»Gerhard hat Euch lieb - auch wenn’s mal Tränen gibt«

Konferenzschaltung zwischen einem Handy-Besitzer und einem Normaltelefon-Kunden nach dem Blitzsieg von Gerhard Schröder

Du hast sechs Stimmen für Guildo Horn abgegeben?

Michael Ringel: Mit dem Handy und per Wahlwiederholung war dies ein Leichtes. Mit dem Normaltelefon war es dagegen schwer durchzukommen.

Martin Krauß: Das ist eine Unverschämtheit von Herrn Ringel.

Du hast also kein Handy?

Krauß: Nein, ich habe kein Handy, und ich bin froh darüber.

Ringel: In diesem Fall hat sich das Handy aber bewährt.

Krauß: Die Wahl nimmt undemokratische Formen an, schließlich ging es darum, über etwas Wichtiges zu entscheiden, und zwar, wer Deutschland im Grand Prix vertritt.

Ringel: Mit dem Handy konnte die Hanne-Haller-Generation besiegt werden.

Krauß: Das ganze Ted-System ist sowieso Quatsch. Für die Repräsentativität der Umfrage hätten 2 000 Stimmen genügt. Da hätte es nicht dieser tausend wildgewordener Guildo-Horn-Fans und ihrer Manipulationen bedurft. Und im geordneten Gefüge des deutschen Schlagers hat Guildo Horn einfach nichts zu suchen.

Ringel: Immerhin wurde das wunderbar demokratisch geordnete System des deutschen Schlagers damit mächtig durcheinandergebracht. Und wenn wir schon bei Verschwörungstheorien sind, Ralph Siegel, der mit "Karneval", "Kids" und "Can Can" ...

Krauß: Wenn wir schon bei Alliterationen sind, seit wann schreibt man Can Can mit K?

Ringel: Ralph Siegel ist der FC Bayern München des Schlagers, der BMW der Unterhaltung ...

Krauß: Der Vergleich mit den Bayern ist gar nicht so schlecht.

Es geht hier aber um Musik und nicht um Fußball.

Krauß: Siegel mag der Uli Hoeneß des deutschen Schlagers sein. Aber um Bayern München zu besiegen, muß man sich auf die Spielregeln einlassen.

Keinen Fußball!

Krauß: Das ist nur ein Bild.

Ist es nicht okay, daß die Hanne-Haller-Generation gegen die Handy-Generation verloren hat?

Krauß: Die heile Welt, die der deutsche Schlager so schön wie niemand sonst besingt, wird eben auch von Ralph Siegel hergestellt, und die hat was Friedliches.

Ringel: Aber nur ein bißchen, nein, der Pazifist ist Guildo Horn, nicht Ralph Siegel, der ist der Langweiler. Ich bin kein Horn-Fan, sondern habe den jetzt zum erstenmal gehört und gesehen. Gerade das Changieren zwischen der Ernsthaftigkeit und der Unernsthaftigkeit bei Guildo Horn schafft diese Irritation, vor allem im Rahmen einer so verpupten Veranstaltung wie dem Grand Prix. Deshalb z.B. fragt auch die Bild-Zeitung im Entrüstungstonfall ihre Leser: "Kann dieser Mann Deutschland repräsentieren?"

Krauß: Guildo Horn hat eng mit der Bild-Zeitung zusammengearbeitet.

Ringel: Das ist natürlich das Prinzip der Vermarktung, eine Figur erst negativ zu besetzen, um sie dann aufzubauen.

Guildo Horn galt als Außenseiter, das ist sein Image. Funktioniert das jetzt noch?

Ringel: Er vertritt das Infantilitätsprinzip, das macht ihn so sympathisch, das Fehlen der Aggressivität. "Guildo hat euch lieb ..." Eine infantilisierte Gesellschaft bleibt friedlich.

Krauß: "Auch wenn es Tränen gibt."

Hat er denn beim Grand Prix Siegchancen?

Ringel: Ziemlich gute sogar. Im Gastgeberland, England, ist man jedenfalls überrascht, daß der deutsche Beitrag vor allem Humor beweist und nicht dem üblichen Schema verbissener Unterhaltungskunst entspricht. Die Siegchancen sind so gut wie 1974 für Abba.

Guildo Horn ist doch nicht blond ...

Ringel: ... wird aber einen der vorderen Plätze belegen, allein wegen seiner Präsenz. Was den Grand Prix ausmacht, ist der Reiz des Ekels, und Guildo Horn geht damit ganz offensiv um.

Was kümmert die Linke eigentlich der deutsche Schlager?

Krauß: Der Schlager interessiert die Linke genauso wie der deutsche Film.

Also wenig.

Krauß: Der Schlager ist ein wunderbarer Seismograph dafür, welches gerade die wichtigen Themen sind. Die Friedensbewegung z.B. fand sich wieder bei Nicole, oder auch noch besser bei Nena mit "99 Luftballons". Die Umweltthemen wurden im Schlager aufgegriffen, schon bevor es die Linke tat, z.B. von Alexandra in "Mein Freund, der Baum".

Wo ist die Frauenbewegung im deutschen Schlager?

Krauß: Die ist vielfältig vertreten, man erinnere sich an Johanna von Koczians "Das bißchen Haushalt". Guildo Horn hat dagegen eine Nullbotschaft.

Was repräsentiert "Guildo hat euch lieb" für Dich?

Ringel: Jedenfalls nicht das Establishment, sondern den komischen Wechsel.

Wenn du ein Handy hättest, wem hättest du sechs Stimmen gegeben?

Krauß: Michelle natürlich.

Ringel: Die war aber gar nicht dabei.

Krauß: Das ist genau das Problem.