Frieden in den Schanzen

Hamburger Polizei und Alternative können zufrieden sein: Durch Polizeipräsenz wurden Kleindealer vertrieben

Kaum hundert Tage im Amt, kann die rot-grüne Koalition in Hamburg ihren ersten Erfolg verbuchen. Die "offene Drogenszene" im Schanzenviertel ist - bis auf klägliche Reste - zerschlagen.

Zur Erinnerung: Die Zustände im Stadtteil an der Sternschanze waren das Wahlkampfthema Nummer eins. Das Viertel war zur idealen Projektionsfläche eines hysterischen Sicherheitsdiskurses geworden. Ganz Hamburg gruselte sich vor den Verhältnissen im Schmuddelstadtteil, wo, so die verbreitete Halluzination, unter den Augen einer machtlosen Polizei dunkelhäutige Dealer die Bewohner bedrohten und die Jugend ruinierten. Lehrer verboten ihren Schülern, am Bahnhof Sternschanze aus der S-Bahn zu steigen, aus der ganzen Bundesrepublik trafen die Anrufe besorgter Eltern ein, die um die Sicherheit der hier zahlreich lebenden Studenten fürchteten, und so mancher auswärtige Fußballer traute sich nicht mehr, zu den Spielen des SC Sternschanze mit dem eigenen Pkw anzureisen.

Das allgemeine Entsetzen war deshalb besonders groß, weil ein erheblicher Teil der eingesessenen Anwohnerschaft bis weit ins linksalternative Milieu, das doch im Ruf besonderer Toleranz stand, keinen Hehl aus seinen Aggressionen gegen die multikulturelle Armutsszenerie machte. Der Spuk scheint nun vorbei.

Die konservative Zeitung Die Welt meldete Ende Januar das "langsame Aufatmen im Schanzenviertel". Der Stadtteil scheine "befriedet", die alte Idylle zurückgekehrt: "Vor dem vegetarischen Imbiß sitzt ein Pärchen am späten Nachmittag draußen auf der Bank und verspeist Grillspezialitäten aus Tofu, während in den Kneipen an der Susannenstraße die ersten Biere gezapft werden. Nachbarn stehen beieinander und klönen." Die Polizei hat genau nachgezählt: Wo früher "bis zu hundert vorwiegend schwarzafrikanische Dealer" ihren Stoff anboten, würden heute noch etwa acht Händler Haschisch verkaufen, weitere zehn würden in kleinen Gruppen "durch die Straße ziehen und auch harte Drogen" offerieren.

Der Leiter des örtlichen Polizeireviers, Dieter Suckert, heftet sich den Erfolg an seine Brust. Die "massive Polizeipräsenz sowie eine Fülle von kleinteiligen Maßnahmen" seien verantwortlich für den Rückzug der Dealer. Außerdem seien viele von ihnen inzwischen abgeschoben worden.

Tatsächlich erkennt man auch die verbliebenen Kleinhändler nicht mehr daran, daß sie ihre illegalisierte Ware anpreisen, sondern nur noch, wenn sie in Laufschritt verfallen, sollte einer der im Viertel zahlreich patrouillierenden Zivilpolizisten auf seinem Mountainbike angespritzt kommen. "Man kann die Dealer und Junkies inzwischen fast ignorieren", zeigt sich auch die Optikerin Charlotte Ernst erleichtert über die eingeschüchterte Szene.

Anders reagierten die Aktivistinnen des autonomen Stadtteilzentrums Rote Flora, in dessen Nähe sich der Handel durch polizeiliche Vertreibung immer mehr verlagert hat. Mit der "Drogenproblematik" vor der Haustür und dem "immer offener zutage tretenden Rassismus im Stadtteil konfrontiert" sah sich die Rote Flora, in der früher nicht einmal Alkoholgenuß erlaubt war, gezwungen, in einem aufwendig gestylten Faltblatt ihre Sicht zu "Drogenhandel und -konsum" darzulegen. Nicht nur in der Roten Flora, in weiten Teilen der linken Szene hat ein Umdenken stattgefunden. Wurden DrogenhändlerInnen einst unter der Parole "Dealer, verpißt euch" bekämpft und oft als verlängerter Arm der Staatsmacht gegen Rebellierende analysiert, überwiegt inzwischen die Position, sich mit Kleindealenden und Junkies als Opfern staatlicher Ausgrenzung zu solidarisieren. Mitunter schlägt die einstige Dealerphobie gar in regelrechte Dealer-Romantik um, die sich etwa in dem Slogan "Mach meinen Dealer nicht an" ausdrückt.

Dennoch wird die Flora kein "geschützter Raum zum Konsumieren und Handeln illegalisierter Drogen", betonen die HerausgeberInnen des Flora-Flugblatts. Im Inneren befürchtet man eine Überforderung des Projektes und lebt "lieber mit einigen offen benannten Widersprüchen, als der Illusion anzuhängen, in unserer kleinen Nische alle gesellschaftlichen Probleme lösen zu können". Staatliche Sozialarbeit findet, in direkter Nachbarschaft zur Roten Flora, in der Drogen-Einrichtung "FixStern" statt. In der hoffnungslos überlaufenen Anlaufstelle gibt es auch die Möglichkeit, sich unter ärztlicher Aufsicht Heroin zu spritzen. Die Mitarbeiter bewegen sich allerdings in einer rechtlichen Grauzone, denn noch immer ist juristisch umstritten, ob diese Praxis nach dem Betäubungsmittelgesetz strafbar ist.

Die rot-grüne Regierung setzt auf die bewährte sozialpolitische Doppelstrategie "Zuckerbrot und Peitsche". Neben der Repression gegen die "offene Drogenszene" wünscht man sich den Ausbau der Fixerstuben. Teile der Staatsanwaltschaft halten die Räume dagegen für illegal. Ein Musterprozeß soll diese Frage nun klären. Es fehlt nur noch eine Person aus dem Mitarbeiterkreis, die bereit ist, sich für diesen Zweck verklagen zu lassen. Die Razzien gehen unterdessen weiter.