Macheten made in Africa

Frankreichs Rolle während der Massaker in Ruanda gerät erneut in die Kritik

Wahrheiten brauchen ihre Zeit. Mitte Dezember 1997 erschien der über 1 000 Seiten umfassende Bericht einer Untersuchungskommission, die der belgische Senat - das Oberhaus des Parlaments - 1995 eingerichet hatte, um die Rolle Belgiens in Ruanda zu untersuchen.

Einen Monat später publizierte der französische Figaro eine vierteilige Serie, in der der Afrika-Experte Patrick de Saint-Exupéry die französische Ostafrika- Politik der neunziger Jahre analysierte. Auffallend war, zumal für eine konservative Zeitung, die Schärfe, mit der Saint-Exupéry dabei nicht nur den damaligen sozialistischen Staatspräsidenten Fran ç ois Mitterrand (1981 bis 1995) sondern auch die bürgerlich-konservativen Parteien, die seit 1993 die Regierung stellten, kritisierte.

In der Afrika-Politik herrscht in Frankreich eine auffällige Kontinuität zwischen links- und rechtsgeführten Regierungen. Während der ersten Phase der Geschehnisse, die zum Genozid in Ruanda zwischen April und Juli 1994 führten, wurde Frankreich von einem sozialistischen bzw. sozial-liberalen Kabinett regiert. Ab März/April 1993 wurde es durch eine bürgerlich-konservative Regierung abgelöst, die sich jedoch bis Mai 1995 mit dem im Amt verbliebenen Präsidenten Mitterrand arrangieren mußte. Seit Juni 1997 wiederum sind die Linksparteien wieder am Ruder; unter ihrer Führung weigert sich Frankreich heute, mit dem Internationalen Tribunal in Arusha zusammenzuarbeiten, das über die Urheber des ruandischen Genozids zu richten hat.

So sprach der derzeitige Verteidigungsminister, der Sozialist Alain Richard, von einer reinen "Spektakeljustiz", und ein anderer - anonym bleibender - Minister erklärte Mitte Januar gegenüber dem Figaro: "In der Funktionsweise des internationalen Tribunals dominieren Prinzipien des 'common law' (Anm.: also angelsächsische Rechtskonzeptionen). Wenn das internationale Tribunal eine Kopie der amerikanischen Gerichte darstellt, ist es kein internationales Gericht." In den Vereinten Nationen hatte Paris allerdings für die Einrichtung des UN-Tribunals gestimmt. "Paris betreibt eine heuchlerische Politik. Frankreich will schlicht und einfach keine Rechenschaft ablegen", heißt es dazu in der zitierten Figaro-Serie.

In präventiver Abwehr von Kritik an Frankreich hatte Charles Josselin, der gegenwärtige (und letzte) Amtsinhaber des sogenannten Kooperationsministerium, das besser als Kolonialministerium zu bezeichnen wäre und derzeit aufgelöst wird, bereits am 17. Oktober 1997 gegenüber der Regionalzeitung Ouest France erklärt: "Ich möchte anmerken, daß es keine Franzosen waren, die die Macheten in der Hand hielten, welche mehrere hunderttausend Tutsi getötet haben."

Das von Josselin implizit vorgebrachte Argument erscheint zunächst schlüssig: Der Massenmord an - nach Schätzungen - 850 000 Menschen zwischen April und Juli 1994, an den Angehörigen der Tutsi-Minderheit wie auch Oppositionellen aus der Hutu-Mehrheitsbevölkerung, wurde überwiegend mit primitiven Waffen verübt. Die auf "ethnischen" Haß gedrillten Todesschwadronen und Milizen des (im Juli 1994 gestürzten) Habyarimana-Regime und der extremistischen Hutu-Parteien benötigten dafür keine moderne Rüstungstechnik.

Daraus jedoch zu schließen, daß die militärische "Hilfe" Frankreichs keine bedeutende Rolle gespielt hätte, hieße, ein ganz wesentliches Detail zu vergessen: daß sich der Genozid vor dem Hintergrund eines Krieges zwischen dem Regime, dessen regulärer Armee FAR sowie den Milizen einerseits und der Rebellentruppe der "Ruandischen Patriotischen Front" (RPF) andererseits abspielte. Die französische militärische Unterstützung half die Lebensdauer dieses Regimes zu verlängern - dessen Fortbestehen Grundbedingung war für die Massaker.

Im Jahr 1990 spitzten sich die Feindseligkeiten zwischen dem Habyarimana-Regime und den RPF-Rebellen zu. Die RPF setzt sich aus Angehörigen der Tutsi-Bevölkerung - die in früheren Jahrzehnten vor Konflikten zwischen den Bevölkerungsgruppen ins Nachbarland Uganda geflohen waren, mehr und mehr aber auch aus unzufriedenen Hutu - zusammen. Zu diesem Zeitpunkt setzte das Regime zunehmend darauf, die "ethnische" Karte auszuspielen und den latenten Haß auf die Tutsi zu schüren, die in vorkolonialen Zeiten die Adelsschicht gestellt hatten und zuerst von den deutschen, dann von den belgischen Kolonialisten als Basis für ihre Herrschaft genutzt worden waren.

In Paris, wo die "afrikanische Zelle" im Elysée-Palast - ein inoffizielles Machtzentrum, welches direkt dem Präsidentenamt unterstand und in jenen Jahren von Fran ç ois Mitterrands Sohn Jean-Christophe geleitet wurde - die Entscheidungsmacht monopolisiert hatte, wurde schnell Partei ergriffen. Nicht nur, daß eine persönliche Freundschaft die Söhne beider Staatsoberhäupter - im französischen Fall Jean-Christophe Mitterrand - miteinander verband. Die Positionierung entsprach auch, scheinbar jedenfalls, strategischen Interessen, da die aus dem englischsprachigen Uganda kommenden Tutsi-Rebellen galten als "unter angelsächsischem Einfluß", und Paris witterte daher ein "Komplott" gegen die französische Einflußsphäre in Afrika.

Die ruandische Armee, die überwiegend von Franzosen ausgerüstet sowie ausgebildet wurde, expandierte Anfang der neunziger Jahre: von 5 200 Soldaten am 1. Oktober 1990 über 15 000 (Mitte 1991) erreichte sie zur Jahresmitte 1992 eine Stärke von 50 000. Bereits im Frühjahr 1992, so ist dem belgischen Untersuchungsbericht zu entnehmen, existierte - nach der Formulierung in einer Depesche des belgischen Botschafters in Kigali - "ein geheimer Generalstab, der mit der Vernichtung der Tutsi in Ruanda beauftragt war". Die Internationale Vereinigung der Menschenrechtsgruppen FIDH sprach Anfang 1993 in einem Dokument von "Todesschwadronen" und "Vorläufern eines Genozids"; ein am 11. August 1993 publizierter UN-Bericht übernahm diese Angaben.

Frankreichs Unterstützung kam dennoch nicht ins Wanken. Die Franzosen lieferten binnen dreier Jahre Waffen im Wert von offiziell - und es handelte sich, dem Figaro zufolge, hier nur um "die sichtbare Spitze eines Eisbergs" - 28 Millionen Francs (rund acht Millionen Mark) nach Ruanda. Andere Rüstungsgüter werden bei der ägyptischen Armee gekauft, wofür wiederum die damalige französische Staatsbank Crédit Lyonnais in Höhe von sechs Millionen Dollar bürgte.

Auch nach dem Beginn der Massaker durch die Hutu-Milizen im Jahre 1993 lieferte Paris weiterhin Waffen nach Ruanda; laut Figaro wurde der Lieferstopp wahrscheinlich erst Ende Mai 1994 angeordnet. Der französische Staatsbürger Dominique Lemonnier, der einen bedeutenden Teil dieser Kriegsexporte über eine Briefkastenfirma namens DYL-Invest in der Nähe von Annecy abgewickelt hatte, wurde zwar am 27. Januar 1995 dem Untersuchungsrichter in Annecy vorgeführt. Das Verfahren gegen ihn scheiterte jedoch an sogenannten Formfehlern: Die Anklageerhebung hätte, laut einem Gesetz aus dem Jahr 1939, vom Verteidigungs-, Marine- oder Finanzministerium gefordert werden müssen. Die zuständigen Kabinettsressorts in Paris hatten daran verständlicherweise kein Interesse, und das Verfahren gegen Lemonnier wurde am 23. März 1995 eingestellt.

Im April 1994 begann die französische Armee eine Rettungsaktion für die in Ruanda verbliebenen "eigenen" Staatsbürger, die Libération vom 2. Februar 1998 so beschreibt: "Die Familie liegt am Boden ausgestreckt. Vater, Mutter und Kinder. Sie sind Tutsi oder Freunde von Tutsi. Rund um sie herum aufgeregte Hutu. Ein Mann nähert sich einem Kind und versucht, ihm den Schädel mit einem Machetenhieb zu spalten. In einigen Metern Entfernung stehen französische Soldaten. Sie sind bewaffnet, rühren sich jedoch nicht (Ö): Die einzigen Leben, die sie zu retten haben, sind die von französischen Staatsbürgern." Am 23. Juni 1994 begann schließlich der letzte Akt: die Operation "Türkis" der französischen Armee, mit der auch Angehörige der ruandischen Regierung und Protagonisten des Völkermords in Sicherheit gebracht wurden.

Präsident Fran ç ois Mitterrand schien dies alles nicht sonderlich zu bekümmern. Schenkt man Patrick de Saint-Exupéry Glauben, so äußerte er im Sommer 1994: "Ein Genozid in einem Land wie Ruanda ist nicht allzu wichtig." Erfunden oder wahr, in diesem Satz ist die französische Ruanda-Politik präzise beschrieben.