Wischmops on Ice

Das Curling ist nicht nur deswegen ein prima Sport, weil die Deutschen dauernd verlieren

Der durchschnittliche Wintersport-Fan ist stur: Wenn er sich schon wachgehalten hat, um Olympische Spiele zu sehen, dann will er sie auch sehen. Jedenfalls die Wettbewerbe in den klassischen, weil bekannten Disziplinen. Wenn jedoch, wie in Nagano, diese Entscheidungen ständig ausfallen, dann muß eben der ganze andere Kram geguckt werden.

Der heißt Curling und wird nur dann im Fernsehen übertragen, wenn wirklich alles andere abgesagt wurde. "Curling ist ein Traum-Zuschauersport für Frauen, die Männer gern schrubben sehen", versuchte Steffen Seibert, Moderator von "Hallo Deutschland", die Sportart interessant zu machen, erwähnte allerdings mit keinem Wort ihren größten Vorteil: Obwohl schon Europameister geworden, verloren sowohl das Männer- als auch das Frauenteam grundsätzlich ihre Spiele. Das erleichtert das Zuschauen, weil man sich keine Sorgen machen muß, und deswegen kann man sich ganz auf das Curling konzentrieren. Und erkennt schnell, was für ein prima Sport das ist, auch wenn niemand da ist, der ihn erklärt.

Was Curling ist, ist den meisten klar: "Eisstockschießen", aber das stimmt nicht. Während beim Eisstockschießen ein fünfeinhalb Kilo schweres Holzgerät mit senkrechtem Griff in ein bewegliches Ziel gespielt wird, muß der ungefähr 20 Kilo schwere Curlingstein in ein auf dem Eis eingezeichnetes Haus treffen. Während drumherum das Eis gewischt wird.

1541 fand das erste schriftlich überlieferte Spiel auf einer Eisfläche statt. Der erst 1976 in der schottischen Paisley-Abtei entdeckte Text kann es an Drögheit durchaus mit der durchschnittlichen Sportberichterstattung der Neuzeit aufnehmen: "Der ehrwürdige Herr Johannes Sclater, Mönch von Paisley, ging auf das Eis ... Von der Ostseite warf er daselbst dreimal den Stein über das Eis und versicherte, er sei zu einem Wettkampf mit den über das Eis zu werfenden Steinen bereit, wie er es am ersten Tag seiner Ankunft versprochen habe ... Magister Gawinus Hamilton teilte dem Herrn Johannes Sclater mit, daß er seinerseits bereit sei, am vereinbarten Platz den Wettkampf mit den über das Eis gespielten Steinen anzunehmen, wie er es versprochen habe."

Was Sclater und Hamilton damals spielten, hieß wohl "Steine übers Eis werfen", war aber wahrscheinlich eine Frühform des Curling. Dieses Wort wurde allerdings erst 1620 erstmals gebraucht, als in einem Nachruf auf M. James Gall seine sportlichen Vorlieben aufgezählt wurden. 1638 wurde das Curling bei einer Versammlung der Schottischen Kirche in Glasgow dazu benutzt, den besonders gemeinen und gotteslästerlichen Charakter des Bischofs Graham von Orkney zu betonen: "Er curlte am Sabbat auf dem Eis."

Für die frühe Curling-Begeisterung der Briten macht der Curling-Experte Ulf von Mahlberg auch das Wetter verantwortlich: "Zwischen 1500 und 1700 herrschte auf den britischen Inseln eine derartige Kälte, daß sie von den modernen Klimatologen als 'kleine Eiszeit' bezeichnet wird. Die Wassertemperaturen lagen im Durchschnitt gut fünf Grad unter den heutigen Durchschnittswerten." Als es schließlich wärmer wurde, änderte das nichts an der Vorliebe für den Sport. Bis 1725 gab es schon 13 britische Curling-Clubs, in denen nicht nur auf vorschriftsmäßiges Spiel, sondern auch auf sportliche Manieren geachtet wurde. In der Satzung des Muthill Clubs von 1739 hieß es: "1. Nur ein Mitglied darf sprechen und nicht mehrere gleichzeitig, 2. Der zu konsumierende Drink muß Whiskey-Punsch sein, um den Anbau von Gerste zu fördern, 3. Keine politischen Diskussionen, egal ob über Kirche oder Staat."

Den Durchbruch und seine gesellschaftliche Anerkennung erlebte der Sport im Jahr 1843, als Königin Viktorias Ehemann, Prinz Albert, die Schirmherrschaft über den Curling-Verband, den "Caledonian Curling Club" übernahm. Der Sport wurde international bekannt, erste Curling-Vereine wurden in Rußland und Kanada gegründet, 1890 entstand ein Verein im chinesischen Tientsin. Zunächst wurde noch mit unterschiedlichen Steinen, die durchaus auch aus Eisen sein konnten gespielt, mittlerweile besteht das 19 Kilo schwere Spielgerät grundsätzlich aus walisischem Granit, der jedoch nicht mehr, wie noch vor einem Jahrhundert, von Sträflingen gebrochen wird. Auch die beim Wischen verwendeten Besen haben kaum noch etwas mit den früher gebräuchlichen Haushaltsbesen zu tun, mittlerweile benutzt man Bürsten aus Roßhaar oder Kunststoff. Bei der Olympiade in Nagano war das Curling kein ausgesprochener Publikumsrenner, obwohl der Wettbewerb der Frauen eine historische Veranstaltung wurde: Die Däninnen schafften im Halbfinal-Spiel gegen die Schwedinnen einen 7:5-Sieg und sorgten so für die erste olympische Wintersport-Medaille für Dänemark überhaupt. Die beste dänische Plazierung war bis dahin ein neunter Platz im Eisschnellaufen vor 34 Jahren geworden.

Für die Schweden brachten die olympischen Curling-Wettbewerbe dagegen große Enttäuschung. Dem Wintersportland war schon vor dem Beginn der Olympiade vorgerechnet worden, daß es im innerskandinavischen Medaillenspiegel in den neunziger Jahren mit drei Goldmedaillen im Gegensatz zu 25 von Norwegern gewonnenen schlecht dastand. Deswegen sollten im Curling nun unbedingt erste Plätze her, immerhin hatte man zuvor schon bei Weltmeisterschaften sehr gut abgeschnitten. Und dann das: von Dänemark im Frauenwettbewerb geschlagen und bei den Herren völlig medaillenlos geblieben. Und alle Welt hatte es gesehen.