Per Ostalgie zur Volkspartei

Für die PDS-Jugend ist die Westausdehnung ein Mittel gegen die Vergreisung der Partei
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Wer seine Lebensgefährtin oder seinen Arbeitskollegen einmal mit einer kleinen Scherzfrage foppen möchte, dem oder der sei hier eine besonders hübsche ans Herz gelegt: Frage: Was unterscheidet die Seniorenpartei Graue Panther von der PDS? Antwort: Jedes zweite Mitglied der Grauen Panther ist unter 50 Jahre. Das Problem der PDS ist, daß dies eigentlich gar keine Scherzfrage ist. Denn bei den "Sozialisten" (Selbstbezeichnung) sind in der Tat 54,5 Prozent der Mitglieder über 65. Es gibt Kreisverbände, in denen nur zehn Prozent unter 60 Jahre alt sind. Ursache für das hohe Durchschnittsalter ist jedoch nicht nur mangelnder Zuspruch junger Leute, sondern auch die ungewöhnlich große Treue der alten GenossInnen. Von den 10 000 Mitgliedern, die 1996 ihr Parteibuch abgaben, tat das nur ein Prozent freiwillig, dem Rest mußte Meister Schnitter höchstpersönlich den Mitgliedsausweis entreißen. Und dummerweise stirbt man im Osten immer noch früher als im Westen, statistisch gesehen. Keine tolle Zukunftsperspektive also für die PDS, selbst wenn sich die durchschnittliche Lebenserwartung irgendwann angleichen sollte.

Doch das ist nicht das einzige Problem der Partei des Demokratischen Sozialismus. Ihre Mitglieder sind nicht nur betagt, sondern wohnen auch noch fast ausnahmslos im Osten. Nicht einmal 2 500 Mitglieder hat die Partei in den alten Bundesländern - einschließlich Westberlins. Das ist ein knappes Viertel des kleinsten Ost-Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern.

Besonders besorgt über diesen Zustand ist der Nachwuchs der Partei. Bei einem Bundesjugendtreffen der PDS am 21. Februar in Erfurt, zu dem die AG Junge GenossInnen geladen hatte, wurde deutlich, daß das Generationsproblem mit dem Ost-West-Problem direkt zusammenhängt, und das alles wiederum mit der programmatischen Ausrichtung der Partei. "Für mich ist der Westaufbau eine existentielle Frage", erklärte der junge Thüringer Landtagsabgeordnete Steffen Kachel: "Nur mit dem Westen kann sich die PDS langfristig als sozialistische und gesellschaftsverändernde Kraft etablieren. Ohne den Westen und ohne junge Leute werden wir zu einer ostdeutschen Trachtengruppe verkommen, zu einer Interessenvertretung für die armen, benachteiligten Ostler." Und ein junger Genosse aus Potsdam ergänzte: "Wer von den 40 Prozent, die in Potsdam PDS wählen, wählt uns denn, weil wir eine sozialistische Kraft sind? Die wählen uns, weil wir die Ostler sind."

Das ist im Westen natürlich anders. Dort wird, wenn überhaupt, die PDS als sozialistische Partei gewählt. Dort ist die PDS keine Therapiegruppe für DDR-Veteranen. Und dort ist auch die Altersstruktur eine andere. Ein Drittel der unter 30jährigen PDSler lebt im Westen der Republik. Kein Wunder also, daß gerade die Jungen GenossInnen, die keine Lust auf eine ostdeutsche Volkspartei nach dem Vorbild der CSU haben, sich besonders für den Aufbau der Partei im Westen engagieren. Bereits dreimal tourten Angela Marquardt, Matthias Gärtner, Halina Wawzyniak und ihre MitstreiterInnen quer durch die alten Bundesländer, machten Veranstaltungen und trafen sich mit jungen AktivistInnen vor Ort. Sie wollen keine Volkspartei PDS, die für Rassisten genauso wählbar ist wie für Antirassisten, für Unternehmer genauso eine Interessenvertretung ist wie für Lohnabhängige und Arbeitslose.

Daß diese Gefahr besteht, betonte in Erfurt ein junger PDSler aus Nordrhein-Westfalen: "Wir bekommen fast keine Unterstützung aus Berlin, wichtige Unterlagen zur Mitgliederwerbung fehlen uns völlig. Offenbar ist dem Vorstand der Westen nur noch suspekt. Die PDS soll dort gewählt werden, aber als Partei aufgebaut werden soll sie offenbar nicht. Im Moment spielen wir dort bloß Partei." Hinter der schleppenden Unterstützung steckt die schlechte Erfahrung, die der Bundesvorstand mit dem bisherigen Verlauf des Westaufbaus gemacht hat. Alte, längst totgeglaubte Grabenkämpfe zwischen ehemaligen DKP-Kadern, KB-FunktionärInnen und BWK-AktivistInnen lähmen immer noch ganze Landesverbände. Auch hier übernimmt die PDS therapeutische Aufgaben. Das wurde auch in Erfurt von westdeutschen Jugendlichen berichtet. Das Sektierertum der alten K-Grüppler sei für neue Leute eines der größten Hemmnisse mitzumachen, hieß es immer wieder.

Dem gegenüber steht eine ungeheuere Einheitsfront im Osten. Dort scheint es kaum Zerwürfnisse zugeben, und wenn doch, sind die bald geschlichtet. Ein großes "Wir Ostler" hält dort alles zusammen. Doch genau da droht die Entwicklung zur politikübergreifenden Volkspartei. Wo das einzig Verbindende die gemeinsame Benachteiligung als Ostler ist, da werden Differenzierungen eher als störend empfunden. Die Sehnsucht nach dem Wir-Gefühl ist so stark, daß andere Widersprüche mal eben so zur Seite gefegt werden. Es war kaum verwunderlich, daß ausgerechnet VertreterInnen der Kommunistischen Plattform (KPF), dem DDR-Traditionsverein der PDS, die Gollwitzer BürgerInnen in ihren rassistischen und antisemitischen Ausfällen vor linker Kritik in Schutz nahmen. Die Ostler-Solidarität war einfach stärker. KPF-Sprecherin Ellen Brombacher ging in einem Beitrag für die KPF-nahe Berliner Tageszeitung junge Welt sogar soweit, die Ostler als die unterdrückteste Bevölkerungsgruppe nach den Juden zu bezeichnen. Angesichts solch einer Analyse liegt es natürlich nahe, sich als Opfer zusammenzuschließen. Und plötzlich sind die vermeintlichen KommunistInnen gar nicht mehr weit weg von der Parteirechten um Christine Ostrowski, die schon lange die PDS gerne als rein ostdeutsche Interessenvertretung sehen würde, und die offen zugibt, daß sie bei den sozialen Forderungen kaum Unterschiede zwischen den Einstellungen junger Neonazis und denen der PDS ausmachen kann. Logisch fast, daß sie auch keine Schwierigkeiten damit hatte, sich 1993 mit zwei Funktionären der Nationalen Offensive zum Meinungsaustausch zu treffen.

Übrigens haben Parteirechte und die KPF dabei starke Verbündete auch aus dem Bundesvorstand und aus der undogmatischen PDS-Linken. Als Beispiel dafür braucht wohl nur eine Situation angeführt werden: Da stehen Gregor Gysi und der aus der (westdeutschen) autonomen Szene stammende Hausbesetzer und PDS-Landtagsabgeordnete Freke Over aus Berlin gemeinsam auf dem Dach des asbestverseuchten Palastes der Republik, um gegen den Abriß dieses häßlichen Prunkgebäudes feudaler (und realsozialistischer) Herrschaftsarchitektur zu protestieren. Ein Appell an den Instinkt. Ostalgie pur. Auch wenn man sowohl Gysi als auch Over unterstellen kann, daß sie ein starkes Interesse an der gesamtdeutschen Ausrichtung der PDS haben, den DDR-Nostalgikern geben sie doch immer wieder nach. Denn gerade wegen der eindeutigen Altersstruktur hat die PDS auf diesem Gebiet nun mal am meisten zu bieten.

Bei den meisten anderen Inhalten werden so viele Standpunkte in der PDS vertreten, daß sie ohne den Ost-Flair kaum handlungsfähig wäre. Beim Bundesjugendtreffen in Erfurt wurde etwa kritisiert, daß die Jugend betreffende Themen kaum im Partei- und Wahlprogramm vorkämen. Als Beispiel nannten die Jugendlichen immer wieder das Thema Drogen. Im 27 Seiten starken gültigen Parteiprogramm von 1993 kommen DrogenkonsumentInnen in einem einzigen kleinen Nebensatz als "Suchtkranke" im Zusammenhang mit "Aidskranken" vor. Anders im Wahlprogramm für 1998. Dort wird die kontrollierte Drogenabgabe und Entkriminalisierung gefordert. Doch was nützt das beste Programm, wenn in der greisen Basisgruppe im Thüringer Wald die GenossInnen reihenweise umkippen, wenn sich dort ein junger Mensch einen Joint anzündet? Es dürfte kaum einen Infostand im Osten geben, an dem ein PDS-Genosse anzutreffen ist, der auch nur halbwegs überzeugt für die Legalisierung des Drogenkonsums eintritt.

Für die jungen PDSler bedeutet das, daß sie sich nicht auf programmatischen Aussagen ihrer Partei ausruhen können. Was in der PDS vertreten wird, entscheidet sich oft genug daran, wer es vertritt. Mehrere junge GenossInnen erklärten daher in Erfurt, daß sie sich künftig verstärkt engagieren wollen. Zum Beispiel durch Kandidaturen zum Bundestag. Unter den jungen KandidatInnen ist auch die Bundessprecherin der AG Junge GenossInnen, Angela Marquardt. Sie werde ihre eigenen Schwerpunkte - Antifa, Drogenpolitik, Innere Sicherheit, neue Medien, alternative Lebensformen - in den Wahlkampf einbringen, erklärte sie gegenüber Jungle World: "Wenn wir Jungen uns da nicht selbst kümmern, kümmert sich niemand. So wie die Strukturen in der PDS derzeit sind, wird die Partei nie unsere Interessenvertretung sein. Aber sie bietet uns die Möglichkeit, unsere Interessen selbst zu vertreten, und das ist mir sowieso lieber."