Deutsche Lehrerzeitung

Andere Tradition

Manchmal geschehen im Osten doch noch Wunder - zum Beispiel gibt es dort eine Zeitung, die fast ohne Mitarbeiter existieren kann. Vor knapp zwei Monaten mußte die Redaktion der Deutschen Lehrerzeitung (DLZ) wegen ausstehender Gehaltszahlungen ihre Arbeit einstellen, nun ist das Pädagogen-Blatt mit neuem Outfit als Monatsmagazin wieder auf dem Markt. Wie die traditionslastige, aber momentan redaktionslose "Zeitschrift für Schule und Gesellschaft" erstellt wurde, kann auch ein Blick ins Impressum nicht restlos klären, denn als einziges Redaktionsmitglied taucht dort - neben dem Verleger und Herausgeber Reinhardt Becker - ein ehemaliger Praktikant der DLZ-Anzeigenabteilung auf. Man sieht: Im Osten kann einer noch richtig Karriere machen.

Auf knapp einhundert Seiten wird ein buntes Sammelsurium von Artikeln präsentiert. Sein Konzept erläutert der Verleger im Editorial: "Uns" - das sind der Verleger und seine einköpfige Redaktion - "interessiert, was tatsächlich an den Schulen, in den Klassen- und Lehrerzimmern passiert, was die Betroffenen dort an- und aufregt. Da jedoch der Bereich (Volks) Bildung nicht vor dem Schulgelände haltmacht, sondern - schätzungsweise - 60 bis 80 Prozent der Bevölkerung direkt oder indirekt tangiert, gehören dazu meines Erachtens" - die Redaktion redet jetzt offenbar nicht mehr mit - "auch Themen mit gesamtgesellschaftlicher Anteilnahme."

Wo sonst sollten sich Pädagogen auch über so wichtige Problematiken wie "Unglücksfälle in der Raumfahrt" informieren ("Die moderne Raumtechnik mit ihren Flüssigkeitstriebwerken kann auf 70 Jahre Geschichte und die aktive Raumfahrt seit Sputnik 1 auf 40 Jahre zurückblicken")? Wo über die "Pionierlieder" (z.B."Die kleine Friedenstaube") des "gebürtigen Greifswalders Thomas Putensen", der "schon in früher Jugend in einer Singegruppe gesungen" hat? Wo über die Neue Bühne Senftenberg ("Das Spielangebot reicht von der 'Rocky Horror Show bis Faust'")?

Zu den Themen mit gesamtgesellschaftlicher Anteilnahme gehört auch die "Partnersuche", bei der Jutta Resch-Treuwerth, Leiterin des Partner-Instituts "Unter vier Augen", behilflich ist ("Ein seriöses Vermittlungsinstitut sieht seine Aufgabe darin, ... Kontakthilfe zu leisten. Nicht mehr und nicht weniger. Verlieben muß man sich selbst.").

Die Lehrerzeitung will aber auch weiterhin "zu speziellen pädagogischen oder fachwissenschaftlichen Themen" Beiträge veröffentlichen, denn "Bildunk tuht nod!". Deshalb gibt es ein 28seitiges Special zur "Rechtschreibreform". Die ist allerdings so speziell, daß selbst der Verfasser des Beitrags keine Hoffnung hat, die "Verwirklichung" seiner "utopischen Alternative" zum Duden noch "selbst erleben" zu können.

Einige neue Rubriken wurden praktischerweise aus anderen Ost-Zeitungen übernommen. Überhaupt scheint der Becker-Verlag den ostdeutschen Patriotismus als Marketing-Idee für sich entdeckt zu haben. In der Rubrik "Leserbriefe" bedankt sich der Verleger für die "zahlreichen" Abonnentenzuschriften, die sich über die "unregelmäßige" Auslieferung beklagten. "Erst dadurch", so Becker, "konnten wir feststellen, daß es beim Verlagswechsel der Zeitung zu offenbar schwerwiegenden Problemen bei der Auslieferung der letzten Nummer gekommen ist." Kritik daran tadelt der Verleger mit dem Hinweis auf den Wohnort des Lesers und vermutet, daß "man im Westen Berlins bzw. der Republik z.T. andere Traditionen hat als in den neuen Bundesländern".