisiert, die erste mit den Arbeitslosenvereinigungen für die Verteidigung der 35-Stunden-Woche und die Anhebung der Mindestsozialleistungen, die zweite mit dem Personal der nationalen Direktion für Instandhaltung der öffentlichen Infrastruktur und die dritte mit den Eisenbahnern. Weil die CGT die drei Demonstrationszüge nicht zusammenlaufen ließ, wurde keine Massenmobilisierung provoziert. Sie hat vielmehr auf sanfte Weise den Protest für die Erwerbslosen entschärft. Das Charakteristikum der drei Demonstrationszüge (...) ist ihre Zusammensetzung: Sie bestanden zu drei Vierteln aus CGT-Angehörigen."

Kennzeichnend für die jüngste soziale Mobilisierung, die die Erwerbslosen angestoßen hatten, war allerdings der sichtbare Richtungsstreit innerhalb der KP und CGT. Jener Flügel der CGT, der als "orthodox" gilt - das heißt dem alten sowjetischen Modell von Partei- und Gewerkschaftsapparat verbunden - und die Regierungsbeteiligung intern kritisiert, hatte die Arbeitslosenbewegung massiv unterstützt. Dies gilt insbesondere für Marseille, wo die Arbeitslosenbewegung ihren Ausgang nahm und - im Gegensatz zu anderen Städten - in starkem Maße von den CGT-Arbeitslosenkomitees kontrolliert wurde. Die Auflösung des einst monolithischen KP/CGT-Apparats in divergierende Fraktionen und der damit verbundene Machtverlust haben eine Situation geschaffen, die es der Erwerbslosenbewegung ermöglicht hat, Partei und CGT einige Wochen lang vor sich herzutreiben und sie zur Unterstützung ihrer Forderungen verpflichten zu können.

Ende Januar freilich boten die Apparate erneut ihre ganze Autorität auf, um die unkontrollierter Ausbreitung der Bewegung zu verhindern. Die Selbstorganisationen der Arbeitslosen wiederum (siehe Jungle World, Nr. 5/1998) benötigen nach den kraftraubenden letzten Wochen dringend eine Ruhepause. Ihr nächster eigener Demonstrationstermin - den letzten am 27. Januar hatten sie organisatorisch der CGT überlassen - ist allerdings bereits im Gespräch: Er soll vermutlich am 7. März stattfinden. An diesem Tag beginnt im Parlament voraussichtlich die Debatte über das "Gesetz gegen den sozialen Ausschluß".

Gerade recht kam der Regierung, angesichts ihrer Imageprobleme vor dem Hintergrund des Arbeitslosenkonflikts, die überraschende Nachricht am 30. Januar, wonach die Arbeitslosenzahlen Ende 1997, dank einer in den letzten Jahresmonaten anlaufenden Konjunktur, merklich gesunken seien. Le Monde titelt am 31. Januar: "Die Arbeitslosigkeit ging 1997 um 1,7 Prozent (...) zurück". Wie immer ist es nützlich, auch das Kleingedruckte zu lesen, dort ist zu erfahren: "Doch Vorsicht ist geboten. Umso mehr, als die alte Zählmethode im August 1995 aufgegeben wurde, welche die Personen mitzählte, die als Arbeitssuchende gemeldet waren, aber mehr als 78 Stunden im Monat arbeiteten. Nach (der alten Methode) ist die Arbeitslosigkeit (...) im letzten Jahr um 2,2 Prozent gestiegen." Was nur die Feststellung der zunehmenden Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen (v.a. aufgezwungene Teilzeitjobs) bestätigt.