Club der Kettenhunde

Der französische Journalist Serge Halimi wirft seinen Kollegen intellektuelle Dürftigkeit vor und warnt vor neoliberalem Einheitsdenken

Hermes Phettberg verdanken wir den schönen Satz: "Legion ist die Zahl meiner Schande", und ginge es nach Serge Halimi hätten Journalisten künftig ihren Artikeln diesen Satz voranzustellen - ohne An- und Abführung.

Serge Halimi ist Doktor für vergleichende Ökonomie, doziert in Berkeley, Santa Cruz, Paris und schreibt seit mittlerweile zehn Jahren für die linksliberale Le Monde diplomatique. Im November 1997 erschien sein polemisches Buch "Les Nouveaux Chiens de garde" ("Die neuen Kettenhunde"), ein mit zahllosen Beispielen journalistischer Impertinenz gespicktes Bändchen über die staatstragende Funktion der (französischen) Journalistenzunft. In ihm erneuert er die Kritik, die Paul Nizan in seinem 1932 erschienenen Essay "Les Chiens de garde" ("Die Kettenhunde") geäußert hatte. Der Schriftsteller hatte darin den Intellektuellen vorgeworfen, sie flüchteten sich in abstrakte Fragestellungen, um ihre Ratlosigkeit gegenüber den konkreten Problemstellungen der Gesellschaft zu kaschieren. Nizan schrieb: "Herr Michelin mußte Glauben machen, er stelle nur deshalb Reifen her, um den Arbeitern Arbeit zu geben, die ohne ihn sterben würden." Und Halimi fügt hinzu: "Seitdem hat sich eine Sache sicher verändert, und zwar so, daß die Journalisten heute reden wie Herr Michelin."

Journalisten bildeten, so Halimi, eine Kaste, die quer durch alle Medien die Ideen und Interessen der herrschenden Klasse vertritt, vor Macht und Geld, vor Politikern und ihren Besitzern kuscht. Die Pressevertreter agieren dabei, verbunden durch eine "Omerta", auf engstem ideologischem Raum, tendieren instinktiv zur Meinung der Mitte. "Sie dienen den Interessen der Herren der Welt. Sie sind die neuen Kettenhunde unseres ökonomischen Systems."

Lediglich die beiden satirischen Wochenblätter Charlie Hebdo und Le Canard ench‰iné, die kommunistische L`Humanité und die Sendung "Guignols de l'Info" auf Canal+, eine französische Variante der "Spitting image", nimmt Serge Halimi ausdrücklich von seiner Kritik aus. Alle übrigen Medienerzeugnisse hängen nach seiner Einschätzung dem "Prt-ˆ-porter-Denken" an, "seien sie nun rechts oder hielten sich für links". Eine ganze Generation von Journalisten habe eine "Umschulung von der linksextremen Militanz zum medialen linken Zentrum" gemacht. Korrumpiert durch ihre Nähe zur Macht, hätten sie die Linke mit dem Kapitalismus versöhnt.

Anhand zahlreicher Beispiele führt Halimi die intellektuelle Dürftigkeit des "einheitlichen Denkens" vor: "Unternehmenskultur, Serenade großer Gleichgewichte, Passion für starken Franc,

Verkündung der Börsenchroniken, Bekämpfung der sozialen Errungenschaften, Versuch die Lohnabhängigen gegen die Ausgeschlossenen auszuspielen. Schrecken kollektiver Leidenschaften: dieses einheitliche Denken, diese Tonleiter der Arbeitgeber - tausend Institutionen, Organismen und Kommissionen vertreten sie." Überzeugend ist Halimis Ansatz, sich nicht auf signifikante ideologischen Extrempositionen zu kaprizieren, sondern die ideologische Aufladung des angeblich neutralen Denkens der meisten Journalisten vorzuführen. Denn "das Einheitsdenken", so argumentiert er, "hat eine noch stärkere Wirkung als die schlimmsten Orthodoxien, weil es sich seiner Doktrin nicht brüstet."

Daß die Kritik von den Angriffenen als unsachlich und überzogen zurückgewiesen wurde, versteht sich fast von selbst. Dazu hatte sicherlich beigetragen, daß Halimi seine Kritik personalisierte, indem er sich die 30 bekanntesten und einflußreichsten Journalisten und Intellektuellen vornahm, um die Architektur des Systems, mindestens die Funktionsweise des Milieus zu veranschaulichen, wie er sagt. Dennoch sind und bleiben die Figuren austauschbar.

Die Reaktionen der französischen Medien auf das Buch waren eher verhalten. Immerhin forderte die Fernsehzeitschrift Télérama in einer Umfrage die 30 von Halimi namentlich kritisierten Journalisten und Journalistinnen auf, zu Halimis Streitschrift Stellung zu nehmen. Wenn auch die häufigsten Antworten "Kenne ich nicht" oder "Habe ich nicht bekommen" lauteten, äußerten sich doch zumindest ein paar derjenigen, die dem "Zirkel des Vernunft" (Halimi) angehören, zum Beispiel Frankreichs einflußreichster Wirtschaftsjournalist Jean-Marc Sylvestrie. "Man greift mich an", antwortete er, "weil ich für die mächtigen und dominanten Medien arbeite. Meine Arbeit ist es, die Wirtschaft zu beschreiben und zu zeigen, wie sie funktioniert.(...) Es stimmt, daß ich den sozialen Preis ökonomischer Maßnahmen nicht genug in Rechnung stelle. Aber das kommt daher, daß uns die wissenschaftlichen Werkzeuge fehlen, um diese Kosten zu messen." Und Philippe Manière, Wirtschaftsredakteur der Zeitschrift Le Point antwortete: "Der Markt, der Angebot und Nachfrage reguliert, ist neutral. Er bleibt eine der unabänderlichen Tatsachen im Leben." Was hier zur eigenen Verteidigung gegen Halimi vorgebracht wird, bestätigt allerdings nur dessen Grundthese, daß Journalismus Öffentlichkeitsarbeit für den Kapitalismus sei - politische Maßnahmen werden mit Beiwörtern wie "couragiert", "realistisch", "ambitioniert" und "erneuernd" geschmückt, während Kritikern gern "Irrationalität" oder gleich Schwachsinn bescheinigt wird.

Bezeichnend ist, was Franz-Olivier Giesbert, Chefredakteur des Figaro sagte: "Wenn Le Figaro es (das Buch von Serge Halimi) nicht besprochen hat, dann weil sich niemand angeboten hat, es zu tun. Wir können nicht alle Bücher besprechen." Ein Buch über de Gaulle von Alain Peyrefitte, dem Präsidenten des Herausgeberkomitees vom Figaro, kam im Blatt dagegen auf 15 Besprechungen.

"Die französischen Medien", kommentiert Halimi, "verstehen sich als Gegenmacht. Aber die schreibenden und audiovisuellen Medien werden dominiert vom Referenzjournalismus, von Industrie- und Finanzgruppen, von einem Marktdenken, von Räumen geheimen Einverständnisses. Eine kleine Gruppe von omnipräsenten Journalisten zwingt seine Definition von vermarktbaren Informationen einer Profession auf, die durch ihre Angst vor der Arbeitslosigkeit mehr und mehr geschwächt wird."

Es kann allerdings niemanden überraschen, daß die "Gegenmacht" genau der Meinung ist, die mit den Interessen ihrer Unternehmen oder besser Besitzer übereinstimmt. Halimi begnügt sich zur Erklärung mit einer Anekdote. Auf die Frage eines Studenten, wie die Eliten die Medien kontrollieren, antwortete Noam Chomsky: "Wie kontrollieren Sie General Motors? Die Frage stellt sich nicht, die Elite braucht General Motors nicht zu kontrollieren. GM gehört ihnen."

Halimi greift die Verfechter des Neoliberalismus und ihr Quasi-Monopol in den Medien an, grundlegende Kapitalismuskritik findet sich bei ihm allerdings nicht, auch wenn sie seiner Medien- und Ideologiekritik implizit zu sein scheint. Sein Ziel ist eine "soziale Transformation", und den Weg dorthin sieht er in einer kritischeren, informierteren Öffentlichkeit. Aufklärerischen Ideen verbunden, will er die von ihm ausgemachte Gegenaufklärung bekämpfen. Anstelle von Placebo-Debatten, deren einziger Sinn und Zweck ist, eine Pseudoalternative zwischen zwei Begriffen zu etablieren, die für die gleiche Sache stehen - die Interessen des Kapitals - wünscht er sich "wahre" und "klare" Informationen, in denen er die mindeste Form von Widerstand erblickt.

Was nun die Möglichkeiten wahrer, kritischer, rebellischer Informationen angeht, ist Halimi skeptisch. Zwar könnten Bewegungen hin und wieder ein von "der Verkündungsbrigade der Finanzmärkte" verfochtenes Projekt zu Fall bringen, doch ändere das kaum etwas am Gleichgewicht des Systems. Sich dem zu entziehen, sei für die meisten Journalisten kaum noch möglich, wollten sie sich nicht jede Beschäftigungsmöglichkeit nehmen. Halimi schreibt im Nachwort: "Der ideologische Fluß, der seit fünfzehn Jahren das politische nach rechts deportiert, hat dissidente Projekte außergewöhnlich schwierig gemacht."

Immerhin, sechs Wochen nach Erscheinen des Buches hatte einer Umfrage zufolge das Vertrauen in die französischen Journalisten einen historischen Tiefstand erreicht.

Serge Halimi: Les Nouveaux Chiens de garde. ƒditions Liber-Raisons d'Agir. Paris 1997, 112 S., FF 30