Der Agent, der im Grünen grillte

Türkische Polizei und Medien jagen ein Phantom der Kontraguerilla mit festem Wohnsitz

Er spukte jahrelang durch alle Geschichten über die türkische Kontraguerilla: der geheimnisvolle Agent "Grün". Als Ober-Rambo bei den Kontragruppen im Südosten, die zum Zwecke der "Anti-Terror-Bekämpfung" in der Region - teilweise als PKK-Militante getarnt - Terroranschläge verüben, soll er aufgetaucht sein; als Ritter im Dienste der First Lady soll er 1994 von der damaligen Ministerpräsidentin Tansu Çiller beauftragt worden sein, PKK-Chef Abdullah Öcalan zu beseitigen und für das mißglückte Geschäft sogar ordentlich abkassiert haben, erzählt man sich; er sei Drahtzieher der Provokation im Istanbuler alevitischen Viertel Gazi gewesen sein, deren Folgen 30 Menschen 1995 das Leben kosteten; zudem wird Grün als Scharfrichter des ehemaligen Bataillonskommandeurs der paramilitärischen Jandarma (JITEM), Major Cem Ersever, gehandelt, der 1994 Informationen über die Strategien der Kontraguerilla an die türkische Presse weitergeleitet hatte und kurz darauf ermordet aufgefunden wurde.

Um so überraschender war jetzt die plötzliche Enthüllung von Grüns Identität: In der vergangenen Woche trumpfte die rechte Tageszeitung Hürriyet auf der Titelseite mit Fotos von Grüns Haus in Antalya auf. Mitten in einer zentral gelegenen Feriensiedlung soll Grün mit seiner Familie ein komfortables Appartement bewohnt haben. Journalisten, die daraufhin das Feriendorf belagerten, wurden vom Lebensmittelhändler der Anlage ausführlich über die Lebensgewohnheiten Grüns informiert, z.B. daß er großzügig einkaufte, stets mit Devisen - Mark oder Dollar - bezahlte, daß seine Frau und seine Tochter elegant gekleidete Damen seien, die ihr Haar mit einem Kopftuch bedeckten, und auch, daß Grün manchmal grillte. Grün erscheint als vollendeter Biedermann. So bieder, daß ihn jeder unter seinem bereits vor einem Jahr öffentlich gemachten Namen "Mahmut Yildirim" gekannt haben will. Sogar Telefon und Strom sollen unter diesem Namen angemeldet gewesen sein. Und als besonders skandalös gilt die Tatsache, daß der türkische Geheimdienst MIT davon gewußt haben soll.

Die Inflation von teilweise absurden Informationen über einen Mann, oder besser: ein Phantom, das seit Jahren der Inbegriff für das Schreckliche und Ungreifbare war, wirft viele Fragen auf und beantwortet gleichzeitig einige. Kern-Absicht der psychologischen Kriegsführung der Kontrastrategen war es zunächst, den Schrecken gesichtslos wirken zu lassen; nun, in einer neuen Phase, soll offenbar das Handeln einer Struktur personalisiert werden. Und die Medien steigen darauf ein.

Schon im sogenannten "Susurluk-Bericht" von Kutlu Savas, der im Auftrag des Amtes des Ministerpräsidenten noch einmal alle Informationen über die Verflechtungen zwischen staatlichen Institutionen, Kontraguerilla und Mafia in der Türkei zusammentragen sollte, gab es mehrere Seiten mit Informationen zum Superagenten Grün. Dieser Bericht sollte die Krönung der vielen sein, die nach dem Susurluk-Unfall erstellt wurden.

Nahe dem westanatolischen Ort Susurluk war Anfang November 1996 der Abgeordnete von Tansu Çillers Partei des rechten Weges (DYP) und Dorfschützerkönig Sedat Bucak zusammen mit Ex-Polizeichef Hüseyin Kocadag und dem seit achtzehn Jahren sowohl von der türkischen Justiz als auch von Interpol gesuchten rechtsextremen Drogenschmuggler und Mörder Abdullah Catli verunglückt. Damit war klar: Catli war Teil einer staatlichen Untergrundorganisation, die im Rahmen des "Anti-Terror-Kampfes" Morde an Regimegegnern verübte, Terroranschläge inszenierte und sich über Drogen- und Waffenschmuggel finanzierte.

Nach dem Susurluk-Unfall galt zunächst der verunglückte Catli als der Bösewicht. Es stellte sich heraus, daß dieser schon seit Jahren mit seiner Familie ungestört im Istanbuler Nobelviertel Florya lebte, lässig getarnt unter dem Namen eines im Ausland weilenden Freundes, Mehmet Özbay, während Frau und Kinder unter dem Namen Catli lebten. Nach Catlis Unfalltod sollten einige bislang als unaufklärbar geltende Morde auf einmal geklärt sein. Das Phantombild des Mörders der 1994 von der Kontra umgebrachten kurdischen Geschäftsleute Savas Buldan und Behcet Cantürk glich plötzlich aufs Haar genau dem Mörder Catli. Auf dem Klebeband der Waffe, mit der der "Casino-König" Lütfü Topal erschossen worden war, befanden sich plötzlich Fingerabdrücke von Catli. So konnten die Polizeibeamten der Istanbuler Spezialeinheiten, die wegen des Mordes angeklagt waren, deutlich entlastet werden.

Auch aus der Fülle von Informationen zu Grün, die nunmehr in die Öffentlichkeit gelangen, zeichnen sich Verbindungen zu Topal ab. So erinnern sich plötzlich Angestellte Topals, daß Grün alias Yildirim den Casinokönig mehrmals angerufen habe. Grüns Unterkunft in Antalya befand sich jüngsten Ermittlungen zufolge in unmittelbarer Nähe eines der Hotelkomplexe des vor zwei Jahren ermordeten Topal.

Wie bei einem Puzzlespiel passen jetzt - folgt man der offiziellen Version - die Teile zusammen: Grün kannte Topal und hielt sich in dessen Nähe auf; Catli kannte Topal, auch er soll Dauergast in dessen Casinos gewesen sein. Topal war in Drogengeschäfte verwickelt, Catli auch, und es ist zu erwarten, daß auch über Grün bald entsprechende Informationen lanciert werden.

Zwei weiter Wohnungen von Grün will man bereits aufgespürt haben - in Ankara sowie in Diyarbakir. Letztere soll einem Mafia-Ring von PKK-Kronzeugen, den inzwischen offiziell bekannten übelsten Attentätern des Kontra-Systems, als Unterschlupf gedient haben: Es ist die türkische Polizei, die zur Zeit pflichtbewußt den Superagenten Grün jagt und seine Stromrechnungen den Medien zum Ausschlachten überläßt.

Der nach der Entdeckung von Grüns Wohnungen plötzlich aus der U-Haft entlassene ehemalige Leiter des Abhördienstes des Polizeilichen Geheimdienstes, Hanefi Avci, wies darauf hin, daß die in Kutlu Savas' Bericht hergestellte Verbindung zwischen Grün und einem als Drahtzieher der Kontra beim türkischen Militär gehandelten General, Veli Kücük, so zu simpel und schlichtweg falsch sei. Savas hatte suggeriert, daß Grüns Mobiltelefon unter Kücüks Names registriert sei und deshalb eine direkter Kontakt zwischen beiden bestehe. Avci, selbst angeklagt, "Geheiminformationen" an die Öffentlichkeit gebracht zu haben, war der erste, der dem Susurluk-Untersuchungsausschuß über die Kriege zwischen den verschiedenen Diensten in der Türkei berichtete. Ob er selbst Teil einer gezielten Desinformation ist, ist noch unklar.

In Grundzügen erscheint glaubhaft, daß die türkischen Geheimdienste der Polizei und des Militärs - getrennte Institutionen - sowie Mafiagruppen und ihre Stützen in der Politik - die verläßlichste war bislang die Familie Çiller - sich bekriegen. Am bequemsten ist es jedenfalls, den Teilen der Kontrastrukturen, die bereits öffentlich geworden sind, sämtliche Verbrechen anzulasten und diese als interne Abrechnungen von Gangstern hinzustellen, die keine oder nur zufällige Verbindungen zu staatlichen Strukturen haben.