Ne travaillez jamais!

Arm aber glücklich: Die halbe Kritik an der Arbeit führt in den Kommunitarismus.

"Freizeit ist das wirklich revolutionäre Problem", stellte eine Gruppe französischer Arbeitsscheuer - spätere Gründungsmitglieder der "Situationistischen Internationale" - bereits vor über 40 Jahren fest: "Da wir einige Jahre buchstäblich mit Nichtstun verbracht haben, dürfen wir unsere soziale Einstellung als avantgardistisch bezeichnen - denn in einer einstweilen immer noch auf Arbeit basierenden Gesellschaft haben wir ernsthaft versucht, uns ausschließlich der Freizeit zu widmen."

Neu sind die Gedanken des Manifests der "Glücklichen Arbeitslosen" also keineswegs - was noch nicht dagegen spräche, die Anstiftung der Situationisten (und anderer radikaler Kritiker der Lohnarbeit) zur Sabotage des kapitalistischen Alltags wieder aufzugreifen. Angesichts der maßlosen Bescheidenheit der Glücklichen Arbeitslosen stellt sich allerdings die Frage, ob ein solches Revival überhaupt gewollt wird.

Die linksradikale Kritik von Arbeit und Konsum in den fünfziger und sechziger Jahren nahm die Freizeit- und Reichtumsversprechen des prosperierenden Fordismus beim Wort und kritisierte die Ärmlichkeit ihrer kapitalistischen Realisierung. Nicht die von den Glücklichen Arbeitslosen monierte falsche Verteilung des Geldes war der Skandal. Sondern die Tatsache, daß sich Traditionsmarxisten, Liberale und Konservative über das Bild eines guten Lebens - einer rein quantitativen Ausweitung des Warenangebots und der arbeitsfreien Zeit - einig waren. Daß eine Überwindung dieses Zustands nur durch eine Beseitigung der Sachzwänge der Warenproduktion möglich sei, bedurfte unter französischen und italienischen Feinden der Arbeit keiner größeren Diskussion.

Die Glücklichen Arbeitslosen wollen sich dagegen mit den Brosamen des kapitalistischen Reichtums zufriedengeben. Ihre Forderung nach einer Entlohnung der Nicht-Arbeit wird aber von den modernsten Ideologen staatlicher Kostensenkung - Grünen, FDPlern und Sozialkonservativen - als "Existenzgeld" längst diskutiert.

Die Autoren des Manifests benennen Zwangsarbeit und Repression als die unangenehmen Zukunftsaussichten der gesellschaftlich Überflüssigen. Gleichzeitig rechnen sie dem Staat, der diese Zukunft organisiert, die Ineffizienz seines Tuns vor: Wie herrlich ließe es sich leben, wenn das für die Sozialbürokratie "verschwendete" Geld direkt an die Arbeitslosen ausgezahlt würde! Wer einen solchen mit Staatsknete finanzierten "Kommunismus" propagiert, muß sich aber auch den Rationalitätskriterien kapitalistischer Wertschöpfung unterwerfen. Wer monetäre Forderungen nicht für eine Notwendigkeit des alltäglichen Überlebenskampfs, sondern für die Lösung der Misere hält, wird früher oder später akzeptieren müssen: Mehrwert entsteht immer noch durch die Ausbeutung der Ware Arbeitskraft. Das schöne Geld muß daher im Wortsinne erarbeitet werden. Ein Existenzgeld dürfte nie das Existenzminimum übersteigen - um nicht das Mißverständnis aufkommen zu lassen, man könne unter marktwirtschaftlichen Bedingungen auch ohne Arbeit angenehm leben. Der monetäre Kommunismus endet zwangsläufig im Kommunitarismus, was die Glücklichen Arbeitslosen mit ihrer Begeisterung für die durch "Sippe" und "Brauch" gestützte Subsistenzwirtschaft der Bevölkerung im Trikont unter Beweis stellen: Arm, aber glücklich.

Leider bedarf es in Deutschland noch nicht einmal besonderen staatlichen Drucks, um die große Mehrheit der unglücklichen deutschen Arbeitslosen von der moralischen Verwerflichkeit ihrer Existenzweise zu überzeugen. Warum sollte auch jemand, der als braver Steuerzahler eben noch "Sozialschmarotzer" und "Asylbetrüger" für all seine Probleme verantwortlich machte, als Arbeitsloser anders über den Müßiggang denken? Er wird nicht die Sozialbehörde als den Fehler begreifen, sondern eher deren vermeintliche Unfähigkeit zwischen berechtigten und unberechtigten "Geldsuchenden" - sprich: Deutschen und Ausländern - zu unterscheiden.

In anderen Gesellschaften ist der Widerspruch zwischen dem von Staat und Kapital definierten Gemeinwohl und dem individuellen Glück noch präsent und entlädt sich gelegentlich in sozialen Konflikten. Hierzulande muß sich selbst der soziale Protest noch die Weihen der Standortsicherung geben. Seit über 100 Jahren konzentrieren sich die gesellschaftlichen Leidenschaften in Deutschland in einer besinnungslosen Produktivität, die gleichzeitig die Schranke aller emanzipatorischen Versuche bildet. Mit der Parole "Sozialismus ist Arbeit" brachte die deutsche Sozialdemokratie ihre Mitglieder 1918/19 zur Raison. "Arbeit ist Nationaler Sozialismus" war der Schlachtruf der Nazis und der Ausgangspunkt der antisemitischen Vernichtungspolitik der "schaffenden Deutschen" gegen die "raffenden Juden." Mit ihren Aufbauleistungen der Nachkriegszeit meinten die Deutschen schließlich, sich das Recht erworben zu haben, von Auschwitz nichts mehr hören zu müssen.

Diesen Arbeitswahn theoretisch und praktisch zu kritisieren wäre eine anspruchsvollere und wahrscheinlich auch spannendere Aufgabe als das immer neue Ausmalen esoterischer Utopien. Diese klingen so konkret und konstruktiv, weil sie von dem Zustand, gegen den sie sich richten, gar nicht mal so weit entfernt sind.