Dezent aufgebrezelt

Typographen aller Länder trafen sich in Berlin, um über den Stand des Designs in der Werbe-Branche zu beraten

Allein der Titelschriftzug wäre keine gute Werbung für die Veranstaltung gewesen: die Buchstaben unmotiviert spationiert, auseinandergerissen. "Type is money" lautete die reichlich unverhohlene Botschaft, unter der am vergangenen Wochenende im Berliner Haus der Kulturen der Welt zum dritten Mal ein Zusammentreffen der deutschen und internationalen Typographenzunft stattfinden sollte. Das zog offensichtlich; mit knapp 850 zahlenden Teilnehmern war die "Typo '98" eine eindrucksvolle Gegendemonstration zum Top Event der Werbebranche, dem parallel stattfindenden Treffen des Art Director's Club, mit welchem die Szene aus naheliegenden Gründen so etwas wie eine Haßliebe verbindet.

Einerseits fühlt man sich unterästimiert und von den "Kreativen" zu bloßen Handwerkern degradiert, andererseits ist man auf die lukrativen Aufträge aus der Werbung angewiesen, um beispielsweise allein den stattlichen Tausender an Startgeld für die "Typo" entrichten zu können. Dafür wurde dann aber auch etwas geboten: Überall wuseln serviceorientierte Crewmitglieder in "Ask me"-T-shirts herum und jede/r der männlicherseits kahlrasierten und hornbebrillten, weiblicherseits dezent aufgebrezelten Teilnehmer/innen bekommt eine prallgefüllte Umhängetasche ("goody bag") in die Hand gedrückt.

Bereits im Eingangsbereich verkündet ein überdimensionales Logo: "Geld macht glücklich". Dem logischen Dreischritt zufolge macht also auch Typographie glücklich. Das wäre noch zu verifizieren. Daß Typographie hingegen reich machen kann, dafür steht Erik Spiekermann, Veranstalter der "Typo", Chef von "Fontshop" , dem größten deutschen Schriftendealer, und der Agentur "Metadesign", Selfmade-Gegenpapst und Anwalt der Typographie in den Zeiten ihrer Eindämmung: "Hallo, es ist Donnerstag, das ist Berlin - für die unter euch, die noch unter Jet lag leiden!"

Sah es jahrzehntelang so aus, als verschwände die Typographie zusammen mit dem Text bald vollständig aus der Werbung, und als würde das "Desktop publishing", das jedem Laien die nötigen Werkzeuge an die Hand gibt, seinen eigenen Schriftenoverkill produzieren, den Designer überflüssig machen, hat sich die Szene konsolidiert und verfügt mit David Carson und Neville Brody sogar über ihre eigenen Popstars. Brody, längst ein moderner Klassiker, hatte in den Siebzigern mit seinen Layouts für die britischen Magazine The Face und Arena die internationalen Standards im Editorial Design neu definiert, seine Plattencover sind legendär, die von ihm entworfenen Schriften dürfen in keiner Mac-Standardsoftware fehlen. Entsprechend inflationiert ist der Brody-Look inzwischen.

Der kalifornische Sunnyboy Carson hat dann in jüngster Zeit das Feld noch mal neu aufgerollt: seine anarchischen Layouts für das Szenemagazin Raygun sind so eingeschlagen, daß er seither international als Enfant terrible der Szene gefeiert und als Schriften-Berserker herumgereicht wird. Nicht nur das Zeit Magazin, das er im letzten Jahr einmal designen durfte, unterstellt ihm, die Textkultur eben gerade dadurch zu retten, daß er sie bis hart an die Grenze der Unkenntlichkeit fragmentiert und destruiert. Während echte Arbeiten von Carson allerdings bald nur noch in Museen zu betrachten sind, steuert die Plagiierung mählich ihrem Höhepunkt entgegen und jede sich irgendwie hip gerierende Werbung - von der Zahnbürste bis zur Bausparkasse - sieht nach Carson aus. Entsprechend mit Spannung erwartet wurde der Auftritt der beiden Überfiguren, die sich allerdings ihrem Ruf gemäß rar machten und erst am letzten Tag mal kurz vorbeischauen sollten.

Bis dahin hatte man Gelegenheit, sich durchaus auch kritisch mit den Kohärenzphänomenen in der eigenen Branche auseinanderzusetzen. Die opulenten Eskapaden der Carson-Ära seien vorbei, die Schockeffekte hätten sich abgeschliffen. Der Trend gehe eindeutig zu einer neuen Sachlichkeit, die mit Farbflächen, Weißraum und klassischen Schriften operiere. Damit sei allerdings keine erneute Hinwendung zu einem puristischen Funktionalismus in der Tradition von Bauhaus oder Ulmer Schule zu befürchten. Okay, die "Rotis" von Otl Aicher sei eine gute Schrift, da gebe es nichts, aber daß sie nun von Audi bis zum Deutschen Bundestag jeder verwenden müsse - das gehe ja wohl auch nicht an. Individuelle Lösungen seien gefragt, eine Mischung aus Rückbesinnung auf die Tradition und lustvollem Grenzübertritt. Speziell in Deutschland herrsche da noch ein "kommandowirtschaftliches" Denken, weshalb sich viele Werbeanzeigen so frappant ähnelten.

Der Altvater der Szene, Günter Gerhard Lange, lieferte eine interessante Version davon, warum nach dem Krieg fast nur ehemalige Wehrmachtsoffiziere an den Spitzen der großen Agenturen saßen: Gute Typographie habe etwas von der rhythmischen Ordnung eines Truppenaufmarsches. Da seien die Offiziere einfach die kompetentesten gewesen.

Schließlich doch noch Carson und Brody, avantgardistisch:

Während sich alle anderen noch auf dem Terrain des Zellstofflichen tummeln, haben es die Stars der Szene bereits mehr oder weniger verlassen. Carson zeigt einige Videos davon, wie man am MIT neu über Typographie auf

dem Bildschirm nachdenkt. Fazit: "Es hat etwas Archaisches, daß wir auf dem Bildschirm immer noch Zeile für Zeile von links nach rechts lesen. Da muß es doch noch etwas anderes geben." Zwischendurch zeigt er Urlaubsdias von Kühen aus Neuseeland.

Neville Brody, der auch in jüngster Zeit hauptsächlich mit Internet-Design befaßt ist, betätigte sich als gutes Gewissen der Zunft. Es komme beim Internet nicht mehr auf das "Wie" an, sondern langsam auf das "Was", das da kommuniziert wird, und auf das "Warum-überhaupt".

Gute Fragen. Überhaupt brauchte es bis fast zum Schluß, daß jemand die angemessen wohltuenden Worte für die Veranstaltung fand, da konnte dann auch das Trendgequake von Ex-Konkret-jetzt-"Trendbüro Hamburg"-Peter Wippermann nicht mehr viel entschärfen. Typographie, so Brody, sei eben nicht Geld, sondern alles mögliche: Kultur, Information, Intersubjektivität. Ein solcher Titel - "type is money" - sei zynisch. Zynisch im wörtlichen Sinne von "etwas machen, wovon man weiß, daß es verkehrt ist". Etwas wackelig in der Argumentation, denn im Saal saß sicher ein Gros von Überzeugungstätern. Wenn man sein Publikum tatsächlich für intelligent halte, brauche man überhaupt nur eine einzige Type, dann gehe es nämlich um Inhalte. Die verfügbare Vielfalt an Schriften gebe dem Designer weitreichende Manipulationsmöglichkeiten an die Hand, mit denen er verantwortungsvoll umzugehen habe. Gefälligst. Und weil es so schön war und es sonst niemand hören wollte, hier noch einmal Brodys Resümee, dem im Prinzip nur beizupflichten ist: "Type is not money. Red is not Coca-Cola. Blue is not IBM."