Immunsystem reaktiviert

Verschiedene Prozesse setzen Chiles Ex-Diktator Pinochet unter Druck

Chiles Ex-Diktator Augusto Pinochet hat einen Plan: Am 10. März will er sich nun endgültig aus dem Amt des Heereschefs verabschieden, am folgenden Tag will er sich als Senator auf Lebenszeit vereidigen lassen, ein Posten, der ihm Immunität bis ans Lebensende garantieren würde. Mit der Entscheidung, eine dementsprechende Verfassungsbestimmung zu nutzen, die er dereinst höchstpersönlich durchgesetzt hatte, hat sich der 82jährige allerdings wenig Freunde gemacht. Der Druck auf ihn wächst.

Jüngstes Beispiel ist eine Verfassungsklage von Adriana Borquéz gegen die deutsche Siedlung Colonia Dignidad. 1975 war die Frau von der chilenischen Geheimpolizei Dina dorthin verschleppt und wochenlang gefoltert worden. Auch bei diesem Prozeß wird es um die Person Pinochets gehen, der seit dem Putsch von 1973 gegen Salvador Allendes Regierung mit Mord und Totschlag die chilenische Politik entscheidend prägte. Weitreichender noch ist die Klage der Kommunistischen Partei Chiles wegen Völkermords und widerrechtlicher Enteignung, die am 20. Januar zur allgemeinen Überraschung von einem chilenischen Gericht zugelassen wurde. Der zuständige Richter Juan Guzman leitete daraufhin die Ermittlungen gegen Pinochet ein, der sich zunehmend enerviert über den Widerstand gegen seine Pläne für einen gemütlichen Lebensabend zeigt.

Ende Dezember hatte Pinochet erstmals schweres Geschütz aufgefahren und verschiedenen Senatoren, die sich gegen seine Ernennung zum Ehrensenator ausgesprochen hatte, mit der Preisgabe verschiedener "Geheimnisse" gedroht, falls sie nicht Ruhe gäben. Auch die Generalität fühlte sich veranlaßt, ihr Mißfallen öffentlich kundzutun: "Wenn man schlecht über den Oberkommandierenden sprechen würde, spräche man auch schlecht über die Armee", diktierte der Vizekommandant Rafael Villarroel den Journalisten erzürnt ins Mikrophon.

Doch trotz der Warnungen kehrte die erwünschte Ruhe nicht ein. Am 9. Januar brachten zwölf Abgeordnete der Christdemokraten den Vorschlag für eine Volksbefragung über die politische Zukunft des amtierenden Heereschefs ein, nachdem sich das Parlament bereits einige Tage zuvor mit 56 zu 26 Stimmen gegen die Ernennung Pinochets zum Senator auf Lebenszeit ausgesprochen hatte. Den Christdemokraten dürfte es bei dieser Initiative auch darum gegangen sein, ihr Prestige bei Jungwählern aufzupeppen. Die Parlamentswahlen im Dezember hatten je eine Million Erst- und Jungwähler kurzerhand boykottiert.

Mit dem Vorschlag einer Volksbefragung war, so hatte es den Anschein, der Startschuß für das Vorgehen gegen Pinochet gefallen. Fünf weitere christdemokratische Abgeordnete, denen auch Präsident Ernesto Frei angehört, brachten nun auch noch die Idee einer Verfassungsklage auf. Einem chilenischen Staatsbürger kann für fünf Jahre das Recht auf Ausübung öffentlicher Ämter aberkannt werden, wenn er durch sein Verhalten "Ehre und Ansehen der Nation" verletzt hat, was Pinochet in den Augen dieser Parlamentarier getan hat. Eine solche Klage muß allerdings auch den Senat passieren, der fest in den Händen der reaktionären Pinochetparteigänger ist und erst am 11. März neu zusammentritt.

Wegen des wachsenden Wirbels um seine Person verschob Pinochet Mitte Januar seinen ursprünglich auf den 26. Januar terminierten Rücktritt als Heereschef auf den 10. März, um erneut zu demonstrieren, daß er machen könne, was er wolle. Daraufhin zog Verteidigungsminister Edmundo Perez Yoma - zugleich Garant eines bis dato leidlich guten Verhältnisses zwischen Armee und Regierung - es vor, sein Amt zur Verfügung zu stellen. Er war es gewesen, der das ursprüngliche Rücktrittsdatum mit dem Ex-Diktator ausgehandelt hatte. Schließlich tauchte im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen Pinochet Ende Januar überraschend ein Tonband auf, das beweisen soll, daß dieser höchstpersönlich die Ermordung des ehemaligen Präsidenten Salvador Allende geplant hatte.

Nach Einschätzung des Anwalts der Kommunistischen Partei, Eduardo Contreras, stehen die Chancen nicht schlecht, daß die Immunität, die Pinochet als Generalstabschef genießt, aufgehoben wird. Das chilenische Amnestiegesetz gelte nur für Verbrechen, die von den Militärs bis 1978 verübt wurden, so daß man Pinochet für Verbrechen nach 1978 zur Verantwortung ziehen könnte. Der Präsident der Organisation von Angehörigen der Verschwundenen, Sola Sierra, jedenfalls hofft auf das chilenische Rechtssystem: "Falls es Gerechtigkeit in diesem Land gibt, wird er bestraft." Die Vorkommnisse bis heute lassen diese Auffassung allerdings als blauäugig erscheinen.