Boykott gegen Israel

50 Jahre deutsch-israelische Beziehungen (I): Wie Adenauer Israel instrumentalisierte

Die westdeutsche Außenpolitik gegenüber Israel war von Anfang an von der Kontroverse gekennzeichnet, ob sich die eigenen Interessen besser durch einen Ausgleich mit oder durch eine Gegnerschaft zu Israel durchsetzen lassen.

Für die erste Position stand im wesentlichen der Adenauer-Flügel der CDU. Auf dem CDU-Kongreß 1965 begründete Adenauer seine Politik rückblickend damit, daß die Haltung gegenüber Israel von entscheidender Bedeutung für das deutsche Ansehen in der Welt sei. Er führte weiter aus: "Die Macht der Juden, auch heute noch, insbesondere in Amerika, soll man nicht unterschätzen."

Dieses instrumentelle Verhalten zu Israel wird besonders in der Frage der Reparationen deutlich. Adenauer stellte diesen "Versuch einer Rehabilitation Deutschlands" in eine Reihe mit anderen Anläufen, die Nachkriegs-Auflagen für die BRD abzuschütteln und sich einen Persil-Schein als westliche Demokratie ausstellen zu lassen: "Würde die deutsche Regierung zu einer Verständigung mit Israel und den jüdischen Organisationen kommen, so wäre dies - darüber war ich mir im klaren - ein politisches Ereignis, das in einer Reihe mit dem Vertrag zu stellen war, der den Besatzungsstatus Westdeutschlands beendete, sowie mit dem Vertrag zur europäischen Verteidigung", schrieb der Kanzler in seinen Memoiren.

Unmittelbar nach Kriegsende legte Chaim Weizman im Namen der Jewish Agency for Palestine in einem Brief an die Siegermächte dar, daß die Juden von Deutschland acht Milliarden Dollar Entschädigung verlangen werden. Salopp überging Adenauer diese fest umrissenen Forderungen und bot im November 1949 als "allererstes unmittelbares Zeichen" generös zehn Millionen Mark an - also weniger als den dreihundertsten Teil der von Weizman genannten Summe. Bezeichnend auch Adenauers bereits vor Aufnahme bilateraler Verhandlungen geäußerter Wunsch, ausgerechnet "durch Waffenlieferungen zu dem Aufbau des Staates Israel einen Beitrag zu leisten" - und dadurch das von den Alliierten ausgesprochene Verbot der Kriegsrüstung durch Vorschub eines angeblich guten Zwecks zu unterlaufen.

Die israelische Seite ließ sich auf diese Vorstellungen nicht ein und forderte weiter Devisenzahlungen in Milliardenhöhe, was in Deutschland Unwillen erregte. Man argumentierte, vom juristischen Standpunkt betrachtet, habe Israel während des Krieges noch nicht existiert und könne folglich auch keinen Anspruch auf Reparationen erheben. Diese Argumente waren nicht nur falsch (schließlich hatte die Vereinigung der jüdischen NS-Opfer außerhalb Israels, die sogenannte Claims Conference, ihre Ansprüche gegenüber den Deutschen hinter diejenigen des jüdischen Staats zurückgestellt), sondern offensichtlich auch vorgeschoben. Die dahinterstehende Geisteshaltung bei den Deutschen ging aus einer Umfrage in der amerikanischen Besatzungszone hervor, in der sich noch 1947 22 Prozent der Befragten zur nationalsozialistischen Rassentheorie und 19 Prozent zum Nationalsozialismus allgemein bekannten.

So ist es nicht verwunderlich, daß Verhandlungen mit den Deutschen in Israel zunächst nur von einigen wenigen Politikern unterstützt wurden, während in der Bevölkerung Wut und Haß vorherrschten. Daran änderte sich auch nichts, als Adenauer ein Eingehen auf die jüdischen Forderungen signalisierte. "Von den Deutschen Geld anzunehmen, schien gleichbedeutend mit einer moralischen Anerkennung des neuen westdeutschen Staates, die er nicht verdient habe, vor allem im Hinblick auf die Tatsache, daß ehemalige Nazis in hohen Regierungsämtern saßen und antisemitische und neonazistische Strömungen das Hitlerreich überlebt hatten", resümiert die aus Berlin stammende israelische Journalistin Inge Deutschkron.

Noch 1952 fand im israelischen Parlament selbst die bloße Aufnahme von Verhandlungen mit der BRD nur eine knappe Mehrheit. Mit Rücksicht auf die starke Opposition verwies Außenminister Sharett darauf, daß Verhandlungen mit der Bundesrepublik keineswegs eine Anerkennung dieses Staates bedeuteten. Nach wie vor betrachte man das ganze deutsche Volk als verantwortlich für die Naziverbrechen; gegenwärtig könne man keine Anzeichen echter Reue in Deutschland erkennen. Mehr als diese Beschwichtigungen dürfte die harte Realität die Mehrheit für Verhandlungen gewonnen haben: Angesichts der schwierigen Lage der Aufbaujahre - innerhalb von drei Jahren hatte sich die Bevölkerung verdoppelt - konnte es sich Israel nicht leisten, ein auch noch so geringes deutsches Angebot auszuschlagen.

In mehrmonatigen Verhandlungen schaffte es die Bundesregierung schließlich, die Israelis auf eine Forderung von 3,4 Milliarden Mark herunterzuhandeln. Auch der Zahlungsmodus (keine Devisen, sondern nur Warenlieferungen; lange Zahlungsfrist von zwölf Jahren) wirkte sich positiv für die BRD aus.

Im Bundestag waren ein Drittel der Parlamentarier noch nicht einmal zu dieser Form der "Wiedergutmachung" bereit, sie lehnten die Ratifizierung ab oder enthielten sich. Von den 214 Abgeordneten der Regierungskoalition aus CDU/CSU, FDP und Deutscher Partei stimmten nur 106 für den Vertrag.

In der Bevölkerung sah es noch weit schlimmer aus. In einer Umfrage vom September 1952 befürworteten nur elf Prozent den Vertrag ohne Einschränkung, jedoch hielten 44 Prozent die "Wiedergutmachung" für "überflüssig" und 24 Prozent die ausgehandelte Summe für "zu hoch"; 21 Prozent waren unentschieden. Besonders kraß war die Kluft in der Sozialdemokratie: Während die Bundestagsfraktion geschlossen mit "Ja" stimmte, unterschied sich die Meinung der sozialdemokratischen Wählerbasis kaum von derjenigen der reaktionären Restbevölkerung.

Wie brüchig der nunmehr offiziell verkündete Philosemitismus der jungen Bundesrepublik war, zeigte sich in den folgenden Jahren beim Streit um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Nachdem man sich in Israel gegen starken innenpolitischen Widerstand schließlich mit diesem "instinktlosen" (Der Spiegel) Begehren der BRD anzufreunden begonnen hatte, kippte 1955 die Bonner Haltung scheinbar plötzlich um. Zehn Jahre sollte es noch bis zur Aufnahme offizieller diplomatischer Beziehungen dauern - und zwar nicht wegen Widerständen im Land der Opfer, sondern im Land der Täter des Holocaust.

Israel wurde dabei dem außenpolitischen Kalkül der BRD geopfert: Mit Verkündigung der "Hallstein-Doktrin", nach der die BRD die Beziehungen zu allen Staaten abbrechen wollte, die die DDR anerkannten, kam es in der Nahost-Politik zu einem Übergewicht der "Strömungen im Auswärtigen Amt, die gegen Beziehungen mit Israel gerichtet sind" (Adenauer). Diese Kräfte argumentierten, daß eine offizielle Anerkennung Israels durch die BRD die Anerkennung der DDR durch die arabischen Staaten nach sich ziehen würde.

Ähnlich wie der Bundeskanzler agierte auch Atom- und Kriegsminister Franz Josef Strauß. Er hatte eine besonders schwierige Aufgabe zu lösen: Die Knesset hatte im November 1954 in einer Resolution die Remilitarisierung der BRD verurteilt und sich damit in offenen Widerspruch zu den Nato-Staaten gesetzt, die die Hochrüstung der BRD als Frontstaat gegen den Osten unterstützten. Strauß konterkarierte jetzt die israelische Haltung dadurch, daß er eine Abkühlung des israelisch-amerikanischen Verhältnisses dazu nützte, im geheimen militärische Beziehungen anzuknüpfen. Ende der fünfziger Jahre lieferten die Israelis Uzi-Maschinenpistolen an die Bundeswehr, Anfang der sechziger Jahre die BRD Militärmaterial für über 250 Millionen Mark an Israel. Der Deal war kühl kalkuliert. "In einer öffentlichen Versammlung in Düsseldorf am 17. Februar wies Strauß darauf hin, daß die deutsche Waffenhilfe für Israel sich positiv für die Bundesrepublik ausgewirkt habe. Die öffentlichen Erklärungen zugunsten der Bundesrepublik, die der israelische Premierminister Ben-Gurion und sein Nachfolger Levi Eschkol abgegeben hätten, seien nicht zufällig erfolgt", schrieb 1965 Inge Deutschkron, damals Deutschland-Korrespondentin der israelischen Tageszeitung Ma'ariv.

Die nächste Folge erscheint in Jungle World, Nr. 10: "Raketen gegen Israel - Auswärtiges Amt und Schwerindustrie im Zwielicht"