Diplomatie mit Wert

In der Bundestagsdebatte "zur politischen Lage im Irak" waren sich fast alle einig: Bald ist die Zeit für den Angriff gekommen. Auf vielleicht 60 bis 70 Leute ist das Häuflein derjenigen im Bundestag zusammengeschrumpft, die Militäreinsätze nicht für das geeignete Mittel zur Wahrung des Friedens halten. Der Rest ist sich einig, daß es mindestens vier gute Gründe für eine deutsche Hilfestellung im Falle eines Angriffs gegen den Irak gibt:

Erstens: Die Waffen, um die es geht - irakische Raketen und Artilleriegeschosse mit chemischen und biologischen Gefechtsköpfen - wurden mit deutscher Hilfe hergestellt. "Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß der Aufbau dieser Kapazitäten im Irak ohne die Hilfe deutscher Firmen und manche andere Nachlässigkeit nicht zustande gekommen wäre", sagte SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping in seinem leidenschaftlichen Plädoyer. Wir haben dafür gesorgt, daß Hussein das Zeug in die Finger gekriegt hat, jetzt müssen wir dafür sorgen, daß er dafür bestraft wird - wenn es schon nicht möglich ist, es ihm wieder wegzunehmen.

Zweitens: Deutschland ist für den Mord an den europäischen Juden verantwortlich. "Wenn etwa Israel mit B- und C-Waffen bedroht würde, könnte doch wohl Deutschland nicht gleichgültig am Rande stehen", begründete der CDU-Politiker Rudolf Seiters, warum Israel Deutschland als Kriegsvorwand dienen sollte. Auch Scharping weiß, daß "angesichts der Sicherheit Israels Deutschland eine besondere Verpflichtung hat". Ob eine militärische Eskalation des schwelenden Konfliktes, die wohl erst irakische "Vergeltungsschläge" hervorrufen und für die Zukunft eine wirkungsvolle Kontrolle des irakischen Vernichtungspotentials unmöglich machen würde, im israelischen Interesse ist, wird vor lauter "Idealismus" nicht mehr gefragt.

Drittens: Hitler war Deutscher. So formulierte Scharping seine Besorgnis, "daß dieser Diktator sein eigenes Land mit blutiger Gewalt und Unterdrückung regiert, mit einer menschenverachtenden Haltung, die leider nicht beispiellos ist". Schon vor dem Zweiten Golfkrieg hat der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger 1991 vorgeführt, wie sich der irakische Diktator dazu benützen läßt, die Verbrechen der Deutschen kleinzureden. "Saddam = Hitler", rechnete er damals vor. Und "die Deutschen waren die Irakis von 1938 bis 1945". Wenn die geläuterten Ex-Irakis jetzt mithelfen, Saddam wegzubomben, so hofft man, wäre auch der "Zwischenfall" mit Hitler ausgebügelt.

Viertens: Deutschland bemüht sich seit Jahren, ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat zu werden. "Wir in Deutschland müssen ein vorrangiges Interesse daran haben, daß die Glaubwürdigkeit und die Autorität der Vereinten Nationen gewahrt bleiben", meint Scharping. Deshalb muß die BRD einfach mitmischen. Und Rudolf Seiters (CDU) riet den Sitznachbarn in spe: "Eine Diplomatie ohne Schwert ist eine Diplomatie ohne Wert. Diese Einsicht sollten sich alle Mitglieder des Sicherheitsrates zu eigen machen."

Was aber wirklich mit einem Militärschlag bezweckt würde, wurde im Bundestag kaum offen gesagt. Daß man Waffen nicht vernichten kann, deren Standort man nicht kennt, daß bei dem Versuch aber sehr wohl chemische und biologische Kampfstoffe freigesetzt werden könnten, daß Hussein schwerlich aus dem Amt gebombt werden kann, daß ein Militärangriff wohl eher eine Solidarisierung im Irak wie in der gesamten arabisch-islamischen Welt bewirken würde, weiß man auch in Deutschland. Worum es bei der Unterstützung eines eventuellen Militärschlags geht, sprach allein die Grüne Amke Dietert-Scheuer aus: "Hier geht es nicht um die Frage einer sinnvollen Politik gegenüber dem Irak, sondern um das Ziel der Bundesregierung, sich immer mehr auch bei militärischen Aktionen ins Spiel zu bringen."