Rollenspiele am Golf

Rußland warnt vor einem Weltkrieg, sollte der Irak angegriffen werden. Die USA sind weiterhin zum Militärschlag entschlossen

Erhält IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch in diesem Jahr doch noch den Friedensnobel-Preis? Nachdem sein medienwirksames Engagement für die Bürgerkriegsopfer in Sarajevo während der Winterspiele im norwegischen Lillehammer 1994 das Osloer Gremium nicht überzeugte, propagiert er nun den traditionellen Olympischen Frieden. Der muß allerdings nicht überall gelten: Sein Internationales Olympisches Komitee IOC und Japan wollen eine diplomatische Lösung der Krise am Persischen Golf. Bis zum 22. Februar, dem Ende der Olympischen Winterspiele von Nagano, sollten militärische Aktionen verschoben werden.

Ähnliche Uneigennützigkeit zeigt auch Rußlands Präsident Boris Jelzin: Die USA hätten "kein Recht", den Irak anzugreifen. Ein anglo-amerikanischer Militärschlag gegen den Irak käme dem "Beginn eines Weltkrieges" gleich, erklärte er und machte damit deutlich, auf welcher Seite sich Rußland im Kriegsfall positionieren wird.

Rückhalt erhielt Jelzin von der Duma, dem russischen Parlament: Sollte es tatsächlich zu einem Angriff auf den Irak kommen, werde Moskau sich nicht mehr an die Sanktionen der Vereinten Nationen (UN) gegen das arabische Land halten. Vor allem Waffen könnten so in den Irak gelangen - wie vor dem Golfkrieg von 1991. Die Sowjetunion war nach Informationen der US-Regierung seit dem Beginn des Ersten Golfkrieges zwischen Iran und Irak im Jahr 1982 wichtigster Waffenlieferant der irakischen Armee. Für mehr als 22 Milliarden US-Dollar soll Bagdad seitdem sowjetisches Kriegsmaterial gekauft haben, etwa ein Drittel dieser damaligen Rechnungen ist noch offen. Daraus erklärt sich das russische Engagement gegen einen Militärschlag.

Eine Zerstörung irakischer Industrieanlagen ist für die ausstehenden Zahlungen von Bagdad an Moskau genauso ungünstig wie die Aufrechterhaltung der UN-Resolution 986, die dem Irak lediglich Erdölverkäufe im Gegenwert von 2,14 Milliarden US-Dollar pro Halbjahr gestattet, um wichtige Nahrungsmittel und Medikamente im Ausland kaufen zu können.

Daneben möchte Rußland, das in den vergangenen Jahren auf der internationalen Bühne als Großmacht wenig Bedeutung hatte, sich Gegengewicht Washingtons machen. Insofern kommt der erneute Konflikt am Persischen Golf Moskau durchaus gelegen, um die eigene Rolle zu stärken. So sicherte der russische Außenminister Jewgeni Primakow am vergangenen Wochenende Mahmoud Abbas, dem Stellvertreter von Palästinenserchef Jassir Arafat, die Unterstützung seines Landes beim Ausbau der palästinensischen Selbstverwaltung zu.

Darüber hinaus gibt sich die russische Seite auch Mühe, die Möglichkeit diplomatischer Lösungen zur Beilegung des aktuellen Konflikts noch einmal ins Spiel zu bringen. Primakow verlangte, UN-Generalsekretär Kofi Annan solle sich um andere Auswege als militärische bemühen. Damit stellte er auch die Berechtigung eines US-Militärschlages auf Grundlage der bisherigen UN-Resolutionen noch einmal demonstrativ in Frage.

Die arabischen Länder scheinen für die Regierung in Moskau naheliegende Bündnispartner zu sein. Sowohl in Rußland als auch am Golf betrachtet man die Position der Vereinigten Staaten mit Besorgnis. Während es dem Kreml in erster Linie um die eigene Machtposition geht, kritisieren die Staaten im Mittleren Osten vor allem die Dominanz der USA innerhalb der UN - auch Saddam Hussein hatte mehrfach angeprangert, US-Amerikaner seien unter den internationalen Waffeninspektoren im Irak angeblich überrepräsentiert.

Einem Kommentar der Arabic News zufolge dominieren in der arabischen Öffentlichkeit "Haß und Groll" gegen die USA und deren Absicht, "den Irak ohne ersichtlichen Grund anzugreifen" - Rußlands Position wird dagegen anerkennend gewürdigt. Zu der antiamerkanischen Haltung trug die Veröffentlichung eines Briefes von Scheich Jaber Ahmed al-Sabah, dem Regierungschef von Kuwait, bei, den er an seine Amtskollegin den anderen Golfstaaten und Ägypten gerichtet hatte. Darin berichtet der Scheich von einem konkreten "US-Plan", Saddam Hussein stürzen und im Irak ein "föderales demokratisches System mit Loyalität gegenüber den USA" etablieren zu wollen.

Eher gegensätzliche Interessen im aktuellen Konflikt hat die Türkei als wichtige Regionalmacht. Einerseits will Ankara keinen mächtigen irakischen Nachbarn, der - wie der britische Premier Tony Blair betonte - die "ganze Weltbevölkerung vernichten" könne. Andererseits ist im Kriegsfall, wie schon 1991, eine Flüchtlingswelle Richtung Türkei zu erwarten. Dies könnte eine Gründung eines kurdischen Staates begünstigen. Um beides zu verhindern, schließt die türkische Regierung eine Besetzung der nordirakischen Berge nicht aus. Ein entsprechendes Truppenkontigent wird von der Armee in der Grenzregion bereits seit längerem bereitgehalten. Schon in den vergangenen Monaten drangen immer wieder türkische Soldaten in den Norden des Irak ein, um kurdische Seperatistenverbände zu bekämpfen. An der US-Aktion will Ankara sich aber nicht beteiligen.

In Europa hingegen stellt sich neben Großbritannien vor allem Deutschland demonstrativ hinter einen möglichen Angriff. Helmut Kohl erklärte, die Bundesrepublik werde den USA und Großbritannien auch die Luftwaffenbasen auf Bundesgebiet zur Verfügung stellen. Madeleine Albright, die US-Verteidigungsministerin, würdigte diese "positiven Signale aus Großbritannien, Deutschland und Kanada" in einem Interview mit dem Fernsehsender CBS, sie würden die USA in ihrer Absicht bestätigen. Der Angriff, so bestätigte Albright später gegenüber CBN, sei "keine Sache von Tagen oder Monaten, sondern von Wochen" - immer mehr Soldaten und Kampfflieger waren in den Tagen zuvor in die Konfliktregion verlegt worden.

Großbritannien will dabei nicht nur unterstützende Hilfe leisten, sondern ließ am vergangenen Sonntag durch Verteidigungsminister George Robertson mitteilen, man sei auf jeden Fall bereit, am Persischen Golf aktiv "die europäische Flagge hochzuhalten".

Bonn stellt sich hingegen nicht so deutlich nur auf eine Seite. Denn trotz der Zusage, Washington zu unterstützen, will man gleichzeitig auch Rußland nicht brüskieren und fordert in Sachen Nato-Ost-Erweiterung eine enge Koordination mit Moskau. Offenbar hoffen die bundesdeutschen Strategen, sich dadurch für eine Vermittlerrolle empfehlen zu können.