Denunziation, leicht gemacht

In Italien tritt ein neues Einwanderungsgesetz in Kraft. Seine Umsetzung bleibt widersprüchlich

Wer bereits da ist, darf bleiben. Alle anderen Flüchtlinge werden es künftig schwerer haben, nach Italien einzuwandern oder sich dort zu behaupten. So sieht es Italiens neues Einwanderungsgesetz vor, das in dieser Woche in Kraft tritt. Das Gesetz über die "Regelung der Einwanderung und die Lebensbedingungen des Ausländers" wurde in der vergangenen Woche vom Senat mit den Stimmen der Regierungsmehrheit angenommen, im Abgeordnetenhaus war es bereits zuvor bestätigt worden.

Vielen Migranten, die nach dem Vorgängergesetz, dem seit 1991 gültigen Legge Martelli, oft widersprüchlichen Regelungen und, damit verbunden, willkürlichen Auslegungen unterworfen waren, werden durch die neue Regelung rechtlich und sozial besser abgesichert: Wer seit fünf oder mehr Jahren in Italien gemeldet ist, erhält eine Daueraufenthaltserlaubnis. Schwangere Frauen, Jugendliche und Kinder können künftig nicht mehr abgeschoben werden, regulär lohnabhängig Beschäftigte nur noch nach einer (nachgewiesenen) Straftat. Nicht ausgewiesen wird auch, wer vor Inkrafttreten des Gesetzes sich in Italien befand, sofern er sich verpflichtet, nur noch reguläre Arbeit anzunehmen und den Meldebestimmungen nachzukommen. Davon sind rund 2,5 Millionen Menschen betroffen, von denen etwa die Hälfte bisher in die Illegalität gedrängt worden war.

Für sie ist in einigen sozialen Bereichen sogar eine Gleichstellung mit dem italienischen Normalbürger vorgesehen. Migranten sollen - was in der europäischen und speziell der deutschen Asylregelung alles andere als normal ist - bei der Vergabe von Sozialwohnungen gleichberechtigt berücksichtigt werden, ihnen steht zudem der Beitritt zu Sozialversicherung und Krankenkasse offen. Über die eventuelle Zulassung bei Wahlen hat ein Verfassungsgesetz zu entscheiden, das von der Zweikammerkommission zur Justiz- und Verfassungsreform (Bicamerale) noch in diesem Jahr vorgelegt werden soll. Da alle großen Oppositionsparteien in der Bicamerale vertreten sind, scheint die im Gesetz vorgesehene "Teilnahme am öffentlichen Leben in den Wohngemeinden" das Papier, auf dem sie steht, nicht wert zu sein. Zumal die Polo-Opposition, von den Neofaschisten der Alleanza Nazionale bis zur Silvio Berlusconis im Niedergang begriffener Forza Italia, einhellig wie selten gegen das Einwanderungsgesetz protestiert hat. Selbst die Separatisten der Lega Nord witterten die "Aufgabe nationaler Identität".

Bestehen bleiben soll zudem das Verfahren, Flüchtlinge nicht gegen ihren Willen dahin zurückzuschicken, wo sie hergekommen sind. Der Asylsuchende wird zur Grenze oder in einen Staat seiner Wahl gebracht, sofern dieser ihn aufzunehmen bereit ist. EU-Staaten scheiden somit weitgehend aus.

Neu hingegen ist die Instrumentalisierung der Denunziation nun auch im italienischen Einwanderungsrecht. Politik und Justiz scheinen mit den "Kronzeugen- und Reuigenregelungen" (pentiti) und dem institutionalisierten Denunziantenschutz aus Prozessen gegen Mitglieder der Autonomia und der Brigate Rosse, im Kampf gegen die Mafia und aus zahlreichen Tangentopoli-Verfahren sehr gute Erfahrungen gemacht zu haben. Ein in den Augen der Justiz illegal arbeitender Migrant kann künftig seinen Status legalisieren, indem er seinen Arbeitgeber nennt. Somit sollen Verfahren gegen Schlepper und Zuhälter effektiver werden, da Flüchtlinge, die bleiben dürfen, vor Gericht als Zeugen gegen Menschenhändler aussagen können.

Die Kehrseite der liberalen Einwanderungspolitik betrifft jene, die es noch nicht geschafft haben, nach Italien zu kommen. Die bisher gültige Frist von 14 Tagen, in denen Flüchtlinge Italien wieder zu verlassen hatten, ist mit einer juristischen Konstruktion außer Kraft gesetzt worden: Unter Fluchtverdacht stehende Personen oder solche, die eventuell gegen die Ausweisung prozessieren wollen, werden künftig in neu zu schaffenden "Abschiebelagern festgesetzt". Was theoretisch für alle Flüchtlinge gilt. Daß Innenminister Giorgio Napolitano während verschiedener Parlamentsdebatten dennoch darauf hingewiesen hat, die 14tägige Frist in der Praxis beibehalten zu wollen, scheint dem Druck der Neokommunisten und der Grünen geschuldet zu sein. Doch auch die seit Januar andauernden deutschen Interventionen in die italienische Innenpolitik, insbesondere die des deutschen Innenministers Manfred Kanther, haben ihre Wirkung hinterlassen. Eine "sofortige Abschiebung", wie aus Deutschland gefordert, werde es unter ihm nicht geben, betonte Napolitano nachdrücklich Anfang vergangener Woche. Und ließ am folgenden Tag über 150, vier Tage später noch einmal rund 100 albanische Flüchtlinge, die an der italienischen Adria-Küste aufgegriffen worden waren, umgehend abschieben. Der Bedarf an Erntehelfern und anderen Niedriglohn-Arbeitern in den Regionen Apulien, Kalabrien und im Süden Kampaniens wird vorerst durch die Ex-Illegalisierten ausreichend abgedeckt.